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Kitzingen
Pogrom: Gedenkgang wider das Vergessen
Beim Gedenkgang durch die Straßen des Mühlberggebietes erinnerten sich die Teilnehmer an die jüdischen Mitbürger, die dort einstmals gewohnt haben und während des NS-Regimes ermordet wurden.
Foto: Waltraud Ludwig | Beim Gedenkgang durch die Straßen des Mühlberggebietes erinnerten sich die Teilnehmer an die jüdischen Mitbürger, die dort einstmals gewohnt haben und während des NS-Regimes ermordet wurden.
Waltraud Ludwig
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:54 Uhr

Vor 80 Jahren brannte, wie in vielen anderen deutschen Städten auch, die Kitzinger Synagoge. Die sogenannte "Reichskristallnacht" gilt als Beginn des größten Massenmords der Menschheitsgeschichte, der am Ende zwischen fünf und sechs Millionen jüdische Männer, Frauen und Kinder zum Opfer fielen. Auch in Kitzingen wurden jüdische Bürger aus ihren Häusern vertrieben, deportiert und in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet. An sie erinnerte ein Gedenkgang entlang der "Stolpersteine" im Mühlberggebiet, zu dem die CSU-Ortsgruppe mit der Jungen Union und Paneuropa Jugend eingeladen hatte.

Die Idee zu der Gedenkveranstaltung entstand aus der Jungen Union heraus. "Wir wollten bewusst ein Zeichen setzen", erklärte JU-Kreisvorsitzende Sabrina Stemplowski. Nicht nur, weil sich die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 heuer zum 80. Mal jährt. Gerade in der heutigen Zeit sei es von "größter Bedeutung, gegen politischen Extremismus Stellung zu beziehen" und sich "an das zu erinnern, was damals geschehen ist", so die JU-Kreisvorsitzende.

Kerzen aufgestellt

Rund 20 Bürger waren der Einladung der CSU-Ortsgruppe gefolgt. Vom neuen Koffer-Denkmal am Rosengarten aus zogen sie zunächst ins Mühlberggebiet und dann weiter zum Hindenburg-Ring und in die Landwehrstraße. Zahlreiche "Stolpersteine" erinnern daran, dass hier einstmals viele jüdische Familien lebten. Als Zeichen des Gedenkens stellten die Teilnehmer vor den ehemaligen Wohnhäusern der ermordeten Bürger Kerzen auf und gedachten ihrer in einem kurzen Moment der Stille. Auch ihre Namen wurden vorgelesen, wann sie geboren wurden und wann sie in die Vernichtungslager deportiert wurden.

Was die jüdischen Bürger Kitzingens erleiden mussten, wurde besonders an einigen Lebensgeschichten deutlich, die Sabrina Stemplowski gemeinsam mit Gerlinde Martin, dem JU-Ortsvorsitzenden Michael Meier, dem Vorsitzenden der Paneuropa Jugend Franken, Daniel Nagl, sowie der CSU-Landtagsabgeordneten Barbara Becker und deren Ehemann Norbert Kahl aufzeigten. Die kurzen Biographien zeigten, wie die ermordeten Kitzinger gehofft, gekämpft und am Ende doch gegen das brutale Nazi-Regime verloren haben.

Das Schicksal der Familie Wohlgemuth

Beispielhaft für viele ist das Schicksal der Rabbinerfamilie Wohlgemuth, die in der Paul-Eber-Straße wohnte: Dr. Joseph Wohlgemuth war 23 Jahre lang Rabbiner in Kitzingen. Nachdem er 1935 mit 50 Jahren starb, trat sein Sohn Gotthelf seine Nachfolge an. Nach der Reichspogromnacht und den zunehmenden Repressalien durch die Nazis wanderte dieser 1939 zusammen mit seinem Bruder Shimon in die USA aus. Der jüngste Bruder Leo versuchte zunächst, über einen Kindertransport nach Belgien den Nazi-Schergen zu entrinnen. Nach der Besetzung durch die Wehrmacht wurde der Jugendliche jedoch wieder zurück nach Kitzingen geschickt. Trotz aller Bemühungen gelang es den beiden älteren Brüder nicht, den Bruder und die Mutter Luise zu retten. Beide wurden 1942 nach Izbica deportiert.

Das Schicksal von Rosa Stein

Zu den Opfern des Nationalsozialismus gehörte auch Rosa Stein, die in der Moltkestraße 3 wohnte. In den 1920er Jahren hatte sie innerhalb weniger Jahre Mann und Sohn verloren. Nach der NS-Machtergreifung hätte sie die Möglichkeit gehabt, ins Exil nach Kuba zu gehen. Weil sie ihre Schwester in Würzburg jedoch nicht alleine lassen wollte, ließ sie ihr Ticket verfallen. Beide Schwestern wurden am 25. April 1942 nach Krasniczyn in den Tod geschickt. In ihrem Nachruf bezeichnete CSU-Landtagsabgeordnete Barbara Becker die ermordete Kitzingerin als Vorbild und starke Frau, die "aus Liebe zum Nächsten ihr eigenes Leben gegeben" habe.

So wie Rosa Stein hofften auch viele andere Kitzinger Juden, der Verfolgung durch die Nazis zu entkommen. Einigen gelang die rechtzeitige Auswanderung in die USA, nach Palästina oder in andere Länder. 204 Männer, Frauen und Kinder, die einstmals in Kitzingen lebten und wirkten, hatten nicht dieses Glück. Sie wurden deportiert, ermordet und sahen ihre Heimat nie wieder. "Über diesen Teil unserer Geschichte müssen wir reden und sie in Erinnerung behalten", betonte Sabrina Stemplowski. Nie wieder dürften sich "solche Gräueltaten wiederholen".

Kerzen neben den 'Stolpersteinen' erinnerten an die jüdischen Mitbürger, die einstmals in Kitzingen gelebt haben. Auch vor dem ehemaligen Wohnhaus von Leo und Luise Wohlgemuth in der Paul-Eber-Straße wurden zwei Lichter aufgestellt.
Foto: Waltraud Ludwig | Kerzen neben den "Stolpersteinen" erinnerten an die jüdischen Mitbürger, die einstmals in Kitzingen gelebt haben.
 
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