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LANDKREIS KITZINGEN
Kritik an der „Hü-Hott-Politik“
Hin- und hergerissen: Seit der Einführung des G8 gibt es Diskussionen und Nachbesserungen. Im nächsten Schuljahr startet die Mittelstufe Plus als Pilotprojekt. Die Schulleiter im Landkreis Kitzingen sehen die neueste Entwicklung skeptisch.
Foto: dpa | Hin- und hergerissen: Seit der Einführung des G8 gibt es Diskussionen und Nachbesserungen. Im nächsten Schuljahr startet die Mittelstufe Plus als Pilotprojekt.
Ralf Dieter
 |  aktualisiert: 06.03.2015 16:54 Uhr

Begeisterung klingt anders. Die Schulleiter der Gymnasien im Landkreis Kitzingen verfallen beim Stichwort „Mittelstufe Plus“ jedenfalls nicht in Euphorie. Im Gegenteil: Sie sehen das neueste Pilotprojekt skeptisch.

Am vergangenen Wochenende endete in Bayern die Bewerbungsfrist für die „Mittelstufe Plus.“ Das Kultusministerium startet damit einen neuen Versuch, die langwierige Debatte um das achtjährige beziehungsweise neunjährige Gymnasium zu einem Ende zu führen. Ob das gelingt, ist zum jetzigen Zeitpunkt zumindest fraglich.

Vereinfacht ausgedrückt, sollen mit der „Mittelstufe Plus“ ausgewählte Schüler die Möglichkeit erhalten, den Stoff der achten, neunten und zehnten Klasse in vier statt drei Jahren zu erlernen. Die zusätzliche Jahrgangsstufe soll nach der neunten Klasse eingeführt werden, eine so genannte „Jahrgangsstufe 9+“.

Wie viele Schulen sich im Bezirk Unterfranken für das Pilotprojekt angemeldet haben, darf die Ministerialbeauftragte Monika Zeyer-Müller nicht sagen. „Ich unterliege diesbezüglich der Schweigepflicht.“ So viel darf sie aber verraten: Eine Deckelung, wie sie anfangs im Gespräch war, wird es nicht geben. Alle Kinder, die einen „pädagogischen Bedarf“ haben, wie es in der Ausschreibung heißt, werden die Jahrgangsstufe 9+ besuchen. Dieser Bedarf wird in einem Beratungsgespräch zwischen Lehrern, Eltern und Schülern abgeklärt. „Letztendlich liegt die Entscheidung bei den Eltern“, so Zeyer-Müller.

Das Kultusministerium macht schon einmal Werbung für das Projekt: ein Jahr zusätzliche Lernzeit für die Schüler, die das wollen; eine besondere Förderung der Kernfächer; weniger Fächer pro Schuljahr. Das sind die Kernargumente von Minister Dr. Ludwig Spaenle. „Die Mittelstufe Plus ist ein klares Fördermodell“, meinte er bei der Vorstellung der Pläne im Landtag.

Gefahr einer Stigmatisierung

Wolfgang Kremer vom Landschulheim in Gaibach sieht das ganz anders. Seine Prophezeiung: Wer die neunte Jahrgangsstufe in zwei Jahren absolviert, der wird sich ein Jahr lang auf die faule Haut legen. Margit Hofmann vom Armin-Knab-Gymnasium in Kitzingen und Robert Scheller vom Egbert-Gymnasium in Münsterschwarzach sehen noch ein ganz anderes Problem auf die Schüler der „9+“ zukommen: eine Stigmatisierung. „Diese Klasse wird von den Schwächeren besucht werden“, prophezeit Scheller. „Und das wird allen anderen Schülern im Haus auch klar sein.“ Besser sei es, ein Jahr freiwillig zu wiederholen. Seine Befürchtung: In einer Mittelstufe Plus würden sich die Schüler eher demotivieren als motivieren. „Es ist wieder etwas geboren worden, das wirklich nicht durchdacht ist“, ärgert sich der Schulleiter.

Seit der Einführung des G8 im Schuljahr 2004/2005 hat es immer wieder Diskussionen und Nachbesserungen gegeben. Zuletzt ist das so genannte Flexi-Jahr eingeführt worden, mit mäßigem Erfolg. Schüler der Mittelstufe sollten mit diesem Instrument die Chance erhalten, ein Jahr zu wiederholen, ohne als Durchfaller zu gelten. Damit hätte sich ihre Schulzeit von acht auf neun Jahre verlängert. „Man hatte schon immer die Chance auf eine freiwillige Wiederholung“, sagt Hofmann.

