Die Bezeichnung passt gar nicht so richtig. „Erziehungsberatungsstelle“ heißt die Einrichtung, auch „Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Doch eigentlich geht es in den allermeisten Gesprächen, die dort geführt werden, nicht unbedingt um Erziehung, sondern vielmehr um Beziehung. Um die Beziehung zwischen Eltern und Kind, aber auch zwischen Mutter und Vater. Denn häufig ist die Paarebene Hintergrund der Konflikte in der Familie.
„Wenn es den Eltern gut geht, geht es in der Regel auch dem Kind gut“, sagt Andreas Laurien. Er leitet seit drei Jahren die Erziehungsberatungsstelle in Kitzingen. Jetzt hat er wieder einen Jahresbericht vorgelegt. Von 632 Fallzahlen ist da die Rede, von 4242 Gesprächskontakten, die in der Regel eine Stunde dauerten. Von 1129 Familienangehörigen, mit denen beratend und therapeutisch gearbeitet wurde. Und davon, dass meist Gründe im Kommunikationsbereich und im Gefühlsbereich ausschlaggebend dafür waren, dass Erwachsene oder Jugendliche sich an die Beratungsstelle wandten – oder vom Jugendamt oder vom Familiengericht an sie verwiesen wurden.
Die Zahl der „hochstrittigen Eltern“ und damit der Überweisungen von Seiten dieser Behörden an die Beratungsstelle hat im Jahr 2014 deutlich zugenommen. Es sind Eltern, die sich trennen und sich über vieles nicht einigen können, was die Kinder betrifft – bei wem die Kinder künftig leben zum Beispiel, oder welchen Schulzweig sie ergreifen sollen. Der Anmeldegrund sind die Kinder, doch eigentlich geht es um die Eltern. „Wir arbeiten in solchen Fällen mit zwei Beratern“, sagt Andreas Laurien. Zunächst führen beide ein Einzelgespräch mit jedem Elternteil, dann setzen sich nach Möglichkeit alle zusammen. „Dabei kümmert sich der eine Berater um den Inhalt des Gesprächs, der andere passt auf die Emotionen auf.“
Die Gefühlsebene spielt bei familiären Problemen eine große Rolle. Ein Partner leidet unter Stress, kann ihn nicht mehr bewältigen, nutzt den anderen als Blitzableiter. Einer sieht seine Bedürfnisse nicht mehr erfüllt. Oder in der Familie gilt alles, was gut läuft, als normal, zur Sprache kommt nur das Negative. Es sind Muster, die den Betroffenen gar nicht mehr auffallen, für die sie kein Bewusstsein mehr haben. Muster, die sich über Generationen entwickelt haben oder die sich eingeschlichen haben und aus Stressgründen oder Zeitmangel normal geworden sind. Doch wer seine Bedürfnisse nicht mehr befriedigt sieht, hört in jedem Satz einen Vorwurf, macht gleich dicht oder kontert – gerne mit Sätzen wie „nie machst Du...“ oder „immer musst Du...“ Da sind Konflikte programmiert.
Eltern lassen häufig außer Acht, dass die Paarebene Auswirkungen auf die Kinder hat. Und sie vergessen, dass sie Vorbild sein müssen. „Oft wissen die Eltern auch nicht, wie man mit Kindern kommuniziert“, sagt Laurien. Die Kinder und Jugendlichen wollen nicht ausgefragt und kritisiert werden, aber sie wollen sehr wohl, dass die Eltern sich für sie interessieren. Bei Problemen wie Mobbing oder Essstörungen ist es wichtig, dass der Draht zwischen Eltern und Kindern erhalten bleibt.
