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Kitzingen
Schildkröten: Wer sie hält, kann viele Fehler machen
In der Kitzinger Auffangstation für Landschildkröten landen 40 Schicksale pro Jahr. Jetzt bekommen die Ehrenamtlichen den Bayerischen Tierschutzpreis - denn sie sind Profis.
Sandra Malguth (rechts) leitet die Auffangstation für Landschildkröten in Kitzingen-Hoheim und ist  Vorsitzende des Trägervereins. Heike Feser unterstützt sie als Zweite Vorsitzende. Die im Jahr 2011 eröffnete Schildkrötenstation erhält für ihre Arbeit im Oktober den Bayerischen Tierschutzpreis.
Foto: Thomas Obermeier | Sandra Malguth (rechts) leitet die Auffangstation für Landschildkröten in Kitzingen-Hoheim und ist  Vorsitzende des Trägervereins. Heike Feser unterstützt sie als Zweite Vorsitzende.
Michael Mößlein
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:41 Uhr

Attika ist eine gemächliche Dame mittleren Alters – und noch nicht überm Berg. Als das Schildkrötenweibchen Ende August zur Auffangstation für Landschildkröten im Kitzinger Stadtteil Hoheim gebracht wurde, war es mehr tot als lebendig. Doch Tierarzt Tobias Friz hat Attika notoperiert. Mit Erfolg. Ob die 50 Jahre alte Schildkröte die kommenden Wochen überleben wird, kann Friz allerdings noch nicht sagen.

Der Fachtierazt für Reptilien aus Vöhringen (Lkr. Neu-Ulm), mit dem die Kitzinger Schildkröten-Helfer eng zusammenarbeiten, hat der Griechischen Landschildkröte zwei Blaseneier entfernt, zudem ein Ei aus dem Harnleiter sowie die entzündeten Eierstöcke. Die komplette Bauchhöhle der Schildkröte war massiv entzündet. Was das Tier in den Jahren zuvor mitmachen musste, ist schwer vorstellbar. Auf Facebook hat die Auffangstation Attikas Schicksal beschrieben. Bilder veranschaulichen das Leid des Tieres dort besser als es viele Worte könnten.

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Dabei war die Schildkröte nicht aus den Händen eines Tierquälers zu ihnen gelangt, berichtet Sandra Malguth, die Leiterin der Auffangstation. Im Gegenteil. Attikas Besitzerin, eine ältere Dame aus Schweinfurt, hatte Attika im Freien gehalten, nur leider nicht artgerecht. So fehlte es im Gehege etwa an Technik für den Wärmeerhalt der Schildkröte und an Stellen, an denen Attika ihre Eier gut ablegen und vergraben konnte. Als die Schildkröte sich kaum noch bewegte, hatte sich die Besitzerin völlig verzweifelt an die Auffangstation gewandt. Sie wusste mit ihrem kranken Tier nicht mehr weiter, auch ihr Tierarzt wollte Attika nicht mehr behandeln, obwohl das Tier nicht betagt ist. Die Lebenserwartung von Schildkröten beträgt locker 80 Jahre und mehr, ist also vergleichbar mit der eines Menschen.

In einer Notoperation wurde der Schildkröte Attika der Panzer am Bauch geöffnet und wieder verschlossen. Der Tierarzt hat ihr Eier entnommen, die sie nicht ablegen konnte. Zudem war ihr Bauchraum komplett entzündet. In der Auffangstation wird sie nun gepflegt. Ob sie überleben wird, ist unklar.
Foto: Thomas Obermeier | In einer Notoperation wurde der Schildkröte Attika der Panzer am Bauch geöffnet und wieder verschlossen. Der Tierarzt hat ihr Eier entnommen, die sie nicht ablegen konnte. Zudem war ihr Bauchraum komplett entzündet.

Dieser Fall ist für die Schildkröten-Station nichts Außergewöhnliches. Leider. Er zeigt für Malguth exemplarisch: Vermeintliche Tierliebe, gepaart mit falscher, nicht artgerechter Haltung, lässt Tiere leiden – und schlimmstenfalls elend sterben. "Schildkröten sind keine Kuscheltiere", macht Heike Feser deutlich. Sie vertritt als zweite Vorsitzende Malguth in dem im Jahr 2012 gegründeten gemeinnützigen Verein, der die im Jahr zuvor eröffnete Auffangstation trägt. Der Verein zählt rund 200 Mitglieder aus ganz Deutschland. Die aktuell fünf Helfer der Station arbeiten ehrenamtlich mit. Malguth ist als Vereinsvorsitzende und Stationsleiterin pro Tag drei bis vier Stunden mit den Schildkröten beschäftigt, am Wochenende oft ganztags.

