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JÄRKENDORF
Schnittige Baumflüsterinnen am Werk
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:18 Uhr

Männer können vielleicht höher springen als Frauen. Eventuell schaffen sie auch mehr einarmige Liegestützen. Aber eines können sie nicht: besser Bäume schneiden als Frauen. Letztere haben es nun Schwarz auf Weiß vom Fachmann: „Frauen verstehen Bäume oft besser als Männer“, sagt Marius Wittur, Streuobstberater von Bioland Bayern. „Sie bekommen deshalb leichter einen naturgemäßen Gehölzschnitt hin.“

Wittur muss es wissen. Mit geschlechtsgemischten Gruppen hat der Untereisenheimer schon viele Schnittkurse abgehalten. Nun aber stand er das allererste Mal vor einer reinen „Frauschaft“: Zum 1. Baumschnittkurs für Frauen hatten sich 20 Damen aus ganz Franken auf dem Naturhof Tröppner in Järkendorf eingefunden. Weitere 20 lassen hatten sich einen weiteren Termin gemeldet und für nächstes Jahr liegen der Bauernhofpädagogin Doris Tröppner auch schon zahlreich Anmeldungen vor. Offenbar hat die Biolandwirtin mit ihrem Angebot ins Schwarze getroffen.

„Sonst hat mein Mann immer unsere Bäume geschnitten“, erzählt Annette aus Alitzheim. Der Anblick der gestutzten Lebewesen sei oft nicht erfreulich gewesen. „Deswegen denke ich, dass ich's jetzt selbst mache. Ich mach's wenigstens mit Gefühl.“

Ähnlich wie Annette äußern sich auch auch Gabriele, Cornelia und Monika. Manche haben einen alten Obstbestand geerbt, andere haben sich eigens eine Wiese mit Apfel-, Birn-, Zwetschgen-, Kirsch- oder auch Pfirsichbäumen gepachtet oder gekauft – als kleine Natur-Oase. Um sich mehr Sicherheit beim Schneiden und Pflegen der Obstbäume anzueignen, sind sie zu Doris Tröppner gekommen, die den Fachmann Marius Wittur eingeladen hat.

„Kulturbäume müssen regelmäßig geschnitten werden. Passiert fünf bis zehn Jahre nichts, brechen und verwildern die Bäume“, macht Marius Wittur deutlich. Unseren Vorfahren habe Streuobst als Lebensgrundlage gedient. „Heute, durch die Globalisierung, ist Obst immer und überall verfügbar.“ Das hat Auswirkungen: In naher Zukunft werden viele Streuobstwiesen verschwinden, prognostiziert Wittur. „Wir können diese Entwicklung nicht aufhalten.“

Die einzige Chance, alte Obstsorten am Leben zu halten – und damit auch die Vielfalt des genetischen Materials, das im Supermarkt auf wenige Sorten zusammengeschrumpft ist – sind „Menschen, die ein Herz dafür haben“, sagt der Fachmann.

So wie Tröppners Frauenrunde. Allerdings enttäuscht Marius Wittur gleich alle, die auf ein allgemeingültiges Pflegegesetz für Obstbäume gehofft haben: „Die hundertprozentige Schnittanleitung gibt es nicht.“ Man müsse sich an dem orientieren, was man bei der „Baumansprache“ herausfinden.

„Haben Sie keine Angst vorm Verschneiden. Fehler gibt es nicht Alles ist besser, als nichts zu machen.“
Marius Wittur bei Schnittkurs

Was mystisch klingt, ist in Wahrheit eine ganz nüchterne Betrachtung des Wurzelbereichs, des Stamms und der Krone. Idealerweise befindet sich das regenerative Wachstum – der Wuchs des Holzes, der Blätter – in Balance mit dem generativen Wachstum – der Produktion von Früchten. „Diese Balance zu erhalten oder herzustellen, ist das Ziel eines naturgemäßen Schnitts.“

