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POSSENHEIM
Leben am Seil: Ixis Freiheit
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 27.04.2023 08:59 Uhr

Manchmal kommt es anders. Dies sollte eigentlich ein Artikel über die waghalsige Arbeit eines professionellen Fassadenkletterers werden. Um (Wage-)Mut geht es zwar auch, vor allem aber um etwas noch Größeres: um Freiheit. Persönliche Freiheit. Darum, das zu sein, was man ist und was man sein will.

Markus Ixmeier hat sein Haus immer dabei. Heute steht es mitten auf dem Marktplatz von Iphofen, morgen vielleicht in Bamberg, Barcelona oder Bordeaux. Es ist ein großer, weißer Bus, ein Jumper. Ixmeier schiebt von innen die Tür auf. Blaue Augen in einem markanten Gesicht, fester Händedruck, sympathisches Lächeln. Hinter ihm sind ein gemütliches Bett zu sehen, ein Bücherregal, ein Ofen, eine elektrische Kochstelle, ein ausziehbarer Tisch. „Da kann man sich abends gemütlich mit sieben Mann dransetzen, wenn man den Fahrer- und den Beifahrersitz einfach um 180 Grad dreht.“

Den Jumper, erzählt Markus Ixmeier, den alle einfach „Ixi“ nennen, hat er selbst umgebaut. Mit Hilfe von Bruder und Vater ist aus einem Industriebus ein kleines Haus auf Rädern geworden. Etwa die Hälfte des Jahres fährt es durch Deutschland, die andere Hälfte verbringt es unter südlicher Sonne, bevorzugt in französischen und spanischen Boulder-Gebieten.

Bouldern, das ist Klettern in Bodennähe, ohne Seil und Gurt. Im Gegensatz zu dem Job, der ihm Höhenluft und Geld bringt – dem Gewerbeklettern –, liebt der 41-Jährige es in seiner Freizeit, nur mit Kraft und Körperbeherrschung voranzukommen. „Beim Bouldern geht es nicht darum, hoch hinaus zu kommen, sondern Felsen und Vorsprünge geschickt zu erklettern.“ Zum Bouldern könne man auch gut mal alleine gehen, nur mit dem Crashpad, einer Bodenmatte.

Ein Einzelgänger ist der Possenheimer aber keineswegs. Im Gegenteil: Er ist ein sehr geselliger Typ. „Die Boulder-Welt ist klein. Man trifft an verschiedenen Orten immer wieder die gleichen Leute.“ Südlich von Paris zum Beispiel, nahe der Stadt Fontainebleau, gibt es ein Boulder-Paradies aus Sandstein-Blöcken. „Dahin zieht es mich und etliche andere immer wieder.“ Oft campt der Unterfranke wochenlang dort. „Tagsüber klettere oder fotografiere ich – meine zweite Leidenschaft – , abends sitze ich mit Freunden zum Beispiel bei Käse, Baguette und Rotwein zusammen.“ Solche Tage nennt Ixi ganz schlicht „gute Tage“.

Nicht für immer Rettungssanitäter

Allerdings muss man sich diese natürlich leisten können. Ixi macht das so: „Ungefähr sechs Monate im Jahr arbeite ich und verdiene Geld. Den Rest der Zeit lebe ich.“

Nach der Schule hat er zunächst eine Lehre als Technischer Zeichner gemacht und in diesem Beruf zwei Jahre lang in Nürnberg gearbeitet. Dann kam der Zivildienst, den er beim Bayerischen Roten Kreuz in Würzburg absolvierte. „Ich bin dort Rettungssanitäter geworden, habe mich jahrelang für andere eingesetzt.“

Irgendwann merkte der Possenheimer aber: „Das geht an die Substanz. Das ganze System ist so aufgebaut, dass man ganz viel von sich einbringt. Mehr, als einem auf Dauer gut tut.“ Über einen Kumpel kam er dann erstmals mit der Industriekletterei in Kontakt. Die Vielfalt der Arbeiten in luftiger Höhe gefiel ihm, so dass er die Ausbildung für „seilunterstützte Arbeitsverfahren“ machte. „Zum Industrieklettern zählen Höhenarbeiten wie Baum- und Naturflächenpflege, Fenster- und Fassadenreinigung, Reparaturen an Kirchtürmen oder der Einsatz bei großen Veranstaltungen.“ Unterm Himmel der Nordkurve des Frankenstadiums hat Ixi schon Tauben vergrämt. Bei einem Konzert von Linkin Park hing er im Seil unterm Dach, wo er den mittlerweile verstorbenen Sänger Chester Bennington per „Follow Spot“ ins rechte Licht setzte. „Von da oben hatte ich eine Wahnsinnsaussicht.“

