Komplexe Bordnetzsysteme? Damit kennt sich Leoni aus. Mit dem Kauf von Krankenwägen nicht. Und doch hat das Unternehmen zwei solcher Fahrzeuge erworben und diese Woche voll gepackt mit Sachspenden in die Ukraine gefahren. Sie sind ein kleiner Teil einer riesigen Hilfsaktion, mit der die Leoni-Belegschaft weltweit die Kollegen in der Ukraine unterstützt. Die gehen derweil trotz der kritischen Lage in ihrer Heimat hochmotiviert ihrer Arbeit nach.
„Leoni und seine Beschäftigten stehen an der Seite der Ukraine“ – das hat das Unternehmen in dieser Woche bei einem Gespräch in Kitzingen bekräftigt und Jürgen Rauhut, im Unternehmen für Nachhaltigkeit und humanitäre Hilfe zuständig, hat die Worte mit eindrucksvollen Zahlen belegt. Die Belegschaft in aller Welt setzt sich ein – im Werk, aber auch im privaten Umkreis –, um den Kollegen in der Ukraine zu helfen. Mit Sachspenden sowie Geldspenden, von denen nach und nach weitere Hilfsgüter beschafft wurden und werden.
Geld vom Standort Roth
Der Betriebsrat des Standortes Roth hat das Geld gespendet, das Beschäftigte über Jahrzehnte in einem Sterbegeldfonds gesammelt hatten – alleine daraus gingen mehr als 57.000 Euro in die Ukraine. Leoni selbst hat weitere 280.000 Euro zur Verfügung gestellt. Davon wurden zuletzt in Kooperation mit Edeka rund 50 Tonnen Lebensmittel gekauft und in die Ukraine gebracht. Derzeit sind zwei Krankenwägen auf dem Weg in die Ukraine, die Leoni gebraucht gekauft und mit Hilfsgütern beladen hat. Zwei Mitarbeiter aus der Ukraine sind mit dem Zug nach Deutschland gekommen und fahren die beiden Fahrzeuge nun in ihr Heimatland.
Vorbildlicher Einsatz
„Die Solidarität und die Hilfsbereitschaft, die wir weltweit im Unternehmen erleben, ist überwältigend“, betont Ursula Bienert, Personalvorständin von Leoni. Egal, ob es darum gehe, Geld zu spenden, Hilfsgüter zu sammeln oder in Fragen der Logistik zu unterstützen. „Unsere Beschäftigten setzen sich täglich in vorbildlicher Weise für die Kollegen in der Ukraine ein.“
Werke waren geschlossen
Für diese Kollegen hat sich mit dem 24. Februar vieles verändert. Etwa 7000 Mitarbeiter produzieren in Stryj (Region Lemberg) und in Kolomyia (Region Iwano-Frankiwsk), beide in der West-Ukraine, Kabelsätze im Pkw- und Nutzfahrzeugsegment und liefern an europäische Kunden in verschiedenen Ländern. Nach dem Angriff Putins wurden die beiden Werke zunächst geschlossen. Doch schon nach einer Woche begann die Produktion auf Wunsch der Beschäftigten wieder, wie Jürgen Rauhut informiert, und wurde sukzessive hochgefahren. „Wir können unsere Lieferverpflichtungen einhalten und den Bedarf der Kunden decken.“
Auch das Qualitätsniveau sei so hoch wie vor dem Krieg. Eine Task-Force stehe täglich mit den Werken in der Ukraine in Kontakt, um zu unterstützen und zu helfen. Ende März besuchte Leoni-Vorstand Ingo Spengler das Werk in Stryj, informierte sich über die Lage und sicherte den Mitarbeitern in der Ukraine die Unterstützung von Unternehmen und Kollegen zu.