„Konflikte sind der
Normalfall.“
Vor allem für die zunehmende Zahl an Alleinerziehenden ist die Unterstützung der Beratungsstelle wichtig. 176 alleinerziehende Mütter und 25 alleinerziehende Väter wandten sich 2014 an die Fachleute. Ihre Situation ist eine besondere: „Sie müssen eine Vielzahl von Baustellen alleine bewältigen“, sagt Andreas Laurien: Erziehungs- und Verhaltensprobleme in Kita und Schule, Konflikte beim Sorge- und Umgangsrecht, finanzielle Not oder auch schlechte Wohnverhältnisse. Wichtig für diese Klienten ist es, dass die Berater sich Zeit für sie nehmen, eventuell gemeinsame Gespräche mit dem anderen Elternteil führen, weiterführende Hilfen vermitteln, Kontakt zu Schule oder Kindergarten aufnehmen und sich natürlich auch mit dem betroffenen Kind zusammensetzen.
Auffällig ist laut Andreas Laurien die steigende Zahl der hilfesuchenden Eltern, die nur ein Kind haben. Wer ein zweites oder drittes Kind hat, kann von den Erfahrungen mit dem ersten profitieren, geht vieles gelassener an. Diese Möglichkeiten fehlen hier. „Das ist oft ein ständiger Stress, sowohl für die Eltern als auch für das Kind.“ Gerade solche Eltern vergleichen sich und ihre Kinder häufig mit anderen, was die Belastung noch erhöht.
Psychosomatische Probleme, emotionale Labilität, Aufmerksamkeitsstörungen, Probleme bei sozialen Beziehungen – die Gründe, warum die Leute die Erziehungsberatung aufsuchen, sind vielfältig. In Einzel- und Gruppengesprächen wird dort mit den Familienmitgliedern gearbeitet, Schulen und Kindergärten werden mit einbezogen, es wird an Therapeuten oder andere Stellen verwiesen.
„Wir sind kein Reparaturbetrieb, wie manche es gern hätten“, sagt Andreas Laurien über die Arbeit seines zehnköpfigen Teams. „Wir können den Leuten die Probleme nicht abnehmen. Aber wir können ihnen helfen, ihre Sicht auf die Probleme zu ändern und Lösungen zu entwickeln.“ Diesen Schritt schaffen die Betroffenen nicht alleine – doch er ist nötig, um die Muster und damit die Konflikte aufzulösen.
Wer sich an die Erziehungsberatungsstelle wendet, muss durchschnittlich zwei bis drei Wochen auf ein Erstgespräch warten, in dringenden Fällen sind sofortige Termine möglich. Manche Probleme lassen sich schnell lösen – so waren im vergangenen Jahr 95 Fälle in gerade einmal einem Monat abgeschlossen. Es gab aber auch Fälle, die sich über mehr als 20 Monate hinzogen.
Die Initiative, die Beratungsstelle aufzusuchen, ging im vergangenen Jahr in 65 Prozent der Fälle von der Mutter oder der weiblichen Bezugsperson aus. 77 Mal meldeten sich die Kindergärten. 34 Mal kam der Kontakt über die Jugendlichen selbst zustande. Laurien: „Die Zahl junger Menschen, die aus eigener Initiative Beratung suchen, nimmt immer mehr zu.“
Die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Die Träger: Die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene wird vom Diakonischen Werk Kitzingen und dem Caritasverband für den Landkreis Kitzingen getragen. Sie befindet sich in der Güterhallstraße 5, Außenstellen gibt es in der Egerländer Straße 26 in Kitzingen und in der Gartenstraße 2 in Volkach. Infos gibt es unter www.Erziehungsberatung-Kitzingen.de oder Tel. 09321/7817.
Das Angebot: Die Beratungsstelle bietet Einzel-, Eltern- und Familiensitzungen sowie Gruppensitzungen an, hält Kontakt zu Schulen und Kindergärten sowie anderen Einrichtungen. In Vorträgen und Gesprächskreisen, Info-Veranstaltungen und Elternabenden wird präventive Arbeit geleistet. Zudem gibt es offene Gruppenangebote wie das Sozialtraining Grundschule Kitzingen, eine ADHS-Elterngruppe und einen Elternkurs „Freiheit in Grenzen“. In der Gruppe „Kinder im Blick“ werden Eltern, die sich trennen, für die Sicht der Kinder sensibilisiert. An den beiden Kitzinger Grundschulen wird eine offene wöchentliche Sprechstunde für Eltern und Lehrer angeboten.