Hilmar Kirch, der Leiter des Steigerwald-Landschulheims in Wiesentheid, hat für die Nachbesserungen der letzten Jahre einen Begriff: Hü-Hott-Politik. Viele Eltern hätten ihre Konsequenzen längst gezogen. Sie schicken ihre Kinder auf die Realschule. Nach dem Abschluss können sie über Einführungs- oder Profilklassen in den Gymnasien zum Abitur gelangen. „Eine andere Form des G9“, sagt Kirch.

Von der Mittelstufe Plus hält er schon deswegen wenig, weil nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Alle Schulen bekommen nach den Plänen des Kulturministeriums vier Anrechnungsstunden pro Woche für die Organisation der Jahrgangsstufe 9+. Bei weitem nicht ausreichend, wie Kirch beklagt. Etwa 30 zusätzliche Stunden bräuchte ein Gymnasium, um das gleiche Angebot wie bislang vorhalten zu können. „Sonst müssen wir woanders kürzen“, warnt er. Bei den Intensivierungsstunden? Bei den Wahlfächern? Weder Kirch noch seine Kollegen wissen es. „Das ist eine ungeklärte Frage“, bedauert er. Klar ist für ihn, dass die Schulen ein solches zusätzliches Schuljahr nicht wirklich finanziert bekommen. „Die Leidtragenden sind die Schüler und die Lehrer“, prophezeit er.

„Wenn die Mittelstufe Plus budgetneutral eingeführt wird, dann kann das nicht funktionieren“, bestätigt Margit Hofmann und verweist auf eine weitere Problematik. Schulen, die mehrere Zweige anbieten, werden mit der Jahrgangsstufe 9+ an ihre Grenzen kommen. Im AKG können die Schüler entweder mit Latein oder mit Englisch anfangen. „In einer 9+ können wir das aber nicht mehr parallel anbieten“, warnt sie. Genauso wenig wie den bilingualen Unterricht. Ihr Fazit: Die Mittelstufe Plus ist nach derzeitigem Stand unattraktiver als das G8. Das habe sich nach Anfangsschwierigkeiten längst etabliert. „Wir haben hier im Haus schon lange keine Diskussionen mehr darum“, sagt sie.

Lieber Lehrpläne bereinigen

„Das G8 hat eine gute Entwicklung genommen“, bestätigt Anton Gernert vom Gymnasium in Marktbreit. „Man müsste nur den Mut haben, die Lehrpläne zu bereinigen“, sagt Hilmar Kirch aus Wiesentheid. In allen Fächern sei das möglich, versichert er. Dann könne man mit dem G8 gut arbeiten. Robert Scheller wünscht sich ein Jahr mehr Zeit für alle Schüler an Gymnasien. Nicht, um zusätzlichen Stoff zu pauken, sondern um den Schülern Zeit zu geben, den vorhandenen Stoff zu verdauen. „Die jungen Leute sollen sich entwickeln dürfen“, fordert er. Das G8 habe diesbezüglich viele Chancen genommen. „Der Bildungsgedanke ist zu einem Ausbildungsgedanken verkommen“, ärgert sich Scheller. Eine Mittelstufe Plus sei jedenfalls keine Lösung.

Unnötig zu sagen, dass sich keine der Schulen im Landkreis für die Pilotphase beworben hat, die im Schuljahr 2015/2016 starten soll.

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Die Kernfächer werden in der Mittelstufe Plus durchgehend in allen vier Jahren unterrichtet. In der Regel mit jeweils drei zusätzlichen Wochenstunden.

Einzelne Fächer werden aus den Jahrgangsstufen 8,9 und 10 in die Jahrgangsstufe 9+ verlegt. Die Schüler werden in der Mittelstufe deshalb in der Regel 30 Wochenstunden haben. Zwei bis vier Stunden weniger als bislang.

Nachmittagsunterricht findet nur in der 10. Jahrgangsstufe statt.

Die Entscheidung, welche Schüler die Mittelstufe Plus besuchen, liegt bei den Lehrern. Die Eltern müssen dann einen Antrag stellen. Eine Wahlfreiheit für Eltern und Schülern gibt es nicht.

Die Mittelstufe Plus kommt in Bayern als Pilotprojekt. Im Landkreis Kitzingen nimmt keine Schule an der Probephase teil. Die Vorbehalte sind groß. Foto: dpa-Armin Weigel
| Die Mittelstufe Plus kommt in Bayern als Pilotprojekt. Im Landkreis Kitzingen nimmt keine Schule an der Probephase teil. Die Vorbehalte sind groß. Foto: dpa-Armin Weigel
 
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