Das Kind kam aus dem Nichts. Sprang mir im Strandkorb auf den Schoss. Und schrie. Ich glaube, ich habe gerade gegähnt. Jedenfalls blieb der Mund in einer Art Schockstarre offen stehen. Das Kind schrie, es klang nach "Angst vor Hunden". In diesem Moment kam schwanzwedelnd ein frei laufender Hund um die Ecke. Der gehörte da zwar nicht hin, verfolgte die Sechsjährige aber auch nicht. Das Kind sah das anders. Erst nachdem der Hund seines Weges weiter ging und der Vater ein paar Meter entfernt auftauchte, löste sich das Mädchen und verschwand so plötzlich, wie es gekommen war.
Zurück blieb ein verdutzter Mann mit offenem Mund, dessen Hypochonder gerade zu Leben erwachte und zu reden anfing: "Habe ich Dir doch gesagt: Nicht in den Urlaub fahren, Du hast das mit Corona sonst nicht im Griff!" Das Kind hatte mich aus zehn Zentimetern Entfernung nicht nur angeschrien, sondern ein wenig eingespeichelt. Der Hypochonder ereiferte sich: "Siehst du! Habe ich Dich nicht gewarnt?!"
Ab diesem Moment war der Urlaub vorbei. War es um mich geschehen? War's das? Werde ich es jemals zurück nach Kitzingen schaffen? Hypochonder stellen sich solche Fragen immerzu – aber in Corona-Zeiten mit besonderem Nachdruck. Mit einem Mal ist alles vorbei: Zurück im Hotel, fällt der Blick auf das Bett. Wer hatte darin wohl zuvor geschlafen? Wie soll man im Aufzug den Knopf mit dem richtigen Stockwerk antippen, ohne den Knopf zu berühren. Und das Gefühl, wenn einem abends nach dem Essen der Kellner das Wechselgeld direkt in die Hand drückt. Was zu der bangen Frage führt: Mit welchen Händen hatte er zuvor Kontakt?
Vielleicht halten Sie das für übertrieben, aber Hypochonder ticken so: Sie lesen Bücher mit Titeln wie "Natürlich sind Sie krank!" oder "Man kann im Leben nicht alles haben – außer man ist Hypochonder". Sie googeln ständig ihre Symptome und machen dabei unfassbare Entdeckungen und werden noch kranker. Zuletzt kam beispielsweise bei mir heraus, dass ich entweder Flugrost oder Kolbenfresser habe. Man gibt "kalte Füße" ein und entdeckt wenig später, dass man eine krampfartige Form von Arteriosklerose sowie das Raynaud-Syndrom hat.
Sie sehen: Für Hypochonder gibt es nichts Schlimmeres als einen Corona-Sommer – wenn man einmal vom Corona-Herbst, Corona-Winter und Corona-Frühling absieht (Fortsetzung folgt).