Schildkröten-Fan ist sie von Kindesbeinen an. Ihre erste Schildkröte, Daggy, hat die 49-Jährige vor 24 Jahren erhalten. Ihr Mann hatte ihr versprochen: Wenn sie erst mal Haus und Hof hätten, dann bekäme sie eine Schildkröte ... Über die Jahre hinweg hat sich Sandra Malguth immenses Fachwissen rund um Schildkröten angeeignet. Davon profitieren jetzt vor allem die Notfälle, die bei ihr in der Station landen. Dort hält sie auch ihre eigenen Tiere.

"Schildkröten benötigen 35 Grad für ein gutes Leben", sagt Malguth. Allein deshalb sind die Außentemperaturen in unseren Breitengraden trotz heißer werdender Sommer für die wechselwarmen Reptilien weniger gut, als manche meinen, die sich Schildkröten zulegen. Dass Schildkröten als Haustiere im Trend liegen, "ist leider so", sagt die Expertin. Obwohl Schildkröten als geschützte Tierart gelten. Besitzer müssen deshalb eine EU-Bescheinigung, sozusagen einen Schildkröten-Führerschein, vorweisen und das Tier bei der Unteren Naturschutzbehörde anmelden. Hinzu kommt eine vorgeschriebene Fotodokumentation der Schildkröte, die bis zu einem bestimmten Gewicht und Alter jährlich erneuert werden muss.

Was beim Kauf einer Schildkröte ebenfalls immer wieder außer Acht gelassen wird: Die Lebenserwartung der Tiere ist mit der eines Menschen vergleichbar – und nicht mit der anderer typischer Haustiere, etwa Meerschweinchen, Kaninchen oder Katzen. Wer sich eine Schildkröte zulegt, übernimmt eine lebenslange Verantwortung, und sollte sich Gedanken machen, wer das Tier übernimmt, wenn man selbst nicht mehr ist.

Otto ist eine Afrikanische Spornschildkröte und mit 45 Kilo das Schwergewicht in der Auffangstation für Landschildkröten. Blütenblätter frisst er besonders gerne.
Foto: Thomas Obermeier | Otto ist eine Afrikanische Spornschildkröte und mit 45 Kilo das Schwergewicht in der Auffangstation für Landschildkröten. Blütenblätter frisst er besonders gerne.

Die Fälle, in denen das nicht funktioniert hat, die landen nicht selten in der Kitzinger Auffangstation. Entweder, weil – und das sind die traurigsten Fälle – die Besitzer die Tiere einfach ausgesetzt haben. Oder es sind Schildkröten, die dort abgegeben werden: von überforderten Besitzern, von Behörden, die die Tiere beschlagnahmt haben, oder von Tierheimen, die auf Schildkröten nicht eingestellt sind. Die Kitzinger Auffangstation für Landschildkröten ist eine der wenigen, die es in Deutschland gibt. Sie arbeitet mit allen fränkischen Tierheimen zusammen und übernimmt von ihnen Fundtiere. Ihr Renommee in Fachkreisen ist groß.

"Schildkröten sind keine Kuscheltiere."
Heike Feser, Zweite Vorsitzende des Vereins der Auffangstation

Aktuell leben in der Station über 80 Schildkröten, von erst wenige Wochen alten Jungtieren, die problemlos auf den Handteller eines Menschen passen, bis hin zu Otto, einer Afrikanischen Spornschildkröte und mit 45 Kilo das Schwergewicht unter den Stationsbewohnern. Pro Jahr zählt die Station 30 bis 40 Neuzugänge – und idealerweise ebenso viele Abgaben. Denn für die Tiere neue Besitzer zu finden, ist ein wichtiges Ziel der Arbeit, sagt Malguth.

Solange die Schildkröten jung sind, passen sie problemlos auf den Handteller eines Menschen.
Foto: Thomas Obermeier | Solange die Schildkröten jung sind, passen sie problemlos auf den Handteller eines Menschen.

