Es gärt. Und der Ärger bricht sich Bahn. Etliche Lehrer haben sich in dieser Redaktion gemeldet. Sie alle sagen Dasselbe: Das Fass ist voll.
Distanzunterricht, Wechselunterricht, Präsenzunterricht. Als wäre dieses Hin und Her nicht fordernd genug, kommen immer neue Anweisungen aus dem Kultusministerium dazu. Die neueste Forderung: Lehrer sollen die Schüler bei der Durchführung von Selbsttests überwachen und anleiten. „Schon wieder muss die Schule Aufgaben übernehmen, die normalerweise ins Elternhaus gehören“, ärgert sich Anja Bank, Lehrerin an der Siedlungsgrundschule und fragt: „Warum kann man das nicht den Eltern zumuten?“ Eine Frage, die das Pressebüro des Kultusministerium so beantwortet: Eine Durchführung der Selbsttests in der Schule stelle sicher, dass das Testen zuverlässig und regelmäßig stattfindet und korrekt ausgeführt wird. Im Fall von Schwierigkeiten kann direkt nachgefragt werden.
Eine regelmäßige Testung unter kontrollierten Bedingungen erhöhe die Sicherheit im Schulbetrieb und damit auch die Akzeptanz bei Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern, ergänzt Pressesprecher Lukas Strehle auf Nachfrage. In Österreich funktioniere das sehr gut. In Mainfranken wachsen dennoch das Unverständnis und der Missmut.
Es ist nicht nur die zusätzliche Arbeit und Verantwortung, die Lehrer ärgert. Es ist auch der Umgang mit ihren Ressourcen. Die sind nach zwölf Monaten Corona aufgebraucht. Von einer enormen Stressbelastung für alle Beteiligten spricht eine Schulleiterin aus Unterfranken. Ihre Schule befindet sich im ländlichen Raum, ist auf mehrere Standorte verteilt. Das Sekretariat ist nicht durchgehend besetzt, die Schulleiterin unterricht selbst eine Klasse – mit deutlich mehr als 20 Kindern. Herausforderungen hat sie mehr als genug. Jetzt auch noch die Selbsttests. „Wer kümmert sich um positiv getestete Kinder?“, fragt sie. Und: Wer kümmert sich in dieser Zeit um den Rest der Klasse?
Auf die Frage, wer die Eltern informiert, hat das Kultusministerium eine Antwort, die den Lehrern nicht schmecken dürfte: Die Situation sei den Schulen zunächst einmal insoweit vertraut, dass sich auch bei Erkrankungen im Verlauf des Schultags die Frage der Abholung durch Eltern/Erziehungsberechtigte regelmäßig stellt, so Pressesprecher Strehle. Er versichert: „Selbstverständlich“ werde der Schüler bis zur Abholung nicht alleine gelassen. Bis zum Eintreffen der Erziehungsberechtigten werde eine in Bezug auf das Alter, den Zustand, die individuelle Reife und die räumlichen Gegebenheiten angepasste geeignete Betreuung beziehungsweise Beaufsichtigung sichergestellt.
Spätestens bei diesen Worten geht Sabine Huppmann, BLLV-Vorsitzende und selbst Lehrkraft an einer Grundschule, die Hutschnur hoch. „Ich komme aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus“, sagt sie und wundert sich, dass im Kultusministerium anscheinend immer noch nicht angekommen ist, dass es kein Personal „für solche zusätzlichen Scherze“ gebe.
