
Angefangen hat es mit einem Goldfisch. Allein zog er seine Kreise durch das Glas. Acht Jahre war Oliver Groß da alt. Seitdem sind viele Jahre ins Land gezogen und seine Fische sind farbenfroher geworden – und teurer. Japanische Koi-Karpfen sind nun seine Leidenschaft.
Doch es reicht dem 49-Jährigen nicht, dass etwa 500 dieser schimmernden Tiere in seinen fünf Teichen schwimmen. Er lernt seit drei Jahren Japanisch, machte ein Praktikum auf einer japanischen Koi-Farm und ist ein wandelndes Koi-Lexikon. Nishikigoi, Sanke, Tancho: Groß wirft mit japanischen Fachwörtern nur so um sich. Der Laie tut sich schwer, hinterherzukommen.
1,5 Millionen Euro für den teuersten Koi der Welt
Auch die horrend hohen Preise lassen sich nur schwer nachvollziehen. 1,5 Millionen Euro soll der teuerste Koi der Welt gekostet haben. Deutlich weniger kosten die Exemplare, die bei Groß ihre Runden ziehen. Unternehmer Groß gibt sich diplomatisch. "Ein Koi ist so viel wert, wie einer bereit ist, dafür zu zahlen", sagt er. Er versteht den Wunsch, einmal einen Grand Champion – so heißen die Kois, die auf einer Koi-Ausstellung den ersten Preis holen – zu haben. Er vergleicht es mit Bergsteigen und dem Wunsch, einmal auf einem bestimmten Gipfel zu stehen.
Groß konnte der Versuchung nicht widerstehen und hat sich einen Grand Champion gekauft – aber nur für einen fünfstelligen Betrag, wie er fast entschuldigend erklärt. Diese Suche nach dem perfekten Muster auf einem perfekten Fischkörper, sie lässt Groß nicht los. Auch wenn er weiß, dass Farbe und Muster sich bei den Fischen bis ins Alter verändern können. Es ist die Suche nach dem perfekten Moment. Es ist die Suche nach Wertigkeit und Qualität, die sich im gesamten japanischen Leben widerspiegelt und die Oliver Groß so fasziniert.

Mit 13 kaufte er sich den ersten Koi, für den Gartenteich seiner Eltern. Lilo hieß die Fischdame. Etliche Jahre gehen ins Land, bis Groß die nächste Stufe der Hingabe erreicht. 2006 baut er sich an seinem Haus in Hoheim einen Teich und einen Garten im japanischen Stil, holt sich die ersten Kois direkt aus Japan. Koi-kichi sagen die Japaner dazu, Koi -verrückt. Groß selbst sieht es fränkisch trocken. "Es wissen alle, dass ich einen Knall habe."
Koi-Karpfen im Wert eines Kleinwagens
Den Fischen ist das egal. Kommt Groß an den Teich, schwimmen die Karpfen zum Rand und schauen neugierig aus dem Wasser. Der Unternehmer glaubt, dass sie ihn am Schritt erkennen. Braucht er eine Auszeit, setzt sich er zu seinen Kois und schaltet ab. Doch Groß ist ein Schaffer durch und durch. Seit 2014 verkauft nicht mehr nur Klima- und Kältetechnik, sondern auch Kois, auch übers Internet. 15 000 Euro kostet der teuerste Fisch auf seiner Seite, ein weiß-rot-schwarzer Sanke, acht Jahre alt und 85 Zentimeter lang, der günstigste kostet 100 Euro.
Doch wer kauft einen Fisch im Wert eines Kleinwagens übers Internet? "Keiner", gibt Groß zu. Die richtig teuren Tiere holen sich die Käufer direkt bei ihm ab. Der teuerste Fisch, den Groß übers Netz verkauft hat, kostete 3500 Euro. Er ging an einen betagten Witwer, der schon häufiger Fische von Groß gekauft hatte.
Es sind die stillen Genießer, die sich die schwimmenden Juwelen holen. Für sich und für keinen anderen. Laut Groß sind es meistens mittelständische Unternehmer. Aber auch Dieter Bohlen hat Kois in seinem Teich. Viel Geld habe der sicher nicht ausgeben, sagt Groß leidenschaftlich. "Koi-Liebhaber kaufen die Fische für sich und erzählen es nicht."

