Der Mann mit dem Strohhut lächelt. Auch wenn die Sonne vom Himmel brennt und manchem Pflänzchen zusetzt, bleibt Johannes Lindner die Ruhe in Person. „Ich bin tiefenentspannt“, sagt der Stadtgärtner. Er wirkt tatsächlich so. Obwohl sein Handy im Dauereinsatz ist, macht Lindner keineswegs einen gestressten Eindruck. Gut gelaunt stellt er fest: „Egal, was morgen passiert: Kitzingen ist jetzt schon Sieger.“
„Wir haben Erfahrungen gewonnen – und
Freundschaften.“
Der Countdown läuft. Die Stunde der Wahrheit steht bevor. Heute reist eine europäische Bewertungskommission an, um die Große Kreisstadt morgen bis ins Detail zu inspizieren. Die Männer und Frauen aus verschiedenen EU-Ländern werden schauen, ob Kitzingen „gemeinsam aufgeblüht“ ist – dem Motto des Wettbewerbs „Entente Florale“ entsprechend.
„Ohntohnt Florall“ – fast allen Kitzingern rollt der französische Begriff inzwischen locker über die Lippen. Kein Wunder: Spätestens seit Kitzingens Sieg auf Bundesebene vor rund einem Jahr ist die „Ohntohnt“ in aller Munde. Und nicht nur dort. Bürger, Verwaltung, Unternehmen – alle haben den Wettbewerb als Herausforderung begriffen, das eigene Zuhause, die eigene Stadt, grün und lebendig zu gestalten.
Viele Dutzend Ideen sind verwirklicht worden: vom Schmetterlings-Paradies über die „Bücherei im Baum“ bis hin zum neuen Kitzinger Kultgetränk, dem prickelnden, grünen Entente-Florale-Sprizz. Von den ganz Kleinen, den Kindergartenkindern, bis hin zu den Senioren haben sich die Kitzinger so einiges einfallen lassen. Wer hätte vor Jahren gedacht, dass es in der Stadt mal einen Baumfriseur geben würde? Oder dass Gymnasiasten den Gipfel des Karwendels erklimmen und ganz oben die Kitzinger Entente-Flagge hissen?
Jung und Alt haben gerade auch in der Siedlung, die ein Wettbewerbsschwerpunkt ist, vorbildlich zusammengeholfen. Die „Hundekackwiese“ in der Egerländer Straße (beim TÜV) war vielen seit langem ein Dorn im Auge. Hobbywinzer Stefan Düll von der Burschenschaft Siedler-Knörz rannte bei Stadtgärtner Johannes Lindner offene Türen ein, als er vor einem Dreivierteljahr den Wunsch äußerte, die Fläche von Grund auf umzugestalten. Mit vereinten Kräften entstand ein herrlicher kleiner Wein-, Obst- und Gemüsepark.
30 verschiedene Weinsorten – allesamt Hausreben – wachsen dort nun ebenso wie Blumen, Erd- und Himbeeren, Tomaten, Salate, Bohnen, Kräuter, Kohlrabi, Fenchel und vieles mehr. Jeder, der möchte, darf jäten, pflegen oder einfach die Natur genießen – gern ganz direkt, indem er erntet. In einem schmucken Hochbeet können Rollstuhlfahrer problemlos gärtnern.
„Es sind immer wieder Leute spontan auf uns zugekommen, um zu helfen“, erinnert sich Andi Schütz an die Bauarbeiten. „Andere haben uns Getränke gebracht.“ Johannes Lindner nickt: „Es hat richtig Spaß gemacht.“ Auch weiterhin kümmern sich zahlreiche Siedler um „ihren“ Grünschatz, indem sie gießen, die Tomaten ausgeizen, hochbinden oder gefräßige Schnecken fangen.
„Das ist ein super Gemeinschaftswerk“, stellt Andi Schütz ganz stolz fest. Reifes Obst und Gemüse, das die Bürger nicht geerntet haben, holen die Mitarbeiter der Kitzinger Tafel ab und geben es Bedürftigen. Das Tafel-Team, das alle Kitzinger „Naschgärten“ betreut, kümmert sich zudem regelmäßig um die Beetpflege.
„Echtes Lob an die Kitzinger“
Eines ist bereits vor der Entscheidung der Jury offensichtlich: Der Wettbewerb war der Startschuss für eine nachhaltige, von den Bürgern mit in die Hand genommene Stadtentwicklung. „Es ist der Wahnsinn! Ich hätte nie gedacht, wozu Kitzingen fähig ist“, freut sich Lindner. „Ob Winzer, Gärtner, Bauunternehmen, Bäcker, ob Klein, ob Groß, ob aus dem Stadtkern oder den Ortsteilen: Insgesamt waren locker 300 Leute bei Entente-Florale-Projekten dabei. Und viele haben darüber hinaus Hilfe angeboten, haben Arbeitsgeräte zur Verfügung gestellt oder Material gespendet.“
Stefan Düll nickt. „Bei uns in der Siedlung haben alle an einem Strang gezogen. Wir haben nicht nur einen neuen Treffpunkt gewonnen, sondern auch Erfahrungen – und Freundschaften.“
Obwohl die Sonne heiß vom Himmel brennt, zieht Johannes Lindner seinen Strohhut: „Ein echtes Lob an die Kitzinger! Wir sind jetzt schon Sieger.“
Keine Konkurrenz aus dem eigenen Kreis
Wettbewerb: 20 000 Städte und Dörfer aus zwölf Nationen (Belgien, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Irland, Italien, Kroatien, den Niederlanden, Österreich, Slowenien, aus der Tschechischen Republik und Ungarn) haben sich am europäischen Wettbewerb „Entente Florale“ und seinen nationalen Vorauswahlen beteiligt. Ziel des Contests ist es, Städte und Dörfer zu verschönern und durch die Grünentwicklung die Lebensqualität zu verbessern. Kitzingen hat 2013 die deutsche Goldmedaille geholt.
Besuch der Jury: Heute reist eine internationale Jury in Kitzingen an. Am morgigen Samstag, 19. Juli, wird sie die Qualitäten der Stadt bewerten. Nach dem Sieg auf Bundesebene möchte die Große Kreisstadt sich nun auch europaweit als grünende, blühende, lebendige und attraktive Stadt präsentieren – und den Sieg holen.
Keine Konkurrenten: Gleiches gilt am Sonntag, 20. Juli, für Sommerach. Der Weinort ist der zweite Bewerber aus dem Landkreis Kitzingen um die Krone auf europäischer Ebene – allerdings tritt Sommerach nicht im Städte-, sondern im Dorfwettbewerb an. Es gibt also keine Konkurrenz aus dem eigenen Kreis.
Preisverleihung: Ihre Bewertung wird die europäische Jury erst einmal für sich behalten. Erst bei der Preisverleihung, die vom 25. bis 28. September bei Budapest in Ungarn stattfindet, wird klar, wem die europäischen Goldmedaillen gehören. ldk