In der Praxis sieht es ganz anders aus, als es sich das Kultusministerium vorstellt. „Oft erreichen wir keine Erziehungsberechtigten, wenn wir kranke Kinder abholen lassen wollen“, berichtet Anja Bank. Sie sorgt sich vor allem um die verhaltensauffälligen Schüler, deren Zahl seit Jahren kontinuierlich steigt. „Wer trägt die Verantwortung, wenn die Kinder aufstehen, herumlaufen und sich schubsen?“, fragt sie. „Wer ist verantwortlich, wenn das Stäbchen plötzlich tiefer in der Nase steckt?“
Eine andere Schulleiterin hat das Vertrauen in die Vorgaben des Kultusministeriums längst verloren. „Es ist offensichtlich, dass sich das KM mit den Details, die sich durch die Durchführung in der Grundschule ergeben, überhaupt nicht auseinandersetzen will“, bedauert sie. Das KM unterscheide nicht zwischen einem sechsjährigen Erstklässler und einem Abiturienten, kritisiert sie. Die Grundlage für eine Selbsttestung sei eine gewisse Reife – sowie Deutschkenntnisse. „Wir haben Kinder, die verstehen gar nicht im Detail, wenn wir sie anleiten sollen“, berichtet sie und bilanziert: „Das Risiko von Selbstverletzungen besteht auf jeden Fall.“
Beide Schulleiterinnen, die sich in der Redaktion gemeldet haben, wundern sich auch, dass in den Testzentren und Arztpraxen das testende Personal mit Schutzbekleidungen ausgestattet wird – Lehrkräfte nicht. Dabei sei dieser Schutz notwendig. „Wer kleine Kinder hat, kann sich vorstellen, wie solche Tests ablaufen werden“, meint eine der beiden. „Kinder werden losprusten, niesen, mit dem kontaminierten Stäbchen auf dem Tisch herumschmieren, jeglichen Quatsch machen.“ Das Kultusministerium weist darauf hin, dass die „einschlägigen Hygienebestimmungen, insbesondere Maske, Mindestabstand, Lüftung bei den Tests zu beachten sind.“
Bei der Mitgliederversammlung des BLLV-Kreisverbandes schwankte die Stimmung zwischen Hilflosigkeit und Verzweiflung, wie Sabine Huppmann berichtet. Etliche hoch engagierte Kollegen seien kurz davor, erstmals eine Anweisung „von oben“ zu verweigern. Die Lehrer aus dem Landkreis stünden den Tests und der damit verbundenen erhöhten Sicherheit in den Schulen grundsätzlich positiv gegenüber, betont Huppmann. „Einzig die Rahmenbedingungen stören uns massiv und hinterlassen bei uns ein Gefühl der Ohnmacht.“ Die Lehrer hätten die Wahl, ob sie gegen die Aufsichtspflicht verstoßen, gegen den Datenschutz – „oder ob wir wegen Körperverletzung dran sind“, so Huppmann.
Einen Königsweg wird es wohl nicht geben, bedauert die Landtagsabgeordnete Barbara Becker (CSU) und verweist auf das Beispiel Maskentragen: Die einen sind voller Sorge und übertragen diese Sorge auf die Kinder. „Die anderen machen daraus eine Art Spiel, eine Übung. Die Kinder machen mit, es funktioniert.“ Auch Becker verweist auf die Erfahrungen aus Österreich und aus dem Pilotlandkreis Fichtelgebirge. Gerade die Grundschullehrkräfte hätten dort nach ein paar Tagen eine gute Struktur in die Tests bekommen. „Vielleicht brauchen wir eine Art Mittelweg“, meint die Abgeordnete. Die einen kaufen sich die Tests selbst, machen die Testung zuhause und geben das aktuelle Testergebnis dem Kind mit in die Schule. Die anderen nehmen gerne den Service der Schule in Anspruch.
Mit einem Brandbrief hat sich der BLLV an das KM gewandt. Eine Forderung: Selbsttests müssen zwingend durch Fachpersonal oder durch die Eltern (am besten zu Hause) ausgeführt werden. „Wir brauchen nicht ein Mehr an Belastung, sondern endlich Entlastung“, schreibt BLLV-Vorsitzende Simone Fleischmann und formuliert ein deutliches Ultimatum bezüglich der Impfungen: Wenn die Lehrerinnen und Lehrer und alle an der Schule Beschäftigten am ersten Schultag nach den Osterferien wieder einen Fuß in die Schule setzen sollen, müssen im Vorfeld alle ein Impfangebot erhalten haben! „Wer kein Impfangebot erhalten hat, kann nur den Distanzunterricht anbieten“, so Fleischmann. Ob das Kultusministerium einlenkt? Eine Schulleiterin ist aus Erfahrung skeptisch. „Die Argumente gegen eine Durchführung der Selbsttests in der Schule sind bekannt“, sagt sie. „Wir werden sie wohl trotzdem durchführen müssen.“ Foto: D. Amrheim