Verschwiegen sind auch die japanischen Koi-Züchter, deswegen konnte Groß sein Glück nicht fassen, als er 2019 einen Sommer lang auf einer Farm in Ojiya bei Nagaoka in der Präfektur Niigata arbeiten durfte. Dabei hatte er eine japanische Bekannte, die er bei einer Koi-Schau kennenlernte, nur gefragt, ob sie ihm einen Japanisch-Kurs in Tokio empfehlen könne. Am Ende wohnte und arbeitete auf der Koi-Farm der Familie Suda und lernte japanisch. "Drei Stunden, ich als einziger Schüler. Das war echt hart", erinnert sich Groß. Seine Augen leuchten dabei.
Aus geplanten drei Wochen Sprachkurs sind dann fast sechs Wochen Praktikum geworden. Ohne seine Familie. Seine Frau Elke habe bei seinem Plan erstmal geschluckt. Groß ist ihr dankbar, dass sie sein Hobby teilt. Mittlerweile kennt sie sich auch ganz gut aus. "50 Prozent Liebe und 50 Prozent Interesse, so kommen 100 Prozent zusammen", rechnet Groß vor und grinst über das ganze Gesicht. Beim nächsten Mal in Japan sind Frau und Kinder dabei.
Japanische Küche: Wespenmaden geben Kraft
Urlaub wäre es ohnehin nicht gewesen. Groß' Tag begann um 4.30 Uhr. Fische füttern, dann frühstücken und ab in die Schule zum Japanisch-Pauken, dann wieder zu den Fischen – bei bis zu 40 Grad und extrem hoher Luftfeuchtigkeit. Trotz aller Strapazen möchte Groß die Zeit nicht missen. Besonders der Großvater, Suda San, kümmerte sich um den Deutschen. Zeigte ihm, wie die Fische selektiert werden und führte Groß in die japanische Küche ein. "Wespenmaden geben Kraft, hat er immer gesagt", erzählt Groß lachend.

Aber auch er konnte seinen Gastgebern den ein oder anderen Tipp geben. So werden die Fischreiher nun mit Schreckschusspistolen verscheucht. "Dass sie bei all ihrem Feuerwerk nicht vorher auf die Idee gekommen sind, verstehe ich nicht", sagt Groß. Gerne wäre er auch 2020 nach Japan, aber Corona hat der Familie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sobald es geht, möchte Groß wieder einen "festplattenreinigenden Urlaub" in Japan verbringen.
Ganz auf Japan braucht er nicht zu verzichten. Noch immer hat er Kontakt zu seiner Japanisch-Lehrerin und zu seiner Koi-Züchter-Familie. Und natürlich schielt er immer wieder nach Japan, ob er nicht seinen perfekten Koi findet. Per Spedition werden ihm die Prachtkerle zu geschickt. Innerhalb von 36 Stunden sind sie da.

Schneller geht es, wenn er seine Fische verschickt. Nur von Montag bis Donnerstag bringt er die Kois zur Spedition. Außerdem lässt er sich versichern, dass jemand den Fisch in Empfang nimmt. Der Koi selbst steckt seine Reise gut weg, beruhigt Groß alle, die Bedenken haben. Bevor er in die Kiste kommt, wird er ausgenüchtert und er kommt in kälteres Wasser, damit der Organismus herunterfährt. Sobald die Klappe zu ist, entspannt sich der Karpfen.
Kois fressen alles, was ihnen vor das Maul kommt
Groß vergleicht es mit der Winterruhe der Fische. "Sie kommen ohne Probleme ein halbes Jahr ohne Fressen aus", erklärt er. Wenn sie aber fressen, dann fressen sie alles, was ihnen vors Maul kommt. Da wird schon mal ein Frosch verspeist. "Kois sind wie Schweine", sagt Groß. "Die fressen alles." 15 Kilo Futter verfüttert Groß in zwei Tagen, alles vollautomatisch.
Und wie sieht das mit den Kois selbst aus? "Würden Sie Ihr Haustier essen?", fragt er und allein die Vorstellung schaudert ihn. Er kennt diese Frage, ebenso wie "Was kosten sie?" und "Wie viele hast du?". "Und dann sieht man, wie's im Kopf rattert", sagt Groß. Doch ihm geht's nicht ums Geld. Groß sucht nach seinem perfekten Fisch.