
Masken aus China, Öl und Gas aus Russland: In der Pandemie und im Ukraine-Krieg ist uns plötzlich klar geworden, wie abhängig wir uns von anderen Ländern gemacht haben. Auch in Sachen Ernährung ordnen wir uns Mächten unter, deren Entwicklung wir nicht steuern können. Wer einen Garten hat, der kennt das: Samenfestes Gemüse zu finden – Saatgut, aus dem wieder neue Pflanzen wachsen können – wird zunehmend schwer. Wir werden in Sachen Saatgut immer abhängiger von wenigen Global Playern.
Keiner weiß das besser als Erich Gahr. Der Kitzinger, den alle nur in Arbeitshose, kariertem Hemd und mit wettergegerbtem Gesicht kennen, ist seit einem halben Jahrhundert quasi auf dem Feld daheim. In Rente gehen? Bei dem Gedanken lacht der Biobauer nur. Der 68-Jährige lebt und schuftet für die Solawi, die Solidarische Landwirtschaft, einen Verein motivierter Menschen, die frische, gesunde, biologisch angebaute Lebensmittel schätzen und sie deshalb, unter Gahrs fachkundiger Regie, selbst kultivieren.
Nun hat Gahrs Solawi sich der fränkischen Initiative „Wir für Vielfalt“ angeschlossen – für drei Saat- und Pflanzgut-Tauschbörsen, von denen eine auf Gahrs Biohof stattfindet. Hinter „Wir für Vielfalt“ stehen sechs Frauen aus dem Raum Kitzingen/Würzburg, denen nachhaltige Landwirtschaft und Pflanzenvielfalt wichtig sind. Sinn der drei Tauschbörsen ist es zum einen, Hobbygärtnern ein Forum zu bieten, um Samen, Jungpflanzen oder Stauden miteinander zu teilen.
Die Tauschbörsen sollen zum anderen das Bewusstsein dafür schärfen, dass ganz wenige Großkonzerne den weltweiten Saatgutmarkt für Nutzpflanzen unter sich aufteilen. „Das bedroht die genetische Vielfalt und damit die Ernährungssicherheit“, warnt Edith Sachse von „Wir für Vielfalt“. „95 Prozent des weltweiten Gemüsesaatgutes ist bereits in der Hand von gerade mal fünf Konzernen“, rechnet Edith Sachse vor. „Beim Getreide gehören 60 Prozent des Saatgutes sieben, acht Unternehmen.“
Genau deshalb hofft die Burggrumbacherin, die der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) angehört, dass immer mehr Menschen, Landwirte, aber auch Hobbygärtner den Wert von samenfestem Saatgut erkennen, es anbauen, vermehren und teilen.
Warum die Machtkonzentration beim Saatgut so gefährlich ist, erklärt Erich Gahr. „In Deutschland und Europa haben Hybridsorten, also Hochleistungssorten, die für die Weitervermehrung aus der eigenen Ernte nicht geeignet sind, bei zahlreichen Gemüsearten – etwa Mais, Zuckerrüben, Zwiebeln, Tomaten – einen Marktanteil von über 90 Prozent. Sie werden auf möglichst hohe Erträge gezüchtet.“ So genannte F1- und CMS-Hybride liefern besonders reiche Ernten. Schön. Eigentlich.
Denn die Crux an der Sache ist: CMS steht für „cytoplasmatische männliche Sterilität“ – das bedeutet, dass die Sorte genetisch so verändert wurde, dass keine Pollen mehr gebildet werden. Die Nachkommen aller Hybriden sind zwar sehr ertragreich – aber nur in der ersten Generation (F1); als Saatgut sind sie ebenso untauglich wie die Nachkommen von F1-Kreuzungen.
„Das heißt, dass man jedes Jahr sein Saatgut neu beim Züchter kaufen muss“, erklärt Erich Gahr, und Petra Haas-Weiglein von „Wir für Vielfalt“ fügt hinzu: „So wird naturnahes Arbeiten immer schwieriger. Es fehlt samenfestes Saatgut, das der Gärtner weiter vermehren kann.“
„Dazu kommen dann noch die wahnsinnigen Verflechtungen zwischen der Saatgut- und der sogenannten Pflanzenschutz-Industrie“, führt Edith Sachse ein weiteres Problem an. Die großen Player der Agrarindustrie dominieren nicht nur den Markt für Saatgut, sondern auch für Fungi- und Pestizide, Futter- und Düngemittel sowie auch gentechnisch verändertes Saatgut. „Es ist überhaupt nicht im Interesse dieser Großkonzerne, Pflanzen durch herkömmliches Züchten widerstandsfähiger oder klimatoleranter zu machen.
Neben Hybriden schaffen vor allem auch gentechnisch veränderte Pflanzen Abhängigkeiten der Landwirte und Gärtner von den Konzernen.“ Durch solche Abhängigkeiten generieren die Saatgutfirmen große Gewinne. So kommt es, dass weltweit immer weniger Sorten auf immer größeren Feldern wachsen – zur Nahrungserzeugung, aber auch um den wachsenden Markt für nachwachsende Rohstoffe zu beliefern.
