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Nachts beten die harten Kerle
Geiselwind Seit drei Jahren können Reisende auf der A3 bei Geiselwind nicht nur Treibstoff tanken. "Tankstelle für die Seele" nennt Manuela Strohofer die Autobahnkirche auf dem Rasthof ihrer Familie.
Von unserer Mitarbeiterin Julia Mend
 |  aktualisiert: 03.12.2006 22:29 Uhr
Ein silbergrauer Passat fährt langsam über den riesigen Parkplatz. Der Fahrer hält an, schaut den weißen Kirchturm hoch zum schwarzen Kreuz. Er senkt den Blick, ein kurzer Tritt aufs Gas, er braust davon.

Kommt alle, venite tutti - der Mann fühlt sich nicht angesprochen. In acht Sprachen lädt die Autobahnkirche in Geiselwind ein, Rast zu machen. Der Fahrer sieht nicht den Regenbogen, den die Sonnenstrahlen durch die Fensterscheibe an die weiße Wand werfen. Er hört nicht, wie leise Musik vergessen lässt, dass nicht einmal einen Kilometer weiter die Autos auf der A 3 vorbei donnern.

Seit 2001 ist auf dem Rasthof Strohofer die Kirche "Licht auf unserem Weg" eingeweiht. Geprägt vom katholischen Glauben verspürte die Familie Strohofer den Wunsch, aus "Freude und Dankbarkeit" eine Kirche zu bauen. "Wir wollen daran erinnern, dass es mehr gibt im Leben als Arbeit, Spaß und Freizeit", erklärt Manuela Strohofer, Tochter des Rasthof-Chefs Anton Strohofer. Die Kirche, die dem Heiligen Antonius geweiht ist, liegt ihr am Herzen. "Wir wollten, dass Gott in unserem Familienbetrieb einen festen Platz hat."

"Bei uns macht sich keiner lächerlich, wenn er in die Kirche geht"

Manuela Strohofer Autobahnkirche Geiselwind

Den hat der Herrgott am Rande eines 400 000 Quadratmeter großen Areals des Rasthofs bekommen. Neben Tankstellen, Hotel und einer riesigen Halle für Veranstaltungen streckt sich der 30 Meter hohe Kirchturm in die Höhe, erhebt sich über das dreistöckige Gotteshaus. Bewusst haben die Strohofers den Platz gewählt. Mitten im Trubel und doch mit Blick ins Grüne. "Auch Gott und sein Wort sind ein Erlebnis", sagt Manuela Strohofer überzeugt. Und das rund um die Uhr. Die Kirche bietet Gläubigen Tag und Nacht, die Möglichkeit, mit Gott zu sprechen.

Ein neugieriger Mann in schicker Limousine dreht auf dem Parkplatz vor dem Gotteshaus eine Runde. Venid todos, come in - auch ihn lässt die Einladung über den Eingang nicht anhalten. Er hört nicht, wie der Taufbrunnen in der zwanzigsten von mittlerweile 28 deutschen Autobahnkirchen plätschert, merkt nicht welches Herzblut in dieser Kirche steckt.

In der Opfergrotte hängt das Bild eines jungen Mannes. Ein sympathischer Typ. Er lächelt. Das Foto zeigt Anton Strohofer junior. Am 20. Juni 1983 hat er bei einem Verkehrsunfall sein junges Leben verloren. Er sollte eines Tages den Betrieb übernehmen. Jetzt erinnert sein Bild stellvertretend an alle Verkehrstoten auf der Welt.

Der Unfall ihres Bruders ließ Manuela Strohofer einen anderen Weg einschlagen. Aus dem geplanten Theologiestudium wurde eine kaufmännische Ausbildung. "Danach kannst du ja immer noch studieren, sagten meine Eltern damals", erinnerte sich die 40-Jährige.

Die Kirche ist ihr Baby

Daraus wurde nichts. Mittlerweile geht sie voll und ganz im Betrieb auf. Und in der Autobahnkirche. Zwei Jahre dauerte der Bau, den die Familie aus dem privaten Geldbeutel finanzierte. Manuela Strohofer hatte ganz genaue Vorstellungen. Rot wie die Liebe sollte das Altarbild sein. Warmes Holz sollte mit kaltem Glas spielen - Symbolik für die Gegensätze des Lebens: Freude und Leid, Gut und Böse. Die christlichen Zeichen sollten sich dezent zeigen. Auch Andersgläubige sollen sich in die Stille zurückziehen können. "Wichtig war mir auch, dass es eine offene, ökumenische Kirche ist", erklärt Manuela Strohofer das theologische Konzept. Ihre Augen strahlen. Die Kirche ist ihr Baby.

