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Iphofen
Schaurig-schönes Geheimnis: Was es mit dem Iphöfer Beinhaus und Tausenden Totenköpfen auf sich hat
Gruselig, makaber oder ganz natürlich? Im alten Gewölbe voller Gebeine und Schädel schaut Maria Scheller der Vergänglichkeit ins Gesicht. Ein Abstieg ins Reich der Toten.
Wie einst Andreas Brombierstäudl zündet auch Maria Scheller immer eine Kerze an, wenn sie das Beinhaus in Iphofen betritt.
Foto: Diana Fuchs | Wie einst Andreas Brombierstäudl zündet auch Maria Scheller immer eine Kerze an, wenn sie das Beinhaus in Iphofen betritt.
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 31.10.2024 02:41 Uhr

Die Glasscheibe ist winzig. Man würde achtlos an ihr vorbeigehen, wäre da nicht der Totenkopf. Er ist eingemeißelt in den Sandstein über der Holztür mit dem geheimnisvollen Guckloch. Also beugt man sich vor, lugt neugierig hinein – und zuckt unwillkürlich zurück: Knochen und Schädel zu Hunderten liegen da unten in einem Gewölbe. Arm- und Beinknochen, fein-säuberlich aufgeschichtet zu Wänden, Totenköpfe dazwischen, davor und darauf.

Wie haben diese Iphöfer wohl gelebt? Wer waren sie?
Foto: Diana Fuchs | Wie haben diese Iphöfer wohl gelebt? Wer waren sie?

Die gespenstische Glasscheibe befindet sich mitten in Iphofen, direkt neben der stattlichen Kirche St. Veit. Das sogenannte Beinhaus, in das sie Einblick gewährt, "ist eine von nur wenigen vollständig erhaltenen Anlagen Bayerns", wie Stadtarchivarin Susanne Kornacker sagt. Dabei waren solche "Karner" im Mittelalter häufig. Unter anderem zu Festtagen wie dem Gedenktag des heiligen Michael (29. September) oder an Allerseelen waren sie Ziel von Prozessionen und Totenkult.

Erzengel Michael wiegt die Seelen der Menschen beim "Jüngsten Gericht"

"Die Friedhöfe um die Kirchen waren klein, Seuchen wüteten. Man musste Grabstätten oft schon nach kurzer Ruhezeit wieder öffnen", erklärt die Historikerin. Nach damaliger Lesart habe man aufgefundene Knochen, die sterblichen Überreste der Ahnen, nicht einfach wegwerfen dürfen. Man sollte und wollte sie aufbewahren bis zur Auferstehung am "Jüngsten Tag", und zwar auf geweihtem Gelände.

Die sterblichen Überreste früherer Iphöfer sind im Beinhaus fein säuberlich aufgeschichtet.
Foto: Diana Fuchs | Die sterblichen Überreste früherer Iphöfer sind im Beinhaus fein säuberlich aufgeschichtet.

Die Lösung: Neben den Kirchen und Kirchhöfen entstanden Knochenkammern, oft in kleinen Kapellen. Diese wurden meist – so auch in Iphofen – dem Erzengel Michael gewidmet. Er gilt als der Begleiter der Verstorbenen auf dem Weg zu Gott. Beim "Jüngsten Gericht", so heißt es, wiege Michael die Seelen der Menschen. Die irdischen Knochen lagern unterdessen auf Friedhöfen oder in Beinhäusern.

Unzählige Lebensgeschichten verbergen sich hinter diesen Knochen und Schädeln.
Foto: Diana Fuchs | Unzählige Lebensgeschichten verbergen sich hinter diesen Knochen und Schädeln.

Das Iphöfer Beinhaus entstand wohl im 13. Jahrhundert. Maria Scheller kennt es bestens. Nicht oft, aber ab und zu schließt sie es für Interessierte oder Fachleute auf. Oder für die Presse. Sie möchte, dass der Ort nicht als eine Art Halloween-Schocker wahrgenommen wird, sondern so, wie ihr früherer Chef Andreas Brombierstäudl ihn beschrieben hat. "Er wollte kein Gruselkabinett, sondern einen Gedächtnisort, an dem man sich seiner natürlichen Sterblichkeit bewusst wird."

