
Bing, bing, bing... Ein Ton unterbricht die Stille. Laut und kräftig tönt er bis ins hinterste Eck des großen Raumes. Doch Ludwig Vasicek ist nicht zufrieden. „Zu weich“, sagt er und greift zur Feile, um den Hammerkopf vorsichtig zu bearbeiten. Taste für Taste, Saite für Saite, arbeitet sich der Klavierbaumeister von Piano Seiler durch das Instrument. Er braucht dafür ein gutes Gehör, aber auch viel Gefühl.
Der Klavierbau hat in Kitzingen eine lange Tradition: Die Seiler Pianofortefabrik wurde vor über 170 Jahren gegründet. Lange in Familienhand, ist das Unternehmen 2008 in den Besitz des koreanischen Konzerns Samick übergegangen. Nach wie vor werden die hochwertigen Seiler-Pianos und -Flügel in Kitzingen hergestellt und von hier aus in 30 Länder exportiert. Etwa 250 Pianos und 50 bis 60 Flügel verlassen Jahr für Jahr die Fabrik. Viele Hochschulen arbeiten mit Seiler-Instrumenten. Große Künstler auf Bühnen in aller Welt spielen auf Flügeln aus Kitzingen. „Es ist schon ein besonderes Gefühl, das mitzuerleben“, sagt Ludwig Vasicek. Im Bolschoi-Theater in Moskau hat er schon Konzerte betreut, saß schon in der Zarenloge des Mariinsky Theaters in St. Petersburg und hat aufmerksam verfolgt, ob alles passt mit dem kurz vor dem Konzert von ihm auf der Bühne gestimmten großen Flügel.
Als Laie ist man versucht, zu schreiben, dass er beim Stimmen von Klavieren vor Konzerten, aber auch am Ende der Produktion der Instrumente in Kitzingen, kontrolliert, ob jeder Ton sitzt. Einen Klavierbaumeister wie Ludwig Vasicek schüttelt es bei dieser Vereinfachung. Bei seiner Arbeit geht es um viel mehr als um richtige Töne. Es geht um die Klangfarbe, die Intonation, das Volumen, die Temperatur, die Brillanz. Darum, ob es hart klingt oder weich, wie lange ein Ton nachklingt, ob das Instrument die Melodie trägt, der Bass zu mächtig ist und damit die Melodie übertönt und einiges mehr. „Hören Sie das?“, fragt er und drückt kräftig auf eine Taste. „Es wabert!“ Mit einer Wellenbewegung seiner Hand macht er deutlich, was er meint. Und wirklich: Wer ganz genau zuhört, kann ein leichtes Auf und Ab vernehmen. Ludwig Vasicek feilt am Filz der Hammerköpfe, zupft an der mit Kupferdraht umwickelten Saite, schlägt immer wieder die Taste an, so lange, bis er zufrieden ist. „Bing, Bing, Bing“... Der einzige Ton in der ansonsten stillen Halle. Diese Stille ist wichtig, sonst hört Vasicek nicht, wenn es wabert, wenn eine Saite länger klingt als die andere, wenn es beim Übergang vom Bass zum Diskant vibriert.
Es braucht ein gutes Gehör, um ein Piano zu stimmen, es braucht Zeit und es braucht Geduld. Die haben längt nicht alle Menschen. So mancher Auszubildende verzweifelt in den ersten Monaten fast. Von Beginn an wird täglich eine halbe Stunde Stimmen geübt, später bis zu eineinhalb Stunden am Tag. „Üben, üben, üben“, sagt der Klavierbaumeister. „Nicht aufgeben, dann stellt sich der Erfolg auch ein.“ Der ist dann um so beeindruckender für die Auszubildenden.
Vasicek selbst hat 1985 eine Lehre bei Seiler absolviert. „Die Kombination aus Musik und Handwerk hat mich fasziniert.“ 1999 hat der Fröhstockheimer die Meisterprüfung abgelegt. Er hat im Klavierbau seinen Traumjob gefunden, dem er nach all den Jahren noch mit großer Leidenschaft nachgeht. Mehrere tausend Instrumente hat der 56-Jährige in all den Jahren schon gestimmt und sich einen riesigen Erfahrungsschatz angeeignet. Sein Wissen gibt er als Ausbilder weiter, aber auch auf Messen und bei Fortbildungen.