Da Fundtiere nicht vermarktet werden dürfen, lassen sich mit der Abgabe von Schildkröten bei Weitem nicht die 15 000 Euro verdienen, die der Betrieb der Station pro Jahr kostet. Wegen der vielen UV-Wärmelampen beträgt allein die Stromrechnung rund 3000 Euro, die Tierarztkosten machen 6000 bis 7000 Euro aus. Ein Kraftakt steht zudem bevor: Das Nebengebäude, in dem der Quarantäne-Bereich für Neuankömmlinge untergebracht ist und wo die Schildkröten überwintern, ist baufällig und muss kommendes Jahr an gleicher Stelle neu errichtet werden. Nur der Ausbau wird etwa 30 000 Euro kosten, schätzen Malguth und Feser.

"Schildkröten benötigen 35 Grad für ein gutes Leben."
Sandra Malguth, Leiterin der Auffangstation

Auch deshalb freuen sich beide sehr über einen Brief aus dem Bayerischen Umweltministerium. Darin steht zu lesen, dass die Auffangstation am 20. Oktober in der Münchner Residenz den diesjährigen Bayerischen Tierschutzpreis erhält. Der bayerische Tierschutzbeirat hatte die Kitzinger Einrichtung, die seit drei Jahren dem bayerischen Landesverband des Deutschen Tierschutzbundes angehört, dafür ausgewählt. "Wir hoffen, dass jetzt ein breiterer Kreis unsere Arbeit sieht", wünscht sich Malguth mit Blick auf das aktuelle Spendenaufkommen. Denn Spenden und Mitgliedsbeiträge finanzieren die Auffangstation bislang; die Stadt Kitzingen, der Landkreis oder Bund und Land geben keine Zuschüsse. Die 3000 Euro Preisgeld, sind da wegen des anstehenden Bauprojekts nur "ein Tropfen auf den heißen Stein".

Artgerechte Haltung von Landschildkröten: Darauf kommt es an

Futter: Für Schildkröten sind grundsätzlich Kräuter und Blumen geeignet, die bei uns auf Wiesen und in der Natur vorkommen, bis auf wenige Ausnahmen wie Schöllkraut oder Efeu, die für Schildkröten giftig sind. Laut dieser Faustformel ist klar: Gurken, Salat oder etwa Tomaten sind als Futter ungeeignet. Sie enthalten zu viel Wasser und führen dazu, dass Schildkröten nicht mehr aktiv trinken. Ihre Nieren werden so geschädigt.
Winterstarre: Für die meisten in Europa vorkommenden Schildkrötenarten, auch für die am meisten verkaufte, die Griechische Landschildkröte, ist die Winterstarre notwendig. Die Tiere verbringen sie am besten in Form einer technisch kontrollierten Überwinterung im Freien, ersatzweise im Kühlschrank bei vier bis sechs Grad, wöchentlicher Frischluftzufuhr und Temperatur- und Gewichtskontrolle.
Gehege: Dieses befindet sich möglichst im Freien. Es muss ausbruchsicher und blickdicht umrandet und abwechslungsreich strukturiert sein sowie Futterpflanzen enthalten. Als Rückzugsort bei kühleren Temperaturen muss ein Frühbeet oder Gewächshaus vorhanden sein, das technisch so ausgestattet ist, dass der Boden dort nicht tief gefriert. Als absolute Notlösung dient die kurzfristige, nicht artgerechte Haltung in einem Terrarium in der Wohnung. Dann muss eine UV-Lampe das fehlende Tageslicht ersetzen. Deren Birne muss jährlich gewechselt werden, andernfalls bringt sie nicht die notwendige Leistung an UV-Strahlen, die verhindern, dass der Panzer der Schildkröten weich wird und sich verformt.
Tipp: Die Kitzinger Auffangstation für Landschildkröten bietet samstags von 11 bis 13 Uhr Informationsstunden für Interessierte an, die sich Schildkröten zulegen möchten. Dort erfährt man alles Wissenswerte und Notwendige über die artgerechte Haltung.
Kontakt, Infos und Anmeldung: www.landschildkroeten-auffangstation-kitzingen.de, E-Mail:  info@landschildkroeten-auffangstation-kitzingen.de oder Tel. (0160) 96967086.
 mim
Die Auffangstation für Landschildkröten in Kitzingen-Hoheim finanziert sich größtenteils über Spenden und Mitgliedsbeiträge des Vereins.
Foto: Thomas Obermeier | Die Auffangstation für Landschildkröten in Kitzingen-Hoheim finanziert sich größtenteils über Spenden und Mitgliedsbeiträge des Vereins.
 
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