Und da Übung die Meisterin macht, geht es nach der Theorie hinaus an die Hochstämme von Äpfeln, Birnen, Zwetschgen und Mirabellen. „Werfen wir erst mal einen Blick auf die Äste“, sagt Wittur. Ob sie jung oder alt sind, ist gut zu erkennen: Junges Holz ist biegsam, altes brüchig und voller Flechten. „Blüten- und Blattknospen lassen sich auch im Winter gut unterscheiden.“ Beim Apfel sind die Blattknospen zum Beispiel deutlich spitzer als die Blütenknospen. Wittur erläutert: „Wenn ein Baum zu viele runde Knospen hat, dann deutet das auf einseitiges generatives Wachstum hin. Das heißt, es bildet sich kaum noch neues Holz. Um das Holzwachstum anzuregen, muss man den Baum stärker schneiden.“

Aber wann? „Grundsätzlich gibt es den Sommerschnitt von Johanni bis Ende August und den Winterschnitt im anderen Halbjahr“, erklärt Wittur. Als Faustregel gelte, dass der Winterschnitt das Wachstum anregt, während die Bäume im Sommer gut eingekürzt werden können.

Die Frauen betrachten jeden Baum aus allen Himmelsrichtungen, ehe sie ihm mit Hand- und Teleskopschere oder Baumsäge zu Leibe rücken. Eine Quitte erhält einen Entlastungsschnitt, damit sie im Sommer nicht vor lauter Fruchtüberschuss bricht. Christiane aus Järkendorf achtet darauf, dass sie die Schere im 90-Grad-Winkel zum Ast ansetzt – so, wie der Obereisenheimer Fachmann es vormacht.

Ein junger Birnbaum, der senkrecht hochgeschossen ist, wird so geschnitten, dass er mehr in die Breite wächst. Ein alter Apfelbaum, der sich zur Seite neigt, bekommt auf der astarmen Seite neue Schnittstellen – so wird dort das Wachstum angeregt und die Statik langfristig verbessert.

Marius Wittur macht den Frauen Mut: „Haben Sie keine Angst vorm Verschneiden.“ Fehler gebe es nicht: „Alles ist besser, als nichts zu machen.“ Alte Sprüche wie „Die Zwetschge putzt sich selbst“ verweist Wittur ins Reich der Hirngespinste.

„Baumschnitt ist wie eine neue Sprache lernen“, sinniert der Fachmann. Darin seien die Frauen den Männern oft einen Schritt voraus. Manchmal gilt das auch fürs Genießen: „Roter Eisenapfel, Ontario- oder Brettacher Gewürzapfel schmecken fantastisch im Apfelbrei und Kuchen“, schwärmt Doris Tröppner. „Und in eine 'Goldparmäne' zu beißen, ist auch jetzt noch ein Genuss.“

Nähere Informationen zu den Baumschnittkursen: Naturhof Tröppner, Tel. (0 93 82) 62 75 oder im Internet: www.troeppner.de

Ein Mann wie ein Baum? Eigentlich will Marius Wittur nur demonstrieren, wie die Leitäste am besten wachsen sollen.
Foto: DIANA FUCHS | Ein Mann wie ein Baum? Eigentlich will Marius Wittur nur demonstrieren, wie die Leitäste am besten wachsen sollen.
Beherzt zur Sache gehen die Teilnehmerinnen beim 1. Baumschnittkurs für Frauen.
Foto: DIANA FUCHS | Beherzt zur Sache gehen die Teilnehmerinnen beim 1. Baumschnittkurs für Frauen.
Marius Wittur erklärt, dass man Blatt- und Blütenknospen ebenso gut voneinander unterscheiden kann wie altes von jungem Holz.
Foto: DIANA FUCHS | Marius Wittur erklärt, dass man Blatt- und Blütenknospen ebenso gut voneinander unterscheiden kann wie altes von jungem Holz.
 
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