Auch Taufen sind an der Autobahn möglich. Schon manche Liebe, die bei einer Party auf dem Rasthof begann, wurde in der Kapelle vor Gott zum Bund der Ehe geschlossen. Die Geiselwinder Geistlichen, Pater Richard und der evangelische Pfarrer Peter Schramm betreuen die Autobahnkirche mit. Jeden Sonntag ist ökumenischer Gottesdienst. Am Nachmittag. "Damit die Fernfahrer auch mal ausschlafen können", sagt Manuela Strohofer. Sie leitet die Wortgottesdienste.

Zwei Jahre dauerte die Ausbildung. "Es ist ein Kommen und Gehen. Oft fangen wir eine Messe mit 15 Besuchern an, am Schluss ist die Kirche voll", schwärmt sie. Die fünf Kinder gehen der Mutter zur Hand. "Sie müssen, oder besser sie dürfen, mir helfen", erklärt Monika Strohofer. Viel Widerspruch scheint sie nicht zu dulden, auch wenn sie sich liberal gibt. "Ministranten sind es immer zu wenig, da müssen sie ran."

Sehnsucht nach Schutz und Segen

Venez tous, kommt alle - wieder verhallt die Einladung, die Kirche zu betreten. Ein Ford dreht ab. Der Fahrer in den Sechzigern nimmt sich nicht die Zeit, einen Blick in das Anliegenbuch am Westeingang zu werfen. Er liest nicht, wie eine Frau Gott darum bittet, das Fremdgehen ihres Ehemanns zu verhindern. Es berührt ihn nicht, wenn eine Tochter wütend auf den Vater ist, weil er gestorben ist, ohne dass sie sich bei ihm verabschieden konnte. Er spürt nicht die Dankbarkeit, die ein Autofahrer empfindet, weil er bei einem Unfall glimpflich davon gekommen ist.

"Das müssten die Politiker mal lesen", sagt Strohofer, die selbst Kommunalpolitikerin ist. "Dann wüssten sie, was sich die Leute wünschen." Vier Bücher wurden in diesem Jahr schon voll geschrieben. Für Manuela Strohofer Beweis für den regen Besuch der Kirche. Eine Bestätigung dafür, dass es richtig war, die Kapelle zu bauen.

Viele Fernfahrer nutzen das Buch. Danken Gott, dass sie gut von einer Tour zurückgekehrt sind. Bitten ihn darum, dass er auf die Familien aufpasst. Vor allem nachts sitzen sie in der Kapelle. Durch die Videokamera, die die Kirche überwacht, sehen die Mitarbeiter vom Hotel am Rasthof, wie die Fahrer beten. Ungestört, alleine mit den Sorgen und Bitten. Die Sehnsucht nach Schutz und Segen ist groß. Da ist sich Manuela Strohofer sicher. "Wie sonst lässt sich der Engel-Boom erklären?" Die Anonymität der Autobahnkirche zieht die an, die zu Hause schon längst nicht mehr in die Kirche gehen. "Bei uns macht sich keiner lächerlich, wenn er in die Kirche geht."

Kraft getankt

Dodjite svi, kommt alle - ein roter Opel hält. Ein Ehepaar aus Unna steigt aus, geht auf die Kirche zu. Die Hände verschwinden im Weihwasserkessel, zeichnen ein flüchtiges Kreuz auf die Brust. Ziel ist die Seitengrotte. Anton Strohofer junior lächelt sie an. Zwei Augenpaar schauen genau hin. Münzen klimpern. Mann und Frau zünden eine Kerze an. Sie halten inne, lauschen der Musik und folgen dem Plätschern des Brunnen. Ein kurzer Blick auf die Bücher, Karten und Krimskrams im Vorraum der Kirche. Sie schlendern zu ihrem Auto, steigen ein, fahren langsam weg. Sie haben Kraft getankt. Sie haben die Stille an der Autobahn gespürt.

Am Sonntag, 18. Oktober, findet
um 1430 Uhr ein Fernfahrergot-
tesdienst mit dem Motto "Unter-
wegs und doch Zuhause" in der
Autobahnkirche statt.

 
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