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SCHWANBERG
Singende Missionarin: Was bewegt Schwanberg-Schwester Ruth Meili?
ruth meili 2021 diana fuchs 1 (1)       -  Die St. Michaelskirche auf dem Schwanberg ist für die gebürtige Schweizerin  Sr. Ruth Meili ein Ort, an dem sie sich zuhause fühlt.
Foto: Diana fuchs | Die St. Michaelskirche auf dem Schwanberg ist für die gebürtige Schweizerin Sr. Ruth Meili ein Ort, an dem sie sich zuhause fühlt.
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 11.05.2021 02:16 Uhr

Viele Politiker haben ihr Ohr leider nicht dort. Schwester Ruth Meili zog es immer ganz und gar dahin: an die Basis. Kurz vor ihrem 80. Geburtstag am gestrigen Freitag erzählte die am Zürichsee geborene Tochter von Schweizer Missionaren vom heimlichen Theologiestudium, vom Aufbau der Wärmestuben in München und Erfurt, von weltoffenen Wohnsitzlosen und Basis-Ökumene.

Wer auf dem Schwanberg spazieren geht, dem kann es leicht passieren, dass er im Wald einem fröhlich singenden Lockenschopf begegnet. Die frühere Subpriorin der Communität Casteller Ring (CCR) liebt es, mit den Vögeln um die Wette zu trällern. „Ich stamme aus einem großen Pfarrhaus, in dem viel gesungen wurde“, erklärt sie mit charmantem Schweizer Zungenschlag. „Das wirkt fort.“

Von ihrer Mutter, einer praktisch veranlagten, humorvollen Krankenschwester, habe sie zudem die Basler Mentalität geerbt: „Ich trage mein Herz auf der Zunge und sage, was ich denke. Leider bin ich oft nicht sehr diplomatisch.“ Ihr Vater, ein bedächtiger Züricher, habe Diplomatie besser beherrscht. Der protestantische Priester hatte keine Probleme damit, dass die kleine Ruth zu den katholischen Schwestern in die Schule ging. „Ökumene war nicht schwierig. Man hat einfach beim anderen mitgemacht.“

Schon während ihrer Schulzeit war Ruth Meili in einer missionarischen Schweizer Jugendbewegung aktiv, gestaltete jede Menge Freizeiten mit. Allerdings: Ein Theologiestudium hätte den Ausschluss aus der Bewegung bedeutet. „Aber Theologie hat mich sehr interessiert“, sagt Schwester Ruth. „Also ab in den universitären Untergrund.“ Die junge Frau studierte offiziell Biologie und Chemie auf Gymnasiallehramt – und heimlich Theologie. Als die frisch gebackene Schulrätin das Angebot bekam, die Jugendbewegung auf Landesebene zu leiten, zögerte sie. „Ich war mir noch unsicher, wohin mein Lebensweg führen sollte.“ Sie erbat ein Sabbatjahr. Während dieser Auszeit ging sie nach Unterfranken, um im Kreis Schweinfurt die ökumenische Begegnungsstätte Schloss Craheim mit aufzubauen.

„Ich wollte keine Tracht tragen“

Im Bannkreis des Schwanbergs gelandet, war es nur eine Frage der Zeit, bis Meili den „heiligen Berg“ besuchte und dort die CCR kennenlernte. Was letztendlich den Ausschlag dafür gab, dass sie sich am 1. Advent 1971 dem benediktinisch lebenden Frauen-Convent anschloss? „Gottesdienste, Konzerte, Jugend- und Musikfreizeiten: Ich habe hier oben einen guten Geist gespürt“, sagt Sr. Ruth. Dann fügt sie mit einem fröhlichen Augenzwinkern an: „Außerdem wollte ich im Alltag keine Tracht tragen.“

Als Lehrerin in der Berufsfachschule für junge Frauen, die in den 70er-Jahren auf dem Schwanberg angesiedelt war, fühlte Schwester Ruth sich wohl. Dann kam aus München die Anfrage, ob die CCR eine Niederlassung in der Hauptstadt gründen und sich um Wohnsitzlose, Abhängige und so weiter kümmern wolle. „Da kam meine Missionsader durch!“ Also zog sie für drei Jahre nach München. „Schwabing war damals ein ganz buntes Viertel mit witzigen Typen.“ Ein wohnsitzloser Stammgast der neu eröffneten Wärmestube habe sämtliche Politiker „fantastisch imitiert“. Ein anderer habe zum „Beichten nach Andechs“ gebracht werden wollen, in Wirklichkeit hatte er es weniger auf den Beichtstuhl als auf das Bier abgesehen.

Besonders gern erinnert sie sich an den Tag, an dem ihre Mitschwestern nicht da waren und sie deshalb die Gäste bat, den Part der Schwestern zu übernehmen und mit ihr in der Kapelle hinter der Teestube Gottesdienst zu feiern. „Die Leute haben schief und schiefer gesungen, aber es war eine der schönsten Stunden in meinem Leben – und ein Schlüsselerlebnis: Ich erkannte, dass missionarisches Handeln nicht heißt, ein Programm zu liefern, sondern die Menschen aktiv einzubeziehen und mitgestalten zu lassen.“

Zurück auf dem Schwanberg half Sr. Ruth beim Umbau des Internats- und Schulhauses in ein „Haus der Begegnung“. „Dort gab es Schüler- und Konfirmanden-Freizeiten mit viel Musik, an die ich mich sehr gern erinnere. Und etliche Menschen rings um den Schwanberg sicher auch...“