Allerdings gab es auch gefährliche Situationen. Beim Pflegen eines Sandmagerrasens an einem Steilhang bei Kelheim wollten Markus Ixmeier und ein Kollege in rund 25 Metern Höhe einen Haselnussstrauch fällen, als ein Wespenheer herauskam und sich über die Männer hermachte. „Ich hatte nur zehn Stiche, aber mein Kollege hundert. Der Notarzt hat gesagt: ?Das war knapp?.“

Die harte und teils nervenaufreibende Arbeit wird gut entlohnt. Einige hundert Euro kann ein Fassaden- oder Industriekletterer an einem Tag oder Abend verdienen. „Allerdings muss ich mich natürlich selbst versichern“, schränkt Ixi ein. Dennoch: Das Geld reicht gut, um damit die Hälfte der Zeit quasi als „Privatier“ zu verbringen. „Manch einer ist darauf vielleicht neidisch. Aber ich frage mich, warum?“ Es stehe jedem Menschen frei, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und es so gestalten, wie er es für gut hält.

Manchmal müsse man Letzteres aber erst mal herausfinden – und das gehe nur durch Ausprobieren. „Man muss austesten, was einen bewegt und interessiert.“ Als Jugendlicher sei das Fußball gewesen, erinnert Ixi sich. „Dann bin ich Marathon gelaufen. Schließlich habe ich am Bullenheimer Berg das Bouldern für mich entdeckt. Heute machen mich Bouldern und Fotografieren gleichermaßen zufrieden.“

Gern verbindet er die beiden Hobbys: Seine Bilder von Boulder- und Kletterkollegen zieren verschiedene Kletterführer und Sportmagazine. Aber auch Landschaftsfotografie hat es ihm angetan: Speziell in Vollmondnächten verbringt der Franke viel Zeit draußen, um mit seiner Canon D5 vom Mond beschienene Motive abbilden zu können. Auch Sonnenauf- und -untergänge, Wasserfälle, HotSpots – eigentlich alle Naturschauspiele – ziehen ihn an. „Wasser, Sonne und Steine bescheren mir happy moments“, sagt der Autodidakt in Sachen Fotografie, der neuerdings auch eine Kamera-Drohne steuert. „Zum Beispiel an der wilden Nordküste Spaniens oder an der Caldera eines Vulkans kann ich stundenlang auf den idealen Moment oder das beste Licht warten.“

Gereist ist Markus Ixmeier schon immer gern. Spätestens seit einer Motorradtour in die Toskana vor 20 Jahren, gemeinsam mit Freunden, ist ihm klar: „Ich will und muss viel unterwegs sein.“ Ein gutbürgerliches Leben mit einem oder zwei Jahresurlauben und ansonsten Arbeit nach der Uhr – „das ist halt nicht mein Ding. Ich bin da ein bissle aus der Art geschlagen.“ Seine beiden Geschwister haben ganz normale Jobs, Familie, ein geregeltes Leben. „Das ist auch gut so“, sagt Ixi. „Sie sind glücklich so – und genau darum geht es ja.“

„Die Zeit nicht verschwenden“

Allerdings sei das mit dem persönlichen Glück so eine Sache. „Es gibt Menschen, die völlig an das deutsche Konsum-System gefesselt sind. Das finde ich erschreckend.“ Für manche seien Statussymbole – „mein Haus, mein Auto, mein Pferd“ – das größte Glück im Leben. „So etwas wäre für mich nichts“, sagt Ixi. „Man lebt nur einmal. Ich will die Zeit nicht verschwenden.“ Wenn ihm etwas wirklich wichtig ist, könne er allerdings sehr ehrgeizig sein, sagt der Franke. „Ob Sportklettern, Bouldern oder Fotografieren: Das, was mich interessiert hat, habe ich einfach angefangen, einfach gemacht, immer weiter daran gefeilt. Und dann hat es auch geklappt.“

Aber ist das viele Reisen nicht vielleicht auch ein Zeichen von Rastlosigkeit? Vielleicht sogar eine Flucht vor der Heimat? „Wenn du wissen willst, ob es einen Ort gibt, an dem ich mich richtig daheim fühle, dann schau? dir das an!“ Ixi deutet auf eine Fotografie an der Wand seines weißen Busses. Eine kleine Stadt in den Bergen, in goldgelbem Abendlicht. „Das ist Albarracin in Nordspanien, super im Off, im Niemandsland. Tolles Boulder-Gebiet. Da zieht es mich immer wieder hin.“ Insgesamt gebe es eine Handvoll Orte in Europa, die für ihn, von dem die anderen sagen, er sei kein typischer Deutscher, eine Art Zuhause sind. „Heimat ist ganz einfach da, wo ich sein kann, wie ich bin.“

Und was, wenn ihm irgendwann die Frau fürs Leben begegnet, wenn Kinder eine Option wären? „Für immer sesshaft zu werden, kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Aber wer weiß, was das Leben noch so bringt. Ich will da ganz offen bleiben.“

Infos/Bilder: www.markusixmeier.com

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| Gute Sicherung ist wichtig, wenn Markus Ixmeier an hohen Felsen klettert.
 
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