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Wiesentheid
"Lichtspiele Wiesentheid": Günter Möderls Kino-Erinnerungen
Eine Mischung aus Wehmut und Nostalgie befällt  Günter Möderl, wenn er heute vor dem Eingang zum früheren Schönbornsaal in Wiesentheid steht. In dem seit Jahrzehnten geschlossenen Gebäude, das im Privatbesitz des Adelshauses ist, betrieb sein Großvater Clemens, wie auch später sein gleichnamiger Vater, von 1934 an die „Lichtspiele Wiesentheid“.
Ein nostalgischer Ort ist für Günter Möderl der Eingang zum früheren Schönbornsaal in Wiesentheid. Das war gleichzeitig der Eingang zum Kino.
Foto: Andreas Stöckinger | Ein nostalgischer Ort ist für Günter Möderl der Eingang zum früheren Schönbornsaal in Wiesentheid. Das war gleichzeitig der Eingang zum Kino.
Andreas Stöckinger
Andreas Stöckinger
 |  aktualisiert: 08.02.2024 16:28 Uhr

Eine Mischung aus Wehmut und Nostalgie befällt  Günter Möderl, wenn er heute vor dem Eingang zum früheren Schönbornsaal in Wiesentheid steht. In dem seit Jahrzehnten geschlossenen Gebäude, das im Privatbesitz des Adelshauses ist, betrieb sein Großvater Clemens, wie auch später sein gleichnamiger Vater, von 1934 an die „Lichtspiele Wiesentheid“.

Bis 1968 liefen dort in dem zeitweise zum Kino umfunktionierten Schönbornsaal die gerade aktuellen Filme. Das gesamte Gelände hatte das Grafenhaus von der früher am Neßtfellplatz ansässigen Brauerei Neuner gekauft. Auf die Fundamente des ehemaligen Brauhauses ließen die Schönborns den feudalen Saal bauen. Er stand für Tanzveranstaltungen bereit - und für das Kino.

Vergnügungssteuer

Die Möderls zahlten an das Haus Schönborn Miete für die Vorstellungen. Die Gemeinde verlangte sogar Vergnügungssteuern für den Kinobetrieb. „Über die Höhe hat sich mein Vater öfters im Rathaus beschwert“, weiß Günter Möderl noch. Erst dieser Tage bekam der aus dem Gemeindearchiv einen Steuer-Beleg von damals.

Günter Möderl blättert in den alten Kino-Programmen. Seine Familie betrie von 1934 bis 1968 die Wiesentheider Lichtspiele.
Foto: Andreas Stöckinger | Günter Möderl blättert in den alten Kino-Programmen. Seine Familie betrie von 1934 bis 1968 die Wiesentheider Lichtspiele.

Für diese wurden die Holzstühle im Saal beiseite geräumt. Auf einer Art Balkon befanden sich die besseren Plätze. Rund 50 richtige Kinostühle, die mit rotem Cord-Stoff bezogen waren, hatte Betreiber Möderl extra angeschafft. 50 Pfennig kostete der Eintritt auf den günstigen Plätzen, auf den Sesseln etwas mehr. Um die 250 Personen fanden im Kino Platz.

Von den Klassenkameraden beneidet

Die Hoch-Zeit für Günter Möderl und seinen bereits verstorbenen Bruder waren in den Fünfziger Jahren, als der 76-jährige noch ein Junge war. „Wir sind dort aufgewachsen, man hat darin regelrecht gelebt. Die Klassenkameraden haben mich beneidet“, sagt er rückblickend.

Seine Erinnerungen an die Kino-Zeit sind recht lebendig.

Der Schönbornsaal in Wiesentheid im Jahr 2013. Der Raum wurde als Kino, und für Tanzveranstaltungen genutzt.
Foto: Andreas Stöckinger | Der Schönbornsaal in Wiesentheid im Jahr 2013. Der Raum wurde als Kino, und für Tanzveranstaltungen genutzt.

Möderl bezeichnet die Wiesentheider Lichtspiele „als Attraktion, als Treffpunkt, gerade für viele junge Menschen aus der gesamten Umgebung.“ Zu Fuß kamen viele, aus Castell, Rüdenhausen und der Umgebung, erinnert sich Möderl. In den Lichtspielen bekamen Kinobesucher zunächst die Nachrichten präsentiert.  Immer vor Beginn der Aufführungen lief die „Wochenschau“, das Neueste in Bild und Ton, was sich gerade auf der Welt ereignete.

Dafür sorgten die Familie von Günter Möderl. Sein Großvater hatte 1919 ein Elektrogeschäft in Wiesentheid gegründet, Jahre später entstand die Idee mit dem Kino. Er machte schließlich einen Lehrgang, um sich weiterzubilden. „Mein Großvater war ein sehr intelligenter Mensch, ein Pionier in Sachen Elektrik“, sagt Günter Möderl.

