Mehr als zwölf Millionen Menschen leiden in Deutschland an chronischen Schmerzen. Eine unglaubliche Zahl. Eine glaubhafte Vorstellung davon, dass die Zahl nicht aus der Luft gegriffen ist, erhält man auf dem Flur der Schmerztagesklinik in Würzburg.
Männer mit Gehhilfen humpeln vorbei, Frauen mit gekrümmten Rücken. Aber überwiegend sind dort Menschen wie du und ich unterwegs. Menschen, denen man ihren Schmerz nicht ansieht. Menschen wie Helga Schirmer aus Rottendorf.
Zwölf Operationen hat die heute 57-Jährige über sich ergehen lassen müssen. Seither kämpft sie mit gleich zwei chronischen Schmerzen. „Die Nervenenden sind nicht mehr richtig zusammengewachsen“, erklärt sie. Die Folgen: Ein brennender Schmerz und ein Druckschmerz. „Der brennende ist schlimmer“, sagt die Rottendorferin und lacht. Sie hat ihren Humor wieder gefunden. Vor acht Wochen hat sie ihren letzten Versuch unternommen, den Schmerzen beizukommen. Sie hat ihren Schritt in die Würzburger Schmerzklinik nicht bereut. Im Gegenteil.
Prof. Dr. Heike Rittner leitet seit drei Jahren die Tagesklinik, die an der Uniklinik in Grombühl untergebracht ist. Zwischen 20 und 30 Patienten sind dort täglich in Behandlung, Frauen und Männer, junge Erwachsene und Senioren. „Junge Menschen kommen oft mit Kopfschmerzen“, sagt sie. „Typisch sind Rücken- oder Gelenkprobleme.“
Vier bis acht Wochen dauert eine Behandlung in der Regel. Mitunter auch länger. Das Besondere: Mediziner, Psychologen und Physiotherapeuten arbeiten Hand in Hand. „Man muss den Schmerz als Gesamtheit sehen und als Gesamtheit behandeln“, erklärt Rittner. Zweimal in der Woche findet eine Teambesprechung statt. Etwas mehr als 20 Menschen arbeiten in der Tagesklinik. „Jeder weiß, was der andere gerade unternimmt“, sagt Prof. Rittner. „Wir verfolgen alle das gleiche Ziel. Und die Patienten wissen Bescheid.“
Helga Schirmer ist nach sechs Jahren Dauerschmerz ohne große Erwartungen an die Tagesklinik gekommen. „Ich wollte es einfach ausprobieren“, erinnert sie sich. „Denn so konnte es nicht weitergehen.“ Die Schmerzmittel hatten ihre Nebenwirkung bei der 57-Jährigen hinterlassen: Wortfindungsstörungen, ständige Müdigkeit, Teilnahmslosigkeit. Nach einem ersten Check in der Schmerzambulanz der Uniklinik war klar: Helga Schirmer ist ein Fall für die Tagesklinik.
„Die Schulmedizin war ausgereizt“
Zwischen fünf und sieben Stunden ist sie seither täglich in Behandlung: Gruppengespräche, Einzelgespräche, Entspannungstherapie, eine Umstellung der Medikamente, Bewegungsangebote, Physiotherapie. „Es geht alles Hand in Hand“, sagt sie. Und die Behandlung zeigt Wirkung. „Mein Schmerzempfinden ist deutlich gesunken“, sagt Schirmer. „Ich bin wieder fröhlicher und aufgeschlossener. Die ganze Familie profitiert davon.“
Alltagstaugliche Tipps erhalten die Patienten in der Tagesklinik. Das ist Prof. Rittner und ihrem Team ganz wichtig. „Die Hauptfrage lautet ja, wie der Schmerz langfristig in den Griff zu bekommen ist“, sagt die Leiterin. Denn: Besiegen lässt sich der Schmerz in der Regel nicht. Die Patienten müssen weiter damit leben. Aber sie lernen, wie sie besser damit umgehen können.
Helga Schirmer hatte bis vor acht Wochen regelrechte Schmerzattacken. „Ich konnte dann nicht mehr laufen, gar nichts mehr tun.“ Jetzt kommen die Schmerzen eher wellenförmig und lange nicht mehr so extrem, wie sie sagt. „Ich kann mich darauf einstellen.“ Den Schmerz beeinflussen, sich ablenken, in Gedanken abschweifen. Das hat Helga Schirmer in den letzten acht Wochen gelernt. Ohne das Team von der Tagesklinik wäre ihr das nicht gelungen. „Die Schulmedizin war ausgereizt“, sagt sie. Organisch sei alles in Ordnung gewesen, die Blutwerte hätten gestimmt. Ihre bittere Erfahrung: Manche Fachärzte erkennen den chronischen Schmerz nicht an, immer wieder hat sie sich in ihrem Umfeld anhören müssen, dass sie sich nicht so anstellen solle. „Das ist ja das Heimtückische an der Sache“, sagt sie. „Man sieht den Patienten das Leiden oft nicht an.“ Ihr Wunsch ist deshalb verständlich: Fachärzte sollten Patienten mit chronischen Schmerzen einen Besuch in der Schmerzambulanz der Uniklinik ans Herz legen.
Bei Helga Schirmer hat die Behandlung einen großen Erfolg gezeitigt. „Sollte ich noch einmal in eine solche Situation kommen, dann werde ich hier sicher wieder vorstellig“, sagt sie. Doch vorerst geht sie davon aus, dass sie gelernt hat, mit den chronischen Schmerzen selber gut zurecht zu kommen.
Schmerzzentrum Würzburg
Aktionstag gegen Schmerzen: Am Dienstag, 2. Juni, findet ein Infotag im Zentrum für Innere Medizin an der Uniklinik statt. Programm: Kurzvorträge von 15 bis 16 Uhr und von 17.30 bis 18.30 Uhr. Themen: Ursachen von chronischen Schmerzen, Zusammenhang zwischen Schmerz und Psyche, Therapie von Nervenschmerzen. Dazu stellen Pflegekräfte, Psychologinnen, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten Aspekte der multimodalen Schmerztherapie vor.
Die Tagesklinik: Besteht seit 2007. Behandelt werden chronische Schmerzen am Bewegungssystem, Fibromyalgie, Gesichts- und Unterleibsschmerzen, Migräne und Nervenschmerzen sowie Krebsschmerzen. Die Therapie besteht aus einer medizinischen, einer psychologischen und einer Physio- und Ergotherapie.
Behandlungsziele: Verbesserung der Lebensqualität, Linderung der Schmerzen, Optimierung der Schmerzmedikation, verbesserter Umgang mit Schmerzen, Wiedereingliederung in das Berufs- und Arbeitsleben.
Kontakt: Schmerzambulanz: Tel. (09 31) 20 13 02 00. Schmerztagesklinik: Tel. (09 31) 20 13 02 51.