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Kitzingen
Leidenschaft und Überlebenswillen
Das Jcom bot eine überzeugende Interpretation der unter den Nationalsozialisten verfemten Komponisten.
Foto: Jutta Schwegler | Das Jcom bot eine überzeugende Interpretation der unter den Nationalsozialisten verfemten Komponisten.
Jutta Schwegler
 |  aktualisiert: 26.09.2021 03:03 Uhr

Eigentlich begann das Konzert in der Alten Synagoge in Kitzingen bereits vorher, in der Ausstellung der Bilder von Herlinde Koelbl im unteren Foyer. Ihre fotografischen Porträts von Jüdinnen und Juden, die den Holocaust überlebt haben, sind gepaart mit Äußerungen der jeweils Abgebildeten.

Verblüffend ist, dass aus den Zeilen der schwer leidgeplagten Menschen trotz der lebensbedrohlichen Erfahrungen, die sie gemacht haben, oft eine Leichtigkeit spricht, die einem Außenstehenden kaum begreifbar wird, aber bewundernswert ist.

Elemente jüdischer Musik

Als dann das Jewish Chamber Orchestra Munich die Bühne der nach Corona-Regeln vollbesetzten Alten Synagoge betrat, war man immer noch gefangen in dieser seltsamen Stimmung. Dirigent Daniel Grossmann gab eine kurze Einführung zu den beiden Komponisten des Abends und betonte, dass er auf diese Weise an deren Leben vor dem Holocaust anknüpfen und sie als Menschen würdigen möchte. Beide waren Tschechen jüdischer Herkunft und wurden am Ende des 19. Jahrhunderts geboren.

Das erste Stück des Abends, Erwin Schulhoffs Suite für Kammerorchester aus dem Jahr 1921, greift Elemente des Jazz auf, die Bezeichnung der Sätze nennt sechs zeitgenössische Tänze. Unter dem klaren Dirigat von Grossmann boten die acht Musiker eine erstklassige Interpretation. Sehr schön, wie die einzelnen Phrasen von einem Instrument an das nächste weitergereicht wurden, sicherlich ein Ergebnis intensiver Probenarbeit. Starke Rhythmen, aber auch schwebende Klänge wechselten mit dunklen, fast dumpfen Passagen ab.

Keine leichte Musik, in der man einen Halt suchte und ihn in den Kantilenen der Geige fand. Immer wieder tauchten deutlich Elemente aus der jüdischen Musik auf, oft sehr schön durch die Klarinette intoniert. Der Shimmy dann gebrochen lustig, schon grotesk, gefolgt von einem Step, der dem Schlagwerker gehörte, welcher sich auf diversen Schlaginstrumenten und Pfeifen sichtlich wohl fühlte.

Lautmalerische Gestaltung der Schrecken des Krieges

Danach folgte von Viktor Ullmann Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke, ein Melodram von Rainer M. Rilke für Ensemble und Erzähler. Es schildert die letzten Tage eines Fahnenträgers im Türkenkrieg 1663/64. Der 24-jährige Sprecher Valentin Mirow, bekannt durch einige Rollen in Tatort und Der Alte, begann das Werk recht lässig und entspannt mit seinem angenehmen Bariton.

Das Jcom bot eine überzeugende Interpretation der unter den Nationalsozialisten verfemten Komponisten.
Foto: Jutta Schwegler | Das Jcom bot eine überzeugende Interpretation der unter den Nationalsozialisten verfemten Komponisten.

Das Orchester führte das Erzählte lautmalerisch aus, mal dunkel-düster, mal heftig-gewaltig, mal träumerisch, mal tragisch, da zwitscherten Vögel und der Feuerschein des Krieges war zu sehen. Die Modulationsfähigkeit der Stimme Mirows zeigte sich besonders verinnerlicht in den Momenten, als der Held der Geschichte in der Nacht auf eine Frau trifft und am Ende die Fahne "wie eine bewusstlose weiße Frau" trägt, eines der starken Bilder in der wunderbaren Sprache Rilkes. Am Schluss bleibt eine weinende Mutter nach dem Tod ihres Sohnes, und im Orchester hört man die Traurigkeit und die Sinnlosigkeit, die Düsternis des Krieges mit seinen Schrecken.

Das Werk hat Viktor Ullmann 1944 kurz vor seinem Tod als sein letztes im Lager Theresienstadt komponiert und uraufgeführt, sicherlich ahnend, dass er dem Schrecken auch nicht entkommen würde. In seiner Musik aber schuf auch er immer wieder inmitten unvorstellbaren Leids versöhnliche Passagen, und damit spannte sich der Bogen hinüber zur anfangs erwähnten Ausstellung, die noch bis zum 26. September täglich von 10-17 Uhr geöffnet ist.

 
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