Viel Arbeit an den Sonntagen

Später stieg sein Vater ins Geschäft, wie auch als Kinobetreiber ein. An den Sonntagen war die gesamte Familie mit eingespannt, kassieren, Karten abreißen, die Filmrollen wechseln und so weiter. Dazu hatte man auch einige junge Wiesentheider angestellt, die unter der Woche Möderls Vater halfen.

Neben der Kasse hatte mit Otto Siegert ein Wiesentheider Kaufmann einen kleinen Stand aufgebaut, an dem sich die Besucher mit Süßigkeiten eindecken konnten. Der Saal wurde mit einem großen Holzofen geheizt, den der Hausmeister Stunden vorher anschürte.

Drinnen stand die Leinwand, auf der die Filme liefen. Zuletzt war es eine in der Größe von vier mal 2,50 Meter. Zur Beschallung gab es einen kleinen Verstärker mit zweimal 20 Watt. Das reichte völlig aus, denn: „Die Akustik im Saal war fantastisch, durch die Konstruktion mit Stuckdecke und den beiden Kaminen“, schwärmt Möderl rückblickend.

Das Kinoprogramm der Wiesentheider Lichtspiele vom November 1951. Die Plakate entdeckte Günter Möderl auf seinem Dachboden erst wieder.
Foto: Andreas Stöckinger | Das Kinoprogramm der Wiesentheider Lichtspiele vom November 1951. Die Plakate entdeckte Günter Möderl auf seinem Dachboden erst wieder.

Die Filme wurden über einen Verleih bestellt und jeweils per Bahn angeliefert. „Die Vertreter boten Pakete mit mehreren Filmen an. Da waren neben Klassikern wie 'Vom Winde verweht' oder 'Ben Hur' immer auch Ladenhüter dabei“, schmunzelt Möderl heute. Besonders gut seien etwa die Walt-Disney-Filme gelaufen.

1968 fiel der Vorhang

Das jeweils aktuelle Filmprogramm ließen die Möderls von Heinrich Weber, einem Wiesentheider Grafiker, auf Plakate schreiben. Die Ankündigungen hingen dann an verschiedenen Stellen im Ort. Im Jahr 1968 fiel der Vorhang der „Wiesentheider Lichtspiele.“ Der Aufwand lohnte sich einfach nicht mehr, auch weil das Fernsehen und die Kino-Konkurrenz in der Gegend aufkam.

Der Schönbornsaal in Wiesentheid im Jahr 2013. Der Raum wurde als Kino, und für Tanzveranstaltungen genutzt.
Foto: Andreas Stöckinger | Der Schönbornsaal in Wiesentheid im Jahr 2013. Der Raum wurde als Kino, und für Tanzveranstaltungen genutzt.

Heute noch fasziniert Günter Möderl manches aus der Zeit. Vor allem die großen Maschinen zum Vorführen der Filme haben es ihm angetan. Sie standen auf einem gegossenen Betonsockel und wurden extra eingebaut. Prunkstück sei „eine alte Bauer, eine Vorkriegsmaschine, ein wertvolles Stück“ gewesen, so Möderl.

"Treffpunkt gerade für viele junge Menschen aus der gesamten Umgebung."
Günter Möderl über die Wiesentheider Lichtspiele

Die Maschinen müssten noch vorhanden sein, seine Nachfragen im Haus Schönborn blieben bisher aber ohne Erfolg. Möderls Wunsch ist es, diese alten Geräte eines Tages wieder in seinen Händen zu halten. Das wäre ein großes Stück Familiengeschichte für ihn.

Ein nostalgischer Ort ist für Günter Möderl der Eingang zum früheren Schönbornsaal in Wiesentheid. Das war gleichzeitig der Eingang zum Kino.
Foto: Andreas Stöckinger | Ein nostalgischer Ort ist für Günter Möderl der Eingang zum früheren Schönbornsaal in Wiesentheid. Das war gleichzeitig der Eingang zum Kino.
Ein Blick in den früheren Film-Vorführraum im Schönbornsaal.
Foto: Möderl | Ein Blick in den früheren Film-Vorführraum im Schönbornsaal.
Die damalige Vorführmaschine der Marke Bauer.
Foto: Möderl | Die damalige Vorführmaschine der Marke Bauer.
 
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Kommentare
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  • N. K.
    Wäre schön, wenn der Saal generell nutzbar wäre.
    Apell an den Adel: Eigentum verpflichtet.
    Bitte nicht verfallen lassen.
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