Karls des Großen Tochter muss eine besondere Frau gewesen sein: „edel geboren, sittsam und schön von Gestalt“, rühmt sie in poetischer Übertreibung der irische Mönch Dungal, als sie mit etwa 30 Jahren 814 in ein Kloster bei Paris eintreten musste. Aber schon als Teenager war Theodrata offenbar durch ihre Schönheit aufgefallen: goldblondes Haar und „hell leuchtender Hals“.
Geradezu begeistert von ihrem Aussehen war der Kleriker Angilbertus, der dem innersten Machtzirkel als Leiter der Hofkapelle Karls des Großen angehörte: „Fuß, Hand, Gesicht, die Wangen und der wohlgeformte Nacken glänzen. Herrlich blitzen die Augen auf in hellen Flammen.“ Von ihm wissen wir auch, dass sich „die liebliche Tochter“ Karls bereits in jungen Jahren modebewusst und elegant zu kleiden wusste.
Heute würde sie wohl als royale Stil-Ikone in den Klatschspalten erscheinen, schon allein wegen ihres modischen Auftretens bei großen Ereignissen. Um den schlanken Hals trug sie kostbare Juwelen aus dem Ausland. Ihre mantelähnliche Robe war „mit Maulwurfsfellen durchwirkt und leuchtete wie von Hyazinthen“. Ihre Füße waren „von Stöckelschuhen geschmückt“. So hatte sich Theodrata laut Angilbertus im Jahr 800 für einen besonderen historischen Akt herausgeputzt, der heute in jedem Geschichtsbuch steht. Sie durfte zusammen mit ihrem Vater hoch zu Ross in Rom einreiten, als Papst Leo III. den König der Franken zum römischen Kaiser krönte.
Damals war seine hübsche Tochter etwa 15 Jahre alt. Ihre Mutter Fastrada, die vierte Ehefrau des umtriebigen Karl, lebte da schon nicht mehr. Der König selbst hatte schon 795 mit Luitgard seine fünfte Frau geheiratet. Der Hof des Herrschers, der mit seinen Beratern und seiner Großfamilie von Pfalz zu Pfalz im Reich herumzog, galt als „äußerst freizügig“. Kaiser Karl hatte von sechs Frauen mindestens 18 Kinder. Eheliche Treue war nach damaliger Meinung bei gesunden Männern von Stand selten.
Karl, der später heiliggesprochen wurde, ging „mit seinen Kindern liberal um“, schreibt der Historiker Johannes Fried. Er habe den Töchtern zwar die Heirat verboten, um das große Erbe nicht durch angeheiratete Sippen zu gefährden. Aber „sie bekamen dennoch Kinder, sie durften ihre Sexualität ausleben“. In einer solch lockeren Atmosphäre war Theodrata aufgewachsen.
Kein Wunder, dass auch ihr von Zeitgenossen ein nicht immer sittsamer Lebenswandel nachgesagt wurde. Aber mit einem solchen freizügigen Leben war es abrupt vorbei, als ihr Vater starb. Sein wenig sinnenfroher Sohn Ludwig – „der Fromme“ – trat 814 die Nachfolge im Frankenreich an. Theodratas strenger Stiefbruder schickte seine unverheirateten Schwestern in Klöster.
Damit begann auch für die Königstochter die zweite, völlig gegensätzliche und kaum erwartete Lebensphase. Sie musste sich nach Argenteuil zurückziehen, einem Kloster an der Seine in der Nähe von Paris. Standesgemäß wurde sie Äbtissin. Der irische Mönch Dungal beglückwünschte sie zu dieser „überaus guten Wahl“. Freilich ist zweifelhaft, ob sie freiwillig Klosterfrau wurde. Als solche könne sie nun, so der Mönch in Anspielung auf ihre Vergangenheit, „dem Teufel, der Weltlichkeit, der Pracht und ihren Werken widersagen“ und stattdessen „Wahres und Ewiges suchen“.
Das versuchte die königliche Klosterfrau ein gutes Jahrzehnt in der Nähe von Paris, bis dort die Lage wegen der Überfälle durch die Normannen (Wikinger) gefährlich wurde. Theodrata entschloss sich um das Jahr 824, von der Seine an den Main überzusiedeln. Hier, im sicheren ostfränkischen Schwarzach, bestand seit rund 762 genau an der Stelle der jetzigen Abtei ein Frauenkloster.
Es gehörte praktisch zum Familienbesitz, war doch Theodratas Mutter Fastrada, eine Edle aus mainfränkischem Geschlecht, eine große Unterstützerin dieses Klosters gewesen. Hier herrschte die neue Äbtissin über circa zehn Nonnen. Aber das klösterliche Leben, das sie zu führen hatten, war anscheinend wenig asketisch und beschwerlich.
Viele Frauenklöster waren damals Versorgungseinrichtungen für unverheiratete edelblütige Damen. Es ist nicht einmal bekannt, nach welcher Ordensregel sie lebten. Jedenfalls war Frauen von Stand die asketische Strenge der Regel Benedikts nicht zuzumuten. Ganz bewusst widersetzte sich Äbtissin Theodrata allen klösterlichen Reformen, die ab 816 im Frankenreich eine strengere, benediktinische Lebensweise verlangten. Sie hätten eine Änderung des gewohnten, eher angenehmen klösterlichen Lebens bedeutet.
Schon in ihrer Zeit als Leiterin der Abtei in Argenteuil fiel sie durch ihren wenig zurückgezogenen Lebensstil bei den Zeitgenossen auf. Sie berichten, wie die schöne Äbtissin auf die Jagd ging, dass sie kostspielige, elegante Kleidung liebte und ihre Nonnen manchen Kontakt mit weltlichen Personen pflegten.
Wie es Äbtissin und Nonnen in Münsterschwarzach mit dem klösterlichen Lebenswandel hielten, wissen wir nicht. Die Königstochter aber betrachtete das Kloster am Main als ihr frei verfügbares Familieneigentum. Noch vor ihrem Tod, wahrscheinlich im Jahr 848, bestimmte Theodrata ihre Nachfolgerinnen als Klostervorsteherinnen und sie unterstellte ihr Kloster dem Schutz des Würzburger Bischofs.
Die letzte Äbtissin in Münsterschwarzach war wiederum von königlichem Geblüt: Berta, die Großnichte Theodratas und Tochter Kaisers Ludwig des Deutschen. Nach ihrem Tod 877 aber endete die knapp 100-jährige Geschichte Münsterschwarzachs als Frauenkloster für Mitglieder der fränkischen Hocharistokratie.
Ein neues, bis heute andauerndes Kapitel als Männerkloster, das die Regel Benedikts befolgte, begann. Mönche des Klosters Megingaudshausen im Steigerwald zogen in das ehemalige Nonnenkloster ein.
An die Zeit, als die Königstochter Theodrata Äbtissin von Münsterschwarzach war, erinnert noch heute das Klosterwappen. Es zeigt zwei gekreuzte Stäbe, die Zeichen der Würde: der eine Stab steht für die ehemaligen Äbtissinnen, der andere für die nachfolgenden Äbte.