Die Bilder gehen vielen Menschen ans Herz: Ausgemergelte Vierbeiner, die in süd- und südosteuropäischen Ländern auf der Straße leben, schauen mit großen Augen aus ihrem verwahrlosten Pelz in die Kamera. Man möchte ihnen helfen. Doch wie? Lea Schmitz, Pressesprecherin beim Deutschen Tierschutzbund, weiß, wie man den ewigen Kreislauf unkontrollierter Vermehrung durchbrechen kann – und wie nicht. Sie erklärt, warum Hunde nur im Einzelfall nach Deutschland importiert werden sollten – und auch nur aus Ländern wie Ungarn, Rumänien oder der Slowakei, wo sich das Prinzip „Fangen, Kastrieren, Freilassen“ nicht umsetzen lässt.
Frage: Wie viele Tiere wie Otto, der heimliche Star der Kitzinger Häckerchronik, gibt es in Europa? Wie viele werden tatsächlich pro Jahr getötet?
Lea Schmitz: Wie viele Straßentiere es genau gibt, die getötet werden, dazu liegen uns leider keine Zahlen vor. Leider gibt es auch keine genauen Zahlen zu importierten Hunden aus dem Ausland. Nach einer Studie – Gavinelli, 2014 –, die von der EU-Kommission in Auftrag gegeben wurde, werden etwa 46.000 Hunde monatlich innerhalb der EU gehandelt. Es muss grundsätzlich unterschieden werden, ob es sich um gewerbliche oder private Transporte handelt. Gewerblich transportierte Tiere – darunter fallen auch Transporte von Tierschutzorganisationen – müssen über das Trade Control and Expert System (Traces) angemeldet werden.
Über das Traces-System werden lediglich angemeldete gewerbliche Transporte, aber keine privaten erfasst, oder?
Schmitz: Genau. Für gewerbliche Transporte registrierte Traces im Jahr 2014 genau 20.779 Hunde. Dabei wird nicht differenziert, wie viele Hunde davon ehemalige Straßenhunde sind. Außerdem halten sich einige Tierschutzorganisationen nicht an die gesetzlichen Bestimmungen und transportieren privat getarnt, etwa über Flugpaten.
In welchen Ländern gibt es so genannte Tötungsstationen und wo ist es überhaupt erlaubt, herrenlose Tiere einfach umzubringen?
Schmitz: Anders als in Deutschland ist das Töten herrenloser Hunde in vielen Ländern der EU erlaubt, zum Beispiel in Rumänien, Frankreich und Spanien. Das Töten der Hunde hilft allerdings nicht, die Straßenhundeproblematik zu lösen. Auch das Importieren von Hunden nach Deutschland öffnet nur kurzzeitig eine Lücke in der Population, die sich schnell wieder schließt.
Was raten Sie also?
Schmitz: Nach wissenschaftlichen Untersuchungen und den jahrelangen Erfahrungen des Deutschen Tierschutzbundes ist das Prinzip „Fangen, Kastrieren, Freilassen“ die einzige nachhaltige und sinnvolle Lösung für die Straßenhundeproblematik. Leider ist dieses Prinzip in manchen Ländern bislang nicht umsetzbar. So dürfen zum Beispiel in Rumänien kastrierte Straßenhunde nicht wieder freigelassen werden und müssen im Heim verbleiben. In manchen Ländern existieren bereits Gesetze zur verpflichtenden Kastration von Straßenhunden, die durch die Gemeinden umgesetzt werden sollen. Allerdings werden diese Regelungen durch die Gemeinden oft nicht praktiziert – etwa in manchen Teilen Italiens oder Griechenlands. In einigen Ländern entwickeln sich durch die staatliche finanzielle Unterstützung kriminelle Machenschaften.
Was bedeutet das genau, „kriminelle Machenschaften“?
Schmitz: Aus Rumänien gibt es Berichte, dass Tiere eingefangen und anschließend erschlagen oder ertränkt werden, um die Kosten für Medikamente zur Euthanasie zu sparen. Auch in Italien bereichern sich manche Tierheimbetreiber, indem die Tiere nicht weiter vermittelt werden und der staatliche Zuschuss in private Hände wandert.
Warum tun Menschen so etwas?
Schmitz: Die Situation der Menschen vor Ort spielt eine große Rolle. Armut und Arbeitslosigkeit führen unter anderem dazu, dass existierende gesetzliche Vorschriften zur Kastration der Hunde in Privathaushalten nicht umsetzbar sind, weil die Menschen es sich nicht leisten können. Auch die Bedeutung der Tiere ist oftmals eine andere als in Deutschland. So wird es in manchen Ländern als normal empfunden, Tiere zu quälen oder sie einfach auszusetzen. Das Problem der Straßenhunde muss also ganzheitlich angegangen werden. Die Bevölkerung muss über den richtigen Umgang mit Tieren aufgeklärt und die Kastration von Hunden in Privathaushalten in ein Projekt miteinbezogen werden.
Wie sinnvoll ist es, Tiere aus dem Ausland zu retten? Was kann man sinnvollerweise gegen das Leid der Tiere tun?
Schmitz: Tierschutz hört nicht an der Grenze auf. Wichtig ist für uns, dass neben dem Import einzelner Tiere auch eine Lösung vor Ort gesucht und Hilfe zur Selbsthilfe geleistet wird. Das heißt, Tierschützer vor Ort sollten auch Aufklärungsarbeit betreiben, damit die Bevölkerung ihre Tiere kastrieren lässt und damit Tiere aus dem Tierheim gegebenenfalls ein neues Zuhause im eigenen Land finden können. Zudem sind Kastrationsaktionen und die anschließende Wiederfreilassung der Straßentiere wichtig, um die Zahl der Straßentiere langfristig und tierschutzgerecht zu verringern und den ewigen Kreislauf der unkontrollierten Vermehrung zu durchbrechen. Das erfolgreiche Konzept nennt sich „Fangen, Kastrieren, Freilassen“.
Und wenn das Wiederfreilassen, wie in Rumänien, nicht erlaubt ist?
Schmitz: Dann platzen die Tierheime über kurz oder lang aus allen Nähten. In Rumänien setzen wir uns daher auch politisch ein, gemeinsam mit dem Verein Tierhilfe Hoffnung e.V., der in Rumänien das weltgrößte Tierheim, die „Smeura“, betreibt, um etwas an den Rahmenbedingungen zu verändern.
Woran erkenne ich, dass ich seriöse Tierschutzarbeit unterstütze, wenn ich mich für einen Hund aus dem Ausland interessiere?
Schmitz: Bei Organisationen im Ausland ist es nicht immer leicht zu sagen, wann diese als seriös anzusehen ist, da man nicht auf Spendensiegel et cetera zurückgreifen kann und der Verein unter Umständen in einem weit entfernten Land tätig ist. Die Frage ist natürlich, ob der Verein seinen Sitz in Deutschland hat, dann müsste man theoretisch die Gemeinnützigkeit leicht prüfen können. Ansonsten empfehlen wir, darauf zu achten, dass der Verein auch nachhaltige Arbeit vor Ort leistet beziehungsweise unterstützt. Das heißt, Kastrationsaktionen von Straßentieren und Tieren aus Privathaushalten – von denen alle Straßenhunde ursprünglich abstammen – durchführt, sowie Aufklärungsarbeit vor Ort betreibt, eventuell die Jugend einbindet und den tierschutzgerechten Umgang mit Tieren lehrt, um die Situation der Tiere langfristig zu verbessern.