Fussek ist Buchautor und Diplom-Sozialpädagoge, er gilt als fundierter Kenner der Verhältnisse in deutschen Alten und Pflegeheimen und ist seit vielen Jahren einer der härtesten Kritiker des Sozialsystems.
„Wir wollen keine Pflegefabriken. Wir wollen menschliche Pflege“
Hartmut Stiller VdK-Vorsitzender
Über 300 Zuhörer waren am Mittwoch der Einladung des VdK-Ortsverbandes Kitzingen zum 1. Kitzinger Sozialforum in das Glashaus des Café Harmonie gekommen, um sich mit dem Thema „Zukunft der Pflege – Pflege der Zukunft“ auseinanderzusetzen. „Wir wollen keine Pflegefabriken, wir wollen eine menschliche Pflege“, so VdK-Vorsitzender Hartmut Stiller. Der VdK betrachte es als sein Aufgabe, „heute, am Tag der älteren Generation und auch in Zukunft, das Thema transparent zu machen“, sagte Stiller und versprach den Zuhören einen mitreißenden Vortrag, der zum Nachdenken anregen werde. Stiller sollte recht behalte.
Als Fussek nach einer Stunde endete und eine Podiumsdiskussion begann, sah man viele nachdenkliche aber noch mehr betroffene Gesichter. Vor allem in den Reihen der anwesenden Pflegekräften hatte es während Fusseks Vortrag immer wieder zustimmendes Kopfnicken gegeben. „Wir sprechen hier nicht über die Pflege der Zukunft, wir sprechen über die Pflege der Gegenwart im Angesicht einer steigenden Zahl von verwirrten und desorientierten Bewohner“, machte Fussek deutlich.
Die derzeit geführte Diskussion um die Pflege sei an Absurdität kaum zu überbieten. „Oder kennen Sie jemanden, der für schlechte und gegen gute Pflege ist, der für Pflege im Minutentakt und gegen eine menschliche Pflege ist“, fragte er. „Vielleicht einige Erben“, fügte er hinzu. „Ich frage mich seit Jahren, was diskutieren wir überhaupt?“
Fussek berichtete von eigenem Erleben und aus den rund 40 000 Zuschriften von Pflegenden, die ihn in den vergangenen Jahren erreichten. Er habe ein Bild bekommen von einer alten Frau, der man das Mittagessen brachte, während sie auf einem Klo-Stuhl saß, von alten Menschen, die nicht mehr trinken wollten, um das überlastete Personal nicht noch mehr zu belasten, weil sie dann zu Toilette müssen. „Diese Menschen trocknen sich selbst aus“, sagte Fussek.
Kulturschande
In jedem Gefängnis würden Frauen von Frauen durchsucht, genau wie beim Einlass in Fußballstadien. In Altenheimen gehe das nicht. Er kenne einen Pfleger aus Eritrea. Dass dort ein Mann bei einer Frau die Intimwäsche vornehme, wäre eine Kulturschande und komme nicht in Frage. „Wir sind hier in Europa“, rief Fussek wütend aus.
Er kritisierte Politiker, die gleichzeitig in Verwaltungsräten von Wohlfahrtsverbänden und Aufsichtsräten von Krankenkassen sitzen. „Die verhandeln, wenn es um die Kosten geht, mit sich selbst. Das sind perfekte Schauspieler.“
Immer wieder wies der Redner darauf hin, dass seine Vorwürfe nicht für alle Heime gälten. Es gebe sehr gute Alten- und Pflegeheime und bei vielen der billigeren Einrichtungen werde oft bessere Arbeit geleistet als bei manchen teuren.
„Alle wissen über schlechte Zustände Bescheid, Angehörige, Betreuer, Ehrenamtliche, das Pflegepersonal, Putzfrauen, Gerichte, Hausmeister, Ärzte, Apotheker, Sanitäter, Krankenhäuser und Bestattungsunternehmer. Jeder weiß es und ist damit Teil des Systems. Es sind unsere Eltern, Großeltern, Freunde oder Verwandte, die in solchen Pflegeheimen liegen“, sagte Fussek und forderte zum Hinschauen auf. „Wir müssten uns über solche Zustände schämen. Aber unsere Gesellschaft schämt sich nicht nicht“, stellte er fest.
Patenschaften für Menschen
Als Gegenbeispiel nannte er Gut Aiderbichl. Dort lebten rund 8000 alte Haustiere, für die Prominente wie DJ-Ötzi Patenschaften übernommen hätten. „Jedes dieser Tiere hat einen Namen, eine Geschichte und eine Biographie. Für sie gibt es rund um die Uhr einen ärztlichen Bereitschaftsdienst“. Es seien Tiere darunter, deren Felle vom vielen Streicheln durch Besucher schon dünne Stellen hätten, berichtete Fussek. „In unseren Altenheimen übernimmt niemand solche Patenschaften und viele Menschen haben in ihrer letzten Stunde niemanden, der sie streichelt oder die Hand hält“.
Als Konsequenz forderte Fussek die anwesenden Politiker dazu auf, Altenpflege über Parteigrenzen hinweg zum kommunalen Thema und zur Chefsache für Bürgermeister zu machen. „Statten Sie Ihren Altenheimen und den alten Menschen immer wieder Besuche ab“, forderte er. „Es sind die Menschen die in Ihrem Ort gelebt, gearbeitet, ihre Kinder groß gezogen und sich engagiert haben, und die jetzt schutzbedürftig sind“, so Fussek.