Rosen, Äpfel, Teebeutel: Am ersten Schultag werden nicht nur Schultüten verteilt. Vertreter von Parteien stehen vor vielen Schulhäusern und überreichen kleine Geschenke an die Eltern. Nicht jedem gefällt das. Stefan Wolbert ist Schulleiter der Realschule in Dettelbach. Er ist außerdem Schulreferent der Freien Wähler im Kreisverband Kitzingen. Und er ist der Meinung: „Jetzt ist ein Level erreicht, an dem Einhalt geboten werden sollte.“ Sein Aufruf: Finger weg von den Erstklässlern. Mit der SPD fing alles an. Karin Radermacher hatte die Idee vor etwa 30 Jahren. Die Mütter von Erstklasskindern sollten am ersten Schultag eine rote Rose überreicht bekommen. „Eine schöne Geste“, findet Astrid Glos auch heute noch und berichtet von vielen glücklichen Müttern vor den Schultoren. „Wir wollen einfach Danke an die Mütter sagen“, erklärt sie. „Natürlich bekommen auch alleinerziehende Väter eine Rose, wenn sie wollen.“
Die SPDler standen lange allein
630 Rosen hat die SPD-Stadträtin in diesem Jahr bestellt. Nicht nur die Kitzinger SPD macht bei dieser Aktion mit, auch Ortsvereine sind dabei. „Wir diskutieren aber schon seit vielen Jahren intern, ob das auch weiterhin sinnvoll ist“, bekennt sie. Bis dato haben sich die Befürworter durchgesetzt. Zirka 20 Jahre lang standen nur die SPD-Vertreter vor den Schultoren. Dann kamen die Kollegen der CSU und der FBW-FW, also der Freien Wähler in Kitzingen dazu. Seither bekommen Erstklasseltern an manchen Schulen nicht nur eine Rose überreicht, sondern auch einen Teebeutel beziehungsweise einen Apfel mitsamt Tipps zum Leichter Lernen. Gerade daran entzündet sich die Kritik von Stefan Wolbert.
Auf dem Flyer, der von der Frauen-Union verteilt wird, werden nicht nur Tipps á la „Düfte fordern die Konzentration oder 'Stellen Sie ein Glas Wasser oder Apfelschorle auf den Schreibtisch' gegeben, es befindet sich dort auch ein Verweis auf ein Buch, das Barbara Becker vor ihrer Zeit als Landtagsabgeordnete der CSU geschrieben hat. „Mehr Lerntipps finden Sie in dem Buch 'Leichter Lernen – ein Erste-Hilfe-Paket für gestresste Eltern' von Barbara Becker“, heißt es auf dem Flyer. Die damalige Unternehmensberaterin erklärt auf Nachfrage, dass ihr Buch gar nicht mehr käuflich zu erwerben ist. Warum dann trotzdem dafür geworben wird? Vor zehn Jahren seien etwa 2000 dieser Flyer gedruckt worden, seither verteilen sie Mitglieder der Frauen-Union an den Einschulungstagen. „Jetzt hatten wir noch 200 übrig und uns überlegt, was nachhaltiger ist“, sagt Becker. „Die Flyer neu drucken und die Restbestände einsammeln oder die verbliebenen Flyer zu verteilen.“ Becker wünscht sich „ein bisserl mehr Entspannung“ in der Debatte. Als ihre Kinder eingeschult wurden, habe sie selbst eine Rose überreicht bekommen. „Ich fand das schön, würde deshalb aber nie die SPD wählen.“ Parteien seien ein Teil der Gesellschaft und müssten irgendwo ihrer Aufgabe, zur politischen Willensbildung beizutragen, nachkommen, argumentiert sie.
Ob der erste Schultag dafür der richtige Zeitpunkt ist? Die Grünen und die ÖDP meinen Nein. „Wir werden uns an der Aktion 'Wählerfang zum Schulanfang' sicherlich nicht beteiligen“, sagt Grünen-Kreissprecherin Andrea Drexelius. Wahlwerbung habe auf dem Pausenhof nichts verloren, dieser Tag sollte nicht politisch ausgenutzt werden.
Privater Tag für Familien
„Mich hat es als Mutter früher schon selbst immer sehr genervt, wenn der Bürgermeister und die Gemeinderäte an der Schultüre Spalier standen“, erinnert sie sich. Viel wichtiger wäre es, dass die Politiker dafür sorgten, dass Schulwege sicherer sind und dass es gesundes Essen in den Schulen gibt. Ähnlich argumentiert Jens Pauluhn von der ÖDP. „Die Einschulung ist ein ganz privater Tag für die Familien, da hat Wahlwerbung nichts verloren.“ Für viele Eltern, Großeltern und Freunde sei der Tag ein freudiger Anlass, einen wichtigen Schritt im Leben der Kinder zu feiern. „Dieser Tag sollte aus Sicht der ÖDP in Kitzingen auch diesem Personenkreis vorbehalten bleiben.“
Dem Kreisrat der Freien-Wähler, Stefan Wolbert, spricht er damit aus der Seele. „Wir sollten diese Aktion Parteien übergreifend herunterfahren“, wünscht er sich, wohl wissend, dass auch seine Partei in Kitzingen daran teil nimmt. Die FBW-FW verteilt Teebeutel – als Beruhigung für gestresste Mütter gedacht. „Solche Geschenke braucht doch kein Mensch“, meint Wolbert. Mit seinem Vorstoß, die Verteilaktion zu beenden, steht er nicht alleine da. „Wir diskutieren jedes Jahr aufs Neue, ob wir weiter machen“, erklärt Dr. Uwe Pfeiffle von den Freien Wählern in Kitzingen. Die Eltern würden sich zwar über die Geste freuen, aber ins Gespräch komme an so einem Tag selbstredend nicht. „Da geht es ja auch um etwas ganz anderes“, sagt Pfeiffle. „Alle sind aufgeregt und angespannt.“ Im letzten Jahr habe er deshalb das Gespräch mit den anderen Parteien gesucht, aber keine Übereinkunft erreichen können. „Wir hatten vor zwei Jahren auch schon mal vorgeschlagen, damit aufzuhören“, berichtet Barbara Becker. „Wir diskutieren das Jahr für Jahr ebenfalls intern“, meint Astrid Glos.
Noch keine Beschwerde
Die Schulleiter im Landkreis Kitzingen haben sich mit den Parteienvertretern vor dem Schulgelände längst arrangiert. „Da kam noch nie eine Beschwerde“, sagt Schulamtsdirektor Veit Burger vom Kitzinger Schulamt. Rein rechtlich gebe es keine Schwierigkeiten, so lange die Politiker nicht das Schulgelände betreten. „Wir können den Parteien keine Vorschriften machen, an welchem Tag sie für sich werben wollen“, sagt Burger und spricht einen Satz, den sicherlich alle Beteiligten unterschreiben können: „Die Hauptpersonen an diesem Tag sollten aber die Kinder sein.“