Beschwerden über zu hohe Medikamentenpreise in Deutschland gibt es schon lange. Nun stellt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg den Markt auf den Kopf: Die Richter des höchsten europäischen Gerichtes kippten am Mittwoch die Preisbindung. Werden Pillen, Salben und Tropfen jetzt billiger? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Urteil des EuGH.
Wer heute oder in den nächsten Tagen in die Apotheke geht, wird keine Auswirkungen des Urteils spüren. Denn der Richterspruch verändert nur die Situation der Pharma-Anbieter, die aus dem EU-Ausland den deutschen Markt beliefern wollen. Bisher sind die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel streng geregelt. Die Hersteller legen fest, wie teuer ein Präparat ist. Auf diesen Einkaufspreis legen die Apotheken einen einheitlichen Aufschlag von drei Prozent drauf. Dazu kommt ein Fixbetrag von 8,10 Euro je Packung zuzüglich 16 Cent, mit dem der Kunde den Apotheken-Notdienst finanziert. Diese Preisbindung gilt auch für alle Anbieter außerhalb der Bundesrepublik. Das ist der Punkt, an dem das Urteil ansetzt, denn dieser Festpreis ist ab sofort hinfällig.
Das Bundesgesundheitsministerium will die Konsequenzen jetzt ebenso prüfen wie die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und natürlich die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), deren Präsident Friedemann Schmidt sich am Mittwoch „entsetzt“ zeigte. Fest steht allerdings, dass ausländische Pharma-Anbieter sich ab heute nicht mehr an die Preisbindung halten müssen. Beim Europäischen Gerichtshof rechnet man damit, dass damit die deutschen Preise unter Druck geraten könnten.
Die Deutsche Parkinson Vereinigung hatte mit der niederländischen Versandhausapotheke DocMorris ein Bonussystem für Mitglieder ausgehandelt. Dagegen klagte die hiesige Zentrale gegen unlauteren Wettbewerb – und verlor nun. Ob das Urteil so weitreichend ist, dass nun auch andere Patienten-Organisationen oder sogar Krankenkassen Rabatte für ihre Versicherten aushandeln dürfen, wollten gestern auf Nachfrage unserer Zeitung weder die Versicherer noch das Bundesgesundheitsministerium sagen.
Die Barmer-GEK teilte allerdings auf Anfrage mit, dass das Urteil „beispielsweise Verträge zwischen Krankenkassen und ausländischen Versandhaus-Apotheken für eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung möglich“ mache.
Um eine gleichmäßige Versorgung von Patienten mit wichtigen Medikamenten sicherzustellen, haben die Verbände und der Gesetzgeber die Preisbindung eingeführt. Sie garantiert, dass man sein Präparat überall zu den gleichen Kosten bekommt. Zugleich wird dadurch erreicht, dass Apotheken auch in weniger besiedelten Regionen überlebensfähig bleiben. Ein weiterer Grund ist die Planbarkeit der Kosten für die Versicherungen. Denn die Preisbindung gilt für gesetzliche Versicherte ebenso wie für Privatpatenten. Man wollte also erreichen, dass Arzneimittel nicht unerschwinglich teuer werden und die Kassenbeiträge unbezahlbar bleiben.
Das Bundesgesundheitsministerium muss sich etwas einfallen lassen. Von Seiten der Apotheker wurde in einer ersten Reaktion vorgeschlagen, den Versandhandel von rezeptpflichtigen Arzneimitteln nach Deutschland zu untersagen. Doch das wäre nur ein neuer Versuch, Wettbewerb unmöglich zu machen. Mit dem gestrigen Urteil ist das nicht vereinbar. Die Apotheken werden damit rechnen müssen, dass die Konkurrenz aus der EU-Nachbarschaft nun auf den deutschen Markt drängt. Dass dies Auswirkungen auf die Höhe der Preise hat, liegt auf der Hand. Der zuständige Generalanwalt des EuGH, Maciej Szpunar, hatte dies im Verfahren sogar ganz offen gutgeheißen: „Ohne Preisbindung könnte es zu niedrigeren Preisen kommen, was dem System der sozialen Sicherung zugutekommen könnte.“