Etwa 100 Mitarbeitende aus den beiden ukrainischen Werken haben mit ihren Kindern in Rumänien Sicherheit gesucht und arbeiten in dortigen Leoni-Werken. Zirka 5000 Mitarbeiter gehen dagegen im Schichtbetrieb in Stryj und Kolomyia wieder ihrer Arbeit nach – auf freiwilliger Basis und unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen. „Der Sicherheitsaspekt stand von Anfang an immer im Vordergrund“, betont Jürgen Rauhut. Immer wieder gibt es Fliegeralarm, dann wird die Arbeit unterbrochen, die Menschen suchen in extra ausgestatteten Bunkern Schutz. Diese Bunker waren auch Voraussetzung dafür, dass die Arbeit in Abstimmung mit der Regierung überhaupt wieder aufgenommen werden konnte. Die Mitarbeiter müssen die Möglichkeit haben, in kürzester Zeit Schutz zu finden.
Für die Belegschaft in den anderen Leoni-Standorten war zu Beginn des Krieges sofort klar: Wir müssen unsere Kollegen unterstützen. „Das Engagement und die Motivation der deutschen Kollegen hat uns überwältigt“, wählt Jürgen Rauhut nahezu die gleichen Worte wie Ursula Bienert. Anfangs wurden Sachspenden gesammelt. In kürzester Zeit kamen aus Deutschland und weiteren Ländern über 60 Tonnen Hilfsgüter zusammen.
Mehrere Paletten Hilfsgüter
Alleine die Mitarbeiter in Kitzingen, Roth und Nürnberg sowie Firmen aus der Region trugen in den ersten Tagen nach dem Aufruf mehrere Dutzend Paletten mit dringend benötigten Dingen zusammen – von Nahrungsmitteln über Hygieneartikel bis zu Medizin- und Pflegeprodukten. „Wo sonst Besprechungen stattfinden, stapelten sich Windeln, verschreibungsfreie Arzneien, Isomatten und Powerbanks.“ Den Transport übernahm Leoni – erfahren in internationaler Logistik – selbst und so kam schon am 16. März die erste Lieferung in der Ukraine an. Die Spenden wurden in der Ukraine sortiert und nach Bedarf verteilt.
Hilfe bei Verein gesucht
Weil Leoni keinen eigenen Verein für humanitäre Hilfe hat und um die Hilfe besser zu koordinieren, suchte sich das Unternehmen Mitstreiter und wird bei der Organisation der Geldspenden und der Beschaffung von Hilfsgütern von „Hermine e.V.“ und „Liebe im Karton e.V.“, beide in Würzburg ansässig, unterstützt. „Wir lernen von beiden Vereinen, wie wir helfen können“, erklärt Jürgen Rauhut, zumal beide gut vernetzt sind, mit anderen Organisationen kooperieren und Hilfprojekte und -Transporte koordinieren.
Tägliche Transporte
„Jeder Kontakt in diesem Netzwerk zählt“, so Tobias Winkler von „Liebe im Karton“. „Jeder steuert bei, was er beisteuern kann“, ergänzt Vera Hoxha von „Hermine“. Leoni spielt nicht nur mit Sach- und Geldspenden eine wichtige Rolle, sondern auch bei der Logistik. „Wir haben täglich Transporte“, so Rauhut, „da stellen wir die Hilfsgüter mit drauf. In den Gemeinden werden sie abgeladen und nach Bedarf verteilt.“ Mitgenommen werden dabei auch Hilfsgüter für andere Organisationen.
Langfristigkeit ist wichtig
Alle drei betonen, wie wichtig die langfristige Hilfe ist. „Wir wollen das aufrecht erhalten und Solidarität zeigen, wie lange es auch immer dauern wird“, so Rauhut. Dass die Situation nach wie vor kritisch ist, zeigt sich nicht nur in der Ostukraine. Denn nur wenige Stunden, nachdem Rauhut gesagt hatte, die Mitarbeiter seien zum Glück „nicht direkt vom Krieg betroffen“, gingen Nachrichten über einen nächtlichen Raketenangriff in der Region Stryj ein.
Die Leoni-Werke wurden nicht beeinträchtigt, die Einschläge lagen nicht in unmittelbarer Nähe. Und doch wird einmal mehr bewusst: Die Gefahr ist nicht vorbei.