Die gefrorenen Blätter knistern unter den Sportschuhen, der Atem gefriert in der kalten Winterluft: Marika Heinlein, ihr Mann Bruno und ich joggen durch die Wälder rund um Geesdorf – die Lieblingsstrecke der 54-Jährigen, auf der sie jeden Samstag zu finden ist.
Während wir laufen, erzählt und erzählt sie. Außer Puste gerät sie dabei nicht. Rechnet man Wettkämpfe und Training zusammen, hat Marika Heinlein in diesem Jahr schließlich schon mehr als 4200 Kilometer zurückgelegt: Sie ist Ultraläuferin, hält bis zu 48 Stunden am Stück durch.
Der Spartathlon ist ihr Herzenslauf
Ich – völlig untrainiert – versuche, die elf Kilometer zumindest einigermaßen zu überstehen. Beim „ersten kleinen Hügelchen“, wie sie sagt, denke ich nur: „Hilfe, ein Berg!“ Langsam kämpfe ich mich nach oben, ihr Mann hat gerade die Hälfte geschafft, als Heinlein schon auf der Kuppe ankommen ist und in der Sonne auf uns wartet.
Denn höhenerprobt ist sie – spätestens seit ihrer ersten Teilnahme am Spartathlon 2007: 246 Kilometer durch Griechenland, ein 1200 Meter hoher Pass inklusive. Heuer hat sie dafür 35:17 Stunden gebraucht – und den Wettbewerb damit zum siebten Mal erfolgreich beendet. „Es ist einfach mein Herzenslauf“, sagt sie mit funkelnden Augen. „Auch wenn man nie weiß, ob man es schafft.“
Wegen der heißen Temperaturen und der einhergehenden Appetitlosigkeit könne es leicht zu Magen-Darm-Problemen kommen. Viele Teilnehmer, auch Heinlein selbst, müssten sich zwischendurch übergeben oder bekämen Durchfall – für sie jedoch kein Grund, aufzugeben. „Wenn ich im Ziel bin, fühle ich Glückseligkeit pur. Da ist alles andere vergessen.“
Ihr Mann weckte in ihr die Begeisterung
Bis sie so weit war, ist jedoch eine ganze Zeit vergangen. Vor 19 Jahren probierte sie mit einer Freundin das Laufen aus. Sie rannten los, waren nach 500 Metern so fertig, dass sie die Unternehmung sofort wieder strichen.
Dann fing Bruno Heinlein mit dem Training an, nahm am Kitzinger Frühjahrslauf teil. Da packte es die Geesdorferin – und diesmal richtig. „Ich habe gesehen, wie glücklich die Zieleinläufer waren. Das wollte ich auch.“ Sie tastete sich ran, nahm drei Wochen später am Würzburger Residenzlauf teil. Als Letzte und doch stolz wie Oskar kam sie ins Ziel.
Sie machte weiter, feierte einen Erfolg nach dem anderen: In diesem Jahr stellte sie unter anderem den deutschen Hallenrekord im 24-Stunden-Lauf auf, lief an vier Tagen hintereinander je einen Marathon in Italien und erreichte den zweiten Platz bei der 24-Stunden-Europameisterschaft in Frankreich. Dort lief sie auch schon 48 Stunden durch.
Die Gedanken auf Autopilot schalten
Mittlerweile keuche ich mehr, als dass ich atme. „Du darfst niemals daran denken, wie lange es noch ist“, rät sie mir. Laufe sie 24 Stunden, schalte sie auf Autopilot, jogge wie in Trance vor sich hin. Sicher, sei das Übungssache. Aber sie wisse, dass der Körper die Hürde meistern kann.
Zudem habe sie stets im Hinterkopf, dass sie angetreten ist, um den Lauf zu schaffen – der Verdienstausfall in ihrer Buchhandlung muss sich ja für irgendwas gelohnt haben.
Seit fünf Jahren betreiben die Heinleins ihren kleinen Laden in Wiesentheid. Zeit fürs Lesen nehme sich die 54-Jährige immer. Alles eine Frage der Planung – dann lassen sich ihre beiden Leidenschaften gut miteinander vereinbaren. Manchmal nimmt eines von beiden natürlich mehr Raum ein. Vor Wettkämpfen läuft sie zum Beispiel bis zu 200 Kilometer die Woche.
Muskalkater hat sie nicht mehr
Geld verdienen kann sie mit ihrem Sport zwar nicht. Doch das schreckt die gelernte Buchhändlerin nicht ab. Verletzt habe sie sich ebenfalls noch nie. Allerdings erinnert sie sich gut daran, dass sie sich nach ihrem ersten Marathon in Köln vor lauter Muskelkater nicht mehr bewegen konnte. Jetzt sei sie nach langen Läufen lediglich noch ein bisschen steif.
Anderthalb Stunden später kommen wir wieder am Haus der Heinleins an. Ich fühle mich erstaunlich gut. Bis zum nächsten Morgen. Von der Hüfte abwärts, tut mir jede Faser meines Körpers weh. Und doch kann ich Marika Heinlein jetzt verstehen: Das Gefühl, die Strecke geschafft zu haben, macht die Beine zwar nicht leichter – ist aber richtig gut.