März 1960: In einer plötzlichen Aktion wird der Iphöfer Knochenkeller leergeräumt - harte Arbeit für die beauftragten Männer.
Foto: Andreas Brombierstäudl, Stadtarchiv Iphofen | März 1960: In einer plötzlichen Aktion wird der Iphöfer Knochenkeller leergeräumt - harte Arbeit für die beauftragten Männer.

Ohne Andreas Brombierstäudl hätte den Iphöfer Karner das gleiche Schicksal ereilt wie diejenigen in Markt Einersheim, Kitzingen, Volkach, Großlangheim oder Wiesentheid: Er wäre leergeräumt, sein Sinn vergessen worden.

Tageslicht fällt auf Spinnweben, Kerzenlicht auf Knochen

März 1960: Iphöfer Männer räumen den Karner und bringen die menschlichen Knochen und Schädel mit einem Fuhrwerk aus der Stadt. Andreas Brombierstäudl hält das Geschehen mit seiner Kamera fest (im Bild links Franz Ruft, daneben Ernst Kristof).
Foto: Andreas Brombierstäudl, Stadtarchiv Iphofen | März 1960: Iphöfer Männer räumen den Karner und bringen die menschlichen Knochen und Schädel mit einem Fuhrwerk aus der Stadt.

Maria Scheller steckt den Schlüssel ins Schloss der schweren Holztür. Knarzend öffnet sich die Luke, Tageslicht fällt auf Spinnweben und Steinstufen, die nach unten führen. Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit. Auf dem Lehmboden in der Gruft angekommen, zündet die Iphöferin als Erstes eine Kerze an. Warmes Licht flackert durch den Raum. Es lässt die Wände leuchten. Wände aus dem, was von unseren Vorfahren übriggeblieben ist.

Es herrscht pietätvolle Stille. "Andreas Brombierstäudl war Lehrer in Iphofen", erzählt Scheller leise. "Im März 1960 berichteten ihm seine Schüler, dass gerade das Beinhaus ausgeräumt wird." Brombierstäudl schnappte sich seinen Fotoapparat und hielt fest, wie Arbeiter mit Gabeln und Schaufeln jede Menge menschliche Schädel und Gebeine auf Karren luden und wegfuhren.

Das, was er gesehen hatte, lag Brombierstäudl offenbar jahrzehntelang auf der Seele. "Lange kämpfte er dafür, das leerstehende Beinhaus wieder zu dem zu machen, was es war", sagt Scheller. 1998 erteilte die Stadt Iphofen die Genehmigung, die Grube am Friedhof zu öffnen, in der die Gebeine verschwunden waren. Der frühere Schulrektor, mittlerweile Stadtarchivar und 83 Jahre alt, exhumierte und reinigte jeden Knochen. Hilfe bekam er von ein paar Männern, mit denen er schließlich alle Einzelteile zurück ins Beinhaus brachte.

So viele sterbliche Überreste früherer Iphöferinnen und Iphöfer...
Foto: Diana Fuchs | So viele sterbliche Überreste früherer Iphöferinnen und Iphöfer...

Viele Wochen verbrachte Brombierstäudl danach in den Katakomben der St. Michaelskapelle. Er baute stabile Wände aus kleinen Knochen von Fingern und Zehen und größeren wie Arm-, Bein- und Beckenknochen. Scheller erinnert sich: "‘Im Tod sind alle gleich‘, hat er immer gesagt."

Der Mostkopf, einst eingetauscht gegen Tabak und Kaffee, kehrt nach Iphofen heim

Um den "Iphöfer Mostkopf" (Mitte, auf dem Deckchen) rankt sich eine spannende Geschichte.
Foto: Diana Fuchs | Um den "Iphöfer Mostkopf" (Mitte, auf dem Deckchen) rankt sich eine spannende Geschichte.

