
Es ist eine der größten Rettungsaktionen in unserer Region. Wenn nicht gar die größte – nimmt man die Zahl der geretteten Tiere als Maßstab. Und dennoch: kaum jemand nimmt Notiz davon, was Detlef Greiner und seine Kollegen in diesen Tagen leisten.
7.30 Uhr, Schleuse Harrbach, zwischen Karlstadt und Gemünden. Noch ist es dunkel. Das Schiff ist vom Ufer aus nicht zu erkennen. Nur ein paar Lichter verraten, dass dort drei Männer an der Arbeit sind. „Ohne unsere Kopflampen würden wir in der Nacht gar nichts sehen“, erklärt Greiner wenig später im Schelch. Mit dem geht es hinüber auf sein Schiff, das fest vertäut in der Strömung des Mains liegt. Detlef Greiner, Christian Schätzl und Matthias Merkl haben eine lange Nacht hinter sich. Die vierte in Folge. Wenn der Main Hochwasser führt, dann startet ihre jährliche Rettungsaktion. Bis zu fünf Tonnen Aale retten sie pro Jahr vor dem sicheren Tod.
Der Aal fühlt sich im Main und seinen Nebengewässern wohl. Es gibt genug Plankton für die Jungtiere, Würmer und Schnecken für die größeren Exemplare. Bis zu zweieinhalb Kilo bringt ein ausgewachsener Aal auf die Waage. Sieben bis acht Jahre lebt er in den fränkischen Gewässern und macht sich dann, als so genannter Blankaal, auf eine abenteuerliche Reise in seine Laichgründe. „In der Saragossasee kommen die Aale zum Laichen zusammen“, berichtet Greiner, 48 Jahre alt, gelernter Werkzeugmacher. Gefischt hat er schon von Kindesbeinen an, sein Geld hat er auf Montage verdient. 28 Jahre lang. Immer wieder Einsätze im Ausland. Detlef Greiner hatte irgendwann genug. Als ihm Christian Schätzl einen Vorschlag unterbreitete, musste er nicht lange überlegen. Jetzt ist der 48-Jährige Schätzls Nachfolger als Berufsfischer – zumindest zehn Monate im Jahr.
Den Rest der Zeit arbeitet er in seinem alten Beruf.
Drei so genannte Schokker hat sich Detlef Greiner gekauft, Schiffe, die ursprünglich aus den Niederlanden stammen und über eine ausschwenkbare Vorrichtung verfügen, an denen die Netze zum Fischfang angebracht sind. Vom Schokker aus rettet er im Auftrag des Kraftwerkbetreibers Uniper unzählige Aale vor dem sicheren Tod. „Catch&Carry“ nennt sich das Projekt, das 2010 ins Leben gerufen wurde. Zuvor waren die Aale in den Turbinen der Kraftwerke teilweise förmlich geschreddert worden.
Dr. Peter Wondrak, bis vor kurzem Fischereifachberater des Bezirks Unterfranken, kann sich noch gut an die Bilder von zerhackten Tierkörpern erinnern. „Kaum ein Aal ist an den Kraftwerken vorbeigekommen“, sagt der Sommeracher. Wondrak hat maßgeblich an dem Hilfsprojekt für die Tiere mitgewirkt. „Das Problem ist längst nicht gelöst“, sagt er heute. „Aber es ist eine Linderung eingetreten.“
Zumindest für den Aal, auf den das Hilfsprojekt projiziert ist. Andere Arten haben es nicht so gut. „Viel zu viele Fische finden immer noch den Tod in den Turbinen der Kraftwerke“, bedauert Wondrak. Sein Wunsch: Eine Umrüstung der Kraftwerke mit Turbinen, durch die Fische unbeschadet schwimmen können. „Die gibt es“, versichert der Fachmann. Beispielsweise in den USA. „Aber dort ist das Interesse in der Politik auch viel größer.“
36 Schleusen gibt es im Main. Jede einzelne war für die Tiere ein fast unüberwindliches Hindernis. Jetzt fahren die Kraftwerkbetreiber ihre Turbinen in bestimmten Zeiten herunter und fahren dafür die Wehre in der Mitte der Schleuse hoch. „Der Aal lässt sich mit der Strömung treiben“, erklärt Greiner. Ist er an der Schleuse vorbei, treibt er mitten hinein ins Netz der Berufsfischer.
800 Kilo haben die drei in dieser Nacht an Deck gezogen. Ein ordentlicher Fang. Dafür haben die Männer aber auch ordentlich geschuftet. „An Schlaf ist kaum zu denken“, sagt Greiner und reibt sich über die Augen. Alle zwei Stunden ziehen die Fischer eines der beiden Netze an Bord. 40 Meter lang ist der so genannte Fischerhamen. Die beiden Ausleger ragen jeweils zwölf Meter in den Main hinein. „Der Oberbaum schwimmt knapp unter der Wasseroberfläche“, erklärt Greiner. Den Unterbaum senkt er auf den Grund des Flusses. So kommen viele Aale nicht an dem Schokker vorbei.
Lag die Quote der getöteten Aale in den 90er-Jahren noch bei geschätzten 50 Prozent, ist sie laut Greiner seither auf fünf bis zehn Prozent gesunken. Zwölf Fischer aus ganz Franken sind an dem Projekt beteiligt, das von Uniper bezahlt wird. Die meisten Aale werden von den Plattformen der Aalschokker aus gefangen, andere mit Hilfe von Reusen oder per Elektrofischerei. Wie auch immer die Fischer die Aale fangen: So schnell es geht werden sie dann in Richtung Rüdesheim gefahren und dort in den Rhein gesetzt.
Kurz vor 9 Uhr an der Schleuse Harrbach: Das Tageslicht hat die Umrisse des Spessarts freigelegt, Detlef Greiner und sein Team bringen die Aale in ihrem Schelch an Land. Matthias Merkl lässt per Pumpe und Schlauch Wasser in einen grünen Container laufen und überprüft die Sauerstoffzufuhr. Etwa zwei Stunden Fahrt müssen die Tiere noch überstehen, ehe sie ihren Weg rheinaufwärts in Richtung Nordsee fortsetzen können. „Die sind ganz schön clever“, sagt Detlef Greiner und entlädt eine weitere Ladung Aale aus seinem Kescher in den Container. Mit Beginn der Laichzeit nehmen die Aale keine Nahrung mehr auf. Kommt das erste Hochwasser, verlassen sie ihre sicheren Schlupflöcher am Grund des Flusses und lassen sich mit der Strömung treiben.
Kraft sparen, lautet die Devise, schließlich sind es rund 6000 Kilometer weit bis in die Saragossasee, östlich von Florida, wo die Blankaale in rund 6000 Meter Tiefe ihren Laich abzulegen – um dann zu verenden. Die kleinen Aallarven legen dann den umgekehrten Weg zurück – bevor sie zumeist in den Netzen der spanischen oder französischen Fischer landen. Dort gelten die Glasaale als Delikatesse. Andere werden als neuer Besatz für die deutschen Flüsse aufgekauft. Und so kann – auch dank der Arbeit von Detlef Greiner und seinen Helfern – ein neuer Zyklus beginnt.