Aber heißt es nicht oft, das „Einheitsgemüse“ der industrialisierten Landwirtschaft sei die einzige Möglichkeit, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren? Erich Gahr schüttelt bei diesem Argument missbilligend den Kopf. Genau anders herum werde ein Schuh draus. „Die Menschen müssen sich selbst ernähren können – und dazu ihr eigenes Saatgut nutzen dürfen.“
Wenn es gelingt, möglichst viele kleinbäuerliche Strukturen zu erhalten, könne die natürliche Biodiversität auch hinsichtlich des Klimawandels gute Dienste leisten, meint Gahr. „Je heterogener der Genpool ist, desto besser können Pflanzen sich an künftige Herausforderungen anpassen.“
Was kann jeder einzelne Mensch für die Vielfalt tun? Georg Theisen, 1. Vorsitzender der Solawi Kitzingen, zählt auf: „Mehr auf die innere Qualität der landwirtschaftlichen Erzeugnisse achten als auf eine perfekte Optik. An einer gelben Rübe aus Bioanbau muss man vielleicht mal ein Eckchen abschneiden, aber dafür schmeckt sie ganz anders als Einheitsware. Außerdem: Bereits sein, sich auf regionale und saisonale Produkte einzulassen.“
Eine Möglichkeit dazu bietet die Saatgut- und Pflanzentauschbörse. Dort gibt es samenfestes Saatgut von (Hobby-)Gärtnern aus der Region, geteilte Stauden, Kartoffeln zum Pflanzen und Raritäten wie zum Beispiel Topinambur. Natürlich dürfen auch vorgezogene Pflanzen nicht fehlen, Tomatensämlinge in großer Vielfalt, zum Beispiel „Marmorossa“, eine marmorierte Romatomate, oder die „ukrainische Birne“, außerdem Paprika und Peperoni, Physalis…
„Wir freuen uns auf reges Tauschen“, sagt Anne Vogler („Wir für Vielfalt“) und Erich Gahr ergänzt: „…und auf gute, informative Gespräche.“
Der 68-Jährige schiebt seine karierten Hemdsärmel hoch und sieht dabei ein bisschen aus wie ein Rebell – ein Rebell, der keiner Konzernmacht der Welt das Feld freiwillig überlassen will. Einer, der um jede alte Saatgutsorte kämpft – und gegen die Abhängigkeit von undurchsichtigen Riesen der Agrarindustrie.
Saat- und Pflanzgut-Tauschbörsen: Sie haben Blumen- oder Gemüsesamen übrig oder Pflanzen? Sie möchten diese gerne eintauschen oder verschenken? Sie wollen selbst etwas Neues anbauen? Bei folgenden Saat- und Pflanzguttauschbörsen ist das ohne Anmeldung möglich:
Am Samstag, 9. April, ab 14 Uhr in der Biogärtnerei Gahr, 97318 Kitzingen, Mainbernheimer Straße 64 (Hofladen offen, Führungen durch die Biogärtnerei, die Solawi stellt sich vor), am Sonntag, 10. April, ab 14 Uhr auf dem Hof Sachse in 97294 Burggrumbach, Bergstraße 28 (Hofladen geöffnet, offene Stalltür) und am Samstag, 16. April, von 10 bis 13 Uhr bei „Querbeet“, dem Hofladen am Bürgerbräugelände in der Frankfurter Straße 87 in 97082 Würzburg.
An allen drei Stationen gibt es Kaffee und Kuchen (in Kitzingen vom Eine-Welt-Team) sowie ein kleines Programm für Kinder. (ldk)
Alle Infos: www.wir-fuer-vielfalt.de
Saatgut im Wandel
Giganten: Jahrtausende lang haben Bauern ihr Saatgut immer wieder ausgesät und es untereinander getauscht. Das änderte sich in den 1990er Jahren. Damals kamen neue, gentechnisch veränderte Nutzpflanzen auf den Markt und Regierungen erließen Gesetze zu deren Schutz. Heute kontrollieren wenige Konzerne – Bayer (Monsanto), Corteva (DowDupont), Syngenta (ChemChina), BASF, KWS und Vilmorin – den weltweiten Saatgutmarkt. So sind gigantische Monopole entstanden, die die globale Nahrungsmittelversorgung dominieren; immer mehr Lebensmittel basieren auf immer weniger genetischer Vielfalt. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen verschwanden im vergangenen Jahrhundert 75 Prozent der weltweiten Nutzpflanzen. Experten warnen vor schwerwiegenden Folgen für die Ernährungssicherheit.
Saat- und Pflanzgut-Tauschbörsen: Sie haben Blumen- oder Gemüsesamen übrig oder Pflanzen? Sie möchten diese gerne eintauschen oder verschenken? Sie wollen selbst etwas Neues anbauen? Bei folgenden Saat- und Pflanzguttauschbörsen ist das ohne Anmeldung möglich:
Am Samstag, 9. April, ab 14 Uhr in der Biogärtnerei Gahr, 97318 Kitzingen, Mainbernheimer Straße 64 (Hofladen offen, Führungen durch die Biogärtnerei, die Solawi stellt sich vor), am Sonntag, 10. April, ab 14 Uhr auf dem Hof Sachse in 97294 Burggrumbach, Bergstraße 28 (Hofladen geöffnet, offene Stalltür) und am Samstag, 16. April, von 10 bis 13 Uhr bei „Querbeet“, dem Hofladen am Bürgerbräugelände in der Frankfurter Straße 87 in 97082 Würzburg.
An allen drei Stationen gibt es Kaffee und Kuchen (in Kitzingen vom Eine-Welt-Team) sowie ein kleines Programm für Kinder. (ldk)
Alle Infos: www.wir-fuer-vielfalt.de