"Gerne hätte er mehr über das Leben der Menschen erfahren", erinnert sich Brombierstäudls Mitarbeiterin. Doch die Datenlage ist spärlich. Vieles bleibt ein Geheimnis. Und selbst über den "Iphöfer Mostkopf" weiß man nur, dass er aus der Masse herausragt. Besagter Schädel sieht ein wenig vornehmer aus als die anderen, was vielleicht daran liegt, dass er alle Zähne im Kiefer hat. Der lange Aufenthalt in einem zahnärztlichen Milieu ist offensichtlich nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.

Maria Scheller erzählt die Geschichte so, wie sie sie von Brombierstäudl gehört hat: "Ein angehender Zahnarzt aus Würzburg wollte sich genauer mit der Anatomie des menschlichen Kopfes beschäftigen. Doch wie kommt man an einen Totenschädel? Seine Großmutter, die einmal zu Besuch in Iphofen gewesen war, berichtete ihm vom Beinhaus. Also setzte der Dentist alle Hebel in Bewegung und geriet an einen Iphöfer, der – gegen die Bereitstellung von amerikanischem Tabak, Kaffee und Zigaretten –, bereit war, ihn ins Beinhaus einzuschleusen."

Im Herbst 1945 entführte der Würzburger laut Maria Scheller einen Iphöfer Schädel. 60 Jahre später überkam ihn aber die Reue. Beim Tag des offenen Denkmals habe er den Schädel ins Beinhaus zurückgelegt mit den Worten: "Gott gebe dem mir liebgewonnenen Mostkopf, wie er in der Familie genannt wurde, die ewige Ruhe." Noch immer ruht der Schädel auf einem eigens für ihn gehäkelten Deckchen.

Warum das Iphöfer Beinhaus allen Stürmen der Zeit getrotzt hat

Sei dem Tod stets gewahr, Mensch! So in etwa lassen sich diese Worte aus dem Iphöfer Beinhaus in moderne Sprache übersetzen.
Foto: Diana Fuchs | Sei dem Tod stets gewahr, Mensch! So in etwa lassen sich diese Worte aus dem Iphöfer Beinhaus in moderne Sprache übersetzen.

Gruselig, makaber oder ganz natürlich? Wenn Maria Scheller sich im Beinhaus umschaut, sagt sie: "Es macht mir nichts aus, hier zu sein. Aber ich muss das nicht täglich haben." Generell findet sie es sehr bemerkenswert, dass der Iphöfer Karner bis ins 20. Jahrhundert hinein unangetastet blieb. Seit der Friedhof um St. Veit 1690 stillgelegt worden war, wurden von dort auch keine Gebeine mehr überführt.

Vielerorts wurden die Beinhäuser im Zuge der Reformation vollständig aufgelöst. Dass der Iphöfer Knochenkeller – ebenso wie der in Greding im Landkreis Roth – vergessen oder übersehen wurde, ist politischen Umbruchphasen zu verdanken. Die Stadt Iphofen lag im frühen 19. Jahrhundert nicht im Geltungsbereich aufklärerischer Gesetze.

Maria Scheller ist nicht mehr oft im Beinhaus. Aber wenn, dann nutzt sie die Chance und putzt zum Beispiel das Fensterchen, durch das man von außen in die Gruft hineinschauen kann.
Foto: Diana Fuchs | Maria Scheller ist nicht mehr oft im Beinhaus. Aber wenn, dann nutzt sie die Chance und putzt zum Beispiel das Fensterchen, durch das man von außen in die Gruft hineinschauen kann.

Maria Scheller findet, dass man sich beim Anblick der Gebeine nicht nur der eigenen Sterblichkeit bewusst wird, sondern eben auch der eigenen Vitalität. Sie sagt: "Letztendlich sollen diese Räume voller Gebeine längst verstorbener Generationen uns die Gelegenheit geben, Ja zum Leben zu sagen, indem wir den Tod annehmen." Sie bläst die Kerze aus, wendet sich um und steigt die Treppe hinauf. Zurück ins Tageslicht.

 
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  • Peter Koch
    Jedes mal wenn ich nach Iphofen komme schaue ich nach ob es diesen Iphöfnern auch gut geht. Gruselig ist da gar nichts und eigentlich sollte man Beinhäuser wieder einführen.
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