Nach der Wende, im Jahr 1995, erreichte die CCR ein Hilferuf aus Erfurt. „Das evangelische Augustinerkloster stand leer. Wir wurden gefragt, ob wir den Ort wieder mit Leben füllen würden.“ Vier Schwanbergschwestern zogen also in die Hauptstadt Thüringens. Eine alte Trafostation vor der Kirche bauten sie in eine „Klosterstube“ um, in der es günstiges Essen und Trinken gab. „Die Klosterstube wurde zur begehrten Anlaufstelle für Leute, die auf der Verlustseite der Wende standen.“

Punkt 12 Uhr gingen die CCR-Schwestern alltäglich zum Beten in die Kirche. „Die Kombination von Wirtshaus und Kirche war ideal!“ Über die Klosterstube fanden allmählich immer mehr Leute auch Zugang zu Gott – selbst solche, die sonst nichts mit der Kirche am Hut hatten. Es wurden fröhliche Tauffeste gefeiert, mit Kindern und Erwachsenen.

Oft ging es in der Klosterstube um „die Wessis“. Zum Teil habe sie die Aversionen und Aggressionen dem Westen gegenüber gut verstanden, gesteht Ruth Meili. Beispielsweise, wenn West-Niederlassungen in großem Stil auf der grünen Wiese gebaut wurden, während heimische Betriebe starben. „Man hat dem Osten Vieles einfach übergestülpt, die Einheimischen ignoriert. Wenn ein Kind nicht wertgeschätzt wird, geht es ins Extrem. Genauso war es hier.“ Arbeitslosigkeit, gebrochene Existenzen, soziale Not – nur deshalb hätten Linke und AfD erstarken können.

Kennenlernen nach dem Ja-Wort

Auch die Kirchenleitung habe Fehler gemacht. Bis zur Stunde gebe es im Rat der Evangelischen Kirche Deutschland keinen Vertreter aus dem Osten. „Dabei könnten wir viel von den Menschen lernen, die sich in der DDR damals für die Freiheit eingesetzt haben. Die Friedensarbeit ging von der dortigen Basiskirche aus, von unten nach oben. Das vergessen wir immer!“ Sie selbst habe die zu DDR-Zeiten gewachsenen „Kostbarkeiten“ im kirchlichen Bereich, in Friedens- und Umweltgruppen sehr zu schätzen gelernt, konstatiert Schwester Ruth, die als Mitglied der Synode und der Kirchenleitung der damaligen Evangelischen Kirchenprovinz Sachen eine für sie neue Kirche entdeckte. Heute sagt sie: Statt riesige Summen für Strukturreformen auszugeben, solle man lieber die Kirchenleute aus dem Osten fragen und sie bitten zu erzählen, „wie sie es gemacht haben“.

Die Jubilarin, zu deren Lieblingsbeschäftigungen Exerzitienarbeit, Seelsorge und Gottesdienste gehören, stellt fest: „Das A und O von kirchlichem, gemeinschaftlichem und gesellschaftlichem Wachstum ist Mitbeteiligung: Osten und Westen, Süden und Norden, Arme und vermeintlich Reiche brauchen einander. Wir sind einander zur Ergänzung gegeben, ja anvertraut.“

Ob sie niemals an Gott gezweifelt hat? Schwester Ruth schüttelt den Kopf. „Nein, ich wusste immer, dass Christus in mir ist. Er ist in uns allen. Jeder kann ihm freie Hand zum Wirken geben – oder auch nicht. Es ist die Entscheidung jedes Einzelnen.“ Vielleicht hat Ruth Meili das Gottvertrauen ja von ihrer Mutter gelernt. Vor Ruths Geburt wirkten ihre Eltern als Missionare in Indien. Zum Ehepaar waren sie auf abenteuerliche Weise geworden. Jakob Meili hatte per Brief um die Hand einer ihm Unbekannten angehalten, weil man ihm gesagt hatte, dass ein Missionar in Indien nicht ohne Ehefrau einreisen solle. Also fasste sich Jakob ein Herz und schrieb der Schwester eines Missionarskollegen. Nachdem das Mädchen sich über die Gesinnung des Antragsstellers informiert hatte, sagte sie Ja. „Erst dann lernten sich die beiden persönlich kennen. Es war der Beginn einer sehr glücklichen Ehe“, sagt Ruth Meili, die drei Schwestern hat. „Die Liebe ist quasi im Vollzug gewachsen.“ Unglaublich? „Ja, aber so ist Gott: groß, weit, umfassend. Ich habe auch oft Stoßseufzer zu ihm geschickt, mit der Bitte, mich bei der Hand zu nehmen und mir den richtigen Weg zu zeigen.“ Hat das immer funktioniert? „Ja. Manchmal ganz anders, als ich gedacht hatte, aber geklappt hat es immer.“

Die wilden Locken hatte sie schon als Kleinkind: Ruth Meili in der Schweiz.
Foto: RUTH MEILI | Die wilden Locken hatte sie schon als Kleinkind: Ruth Meili in der Schweiz.
Ruth Meili als Baby mit ihren Eltern in der Schweiz.
Foto: RUTH MEILI | Ruth Meili als Baby mit ihren Eltern in der Schweiz.
Die CCR-Schwestern packten auch bei Umbauprojekten an.
Foto: RUTH MEILI | Die CCR-Schwestern packten auch bei Umbauprojekten an.
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Foto: DIANA FUCHS | Sr. Ruth Meili
 
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