Seit drei Wochen werden wir täglich mit Bildern des Leids in der Ukraine konfrontiert. Viele Menschen sind betroffen und erschüttert. Manche werden durch das Grauen innerlich richtiggehend gelähmt. Was hilft uns heraus aus dieser Erstarrung? Wir haben einen weisen Mann aus dem Benediktinerkloster Münsterschwarzach um Rat gefragt: Pater Anselm Grün.
Pater Anselm: Zunächst ist unsere Betroffenheit ein gutes Zeichen – ein Zeichen unserer Solidarität mit den Menschen in der Ukraine.
Pater Anselm: Der Vater eines Schülers erzählte mir, dass ein Lehrer gesagt habe, er wisse gar nicht mehr, warum er Unterricht geben solle. Es habe doch alles keinen Sinn. Andere sind so betroffen, dass sie kaum Kraft haben, ihre täglichen Aufgaben zu erfüllen. Das ist verständlich. Doch wenn wir uns so lähmen lassen, helfen wir keinem.
Pater Anselm: Wir spüren natürlich unsere Ohnmacht angesichts des Krieges. Doch vielleicht projizieren wir unsere Ohnmacht, die wir auch in uns immer schon gespürt haben, auf das Kriegsgeschehen, gegen das wir ohnmächtig sind. Dann verstärkt die Ohnmacht dem Krieg gegenüber unsere Ohnmacht, unser Leben gut zu gestalten. Daher ist es wichtig, dass wir zunächst – bei aller Verbundenheit mit den Leidenden – unterscheiden zwischen ihrer Situation und unserer. Wir brauchen einen eigenen Stand, damit wir trotz allem unser Leben leben können. Dann geht es darum, aktiv auf die Situation in der Ukraine zu reagieren.
Pater Anselm: Eine Form aktiver Reaktion ist das Gebet. Wir tun etwas, wir wenden uns an Gott. Wir könnten uns mit Freunden zusammenschließen, so dass wir gemeinsam beten, gemeinsam einen Gottesdienst besuchen. Dann fühlen wir uns nicht mehr ohnmächtig. Wir vertrauen, dass unser Gebet etwas bewirkt in den Köpfen der Menschen. Eine andere Form der aktiven Reaktion ist, für die Menschen in der Ukraine zu spenden. Auch da tut es uns gut, wenn wir uns mit anderen zusammentun und überlegen, ob wir gemeinsam eine Hilfe organisieren. Dann bekommen wir mehr Kraft, etwas in die Hand zu nehmen. Oder wir können uns überlegen, ob wir den aus ihrer Heimat Vertriebenen für eine begrenzte Zeit Obdach gewähren könnten.
Pater Anselm: So ist es. Wenn wir aktiv reagieren, dann fühlen wir uns nicht mehr gelähmt. Wenn wir nur gelähmt auf das Leid der Menschen in der Ukraine reagieren, helfen wir niemandem – und wir schaden uns selbst.
Pater Anselm: Wenn wir nicht mehr beten können, können wir eine Kerze anzünden für die Menschen in der Ukraine. Oder wir können uns einfach still hinsetzen und das Leid der Menschen in der Ukraine, das dann in uns hochkommt, Gott hinhalten, mit der Bitte, dass seine heilende Liebe in dieses Leid strömt und es verwandelt. Dann brauchen wir keine Worte. Wem das Beten schwerfällt, der könnte – wie Gandhi das getan hat – für die Menschen in der Ukraine einen Tag lang fasten. Er fühlt sich dann sogar mit seinem Leib solidarisch mit ihnen. Und er darf hoffen, dass sich dadurch die Atmosphäre um ihn herum reinigt. Wir sollten eins bedenken: Durch unser Gebet und durch unser Handeln können wir Hoffnung in die Welt bringen, Hoffnung auf Frieden und Hoffnung auf ein neues Miteinander.
Pater Anselm: Man soll Leben und Tod Gott überlassen. Aber wir dürfen schon beten, dass Gott größeres Leid vermeidet, indem er Putin sterben lässt. Aber wir müssen es bei unserem Gebet immer Gott überlassen: Dein Wille geschehe.
Pater Anselm: Ich sorge gut für mich. Wenn ich müde bin, gönne ich mir, mich etwas hinzulegen und mir vorzusagen: Jetzt muss ich gar nichts tun. Dann habe ich wieder Lust etwas zu tun.