Den Aufbau der Instrumente kennt er natürlich in- und auswendig. Ein Klavier besteht aus etwa 6000 Einzelteilen. Die Gußplatte, der Resonanzboden, der Korpus, die Klaviatur, die Saiten, die Hammerköpfe, die (Stimm)Wirbel... Vieles ist aus Holz, das „arbeitet“ und entsprechend lange braucht, um sich der Form anzupassen oder der Funktion. Auf den Saiten lastet eine Zugkraft von bis zu 20 Tonnen. „Das muss sich erst stabilisieren“, erklärt Vasicek. Immer wieder ist Warten angesagt, bevor die Mitarbeiter wieder Hand anlegen können. Bis ein Piano die Fabrik im Goldberggebiet verlässt, dauert es drei bis vier Monate, bei einem normalen Flügel von 1,60 Metern Läge sechs bis neun Monate, beim knapp 2,80 Meter langen Konzertflügel sogar bis zu zwölf Monate. Der ist das größte Instrument, das bei Seiler hergestellt wird, Ludwig Vasicek war an der Entwicklung beteiligt. „Je länger der Flügel ist, desto größer sein Klangvolumen“, erklärt er. Für Konzerte ist das wichtig, schließlich sitzen teilweise mehrere tausend Zuhörer im Publikum, da muss auch die letzte Ecke beschallt werden.
Es ist nicht einfach, die vielen Bauteile und das lebendige Material genau abzustimmen. Sechsmal wird ein Klavier im Laufe der Produktion gestimmt, Ludwig Vasicek übernimmt Feinstimmung und Endkontrolle, bevor das Instrument zum Kunden geht. Wird es für einen Berufsmusiker gebaut, muss er sich in diesen „eindenken“, wie er sagt. Dafür muss er die Sprache der Pianisten beherrschen. „Ein Pianist hat eine andere Ausdrucksweise als wir Techniker.“ Spricht der Musiker davon, dass ein Klavier „zu schwer“ spiele, denke man sofort an den Tastendruck. „Das hat aber damit nichts zu tun. Das Instrument reagiert klanglich nicht so, wie der Pianist sich das vorstellt.“ Beim Klang eines Klavieres ist vieles zu beachten. Die Länge des Instruments, die Konstruktion des Resonanzbodens und dessen Spannung, die Hammerköpfe, die Saiten, die Zugspannung... Sogar die richtige Luftfeuchtigkeit ist wichtig. Bei Seiler sorgt eine Luftfeuchteführung für einen konstanten Wert. Bei Bedarf wird feiner Wassernebel in die Räume gesprüht. Denn wird das Holz zu trocken, verändern sich die Töne. Der Kammerton A, der in der Fabrik auf 442 Hertz festgesetzt wird, wird mit der Zeit selbst bei idealen Bedingungen nach und nach tiefer. Liegt der Wert unter 440, sollte das Instrument wieder gestimmt werden.
Dafür hat Ludwig Vasicek viele verschiedene Geräte auf seiner Werkbank liegen. Er setzt den großen Stimmhammer an, dreht den Stimmnagel, an dem die Saiten befestigt sind. Im Bassbereich ist es eine dicke Stahlsaite, die mit Kupferdraht umwickelt ist. Über sechs Meter lang müsste die Saite ohne die Kupferspirale sein, um den tiefsten Ton, das „A Erster Ton“, zu erzeugen. Bei den höheren Tönen braucht es die Ummantelung nicht, dafür setzt sich ein Ton teils aus zwei oder drei Saiten zusammen. Jede einzelne muss genau passen.
Vorsichtig und langsam dreht Vasicek den Stimmhammer. „Es geht um feinste Nuancen.“ Wie der Hammer gehalten wird, wo der Arm aufliegt, wie die minimale Bewegung der Muskeln das Werkzeug steuert, alles das will geübt sein. „Man entwickelt eine Sensibilität“, sagt der 56-Jährige – sowohl was die Bewegung, als auch was das Gehör angeht. Feingefühl ist auch beim Feilen der Hammerköpfe gefragt. Selbst wenn nur ein minimaler Teil des Filzes entfernt wird, verändert sich der Klang. Bleibt der Ton stehen oder verklingt er schneller als die danebenliegende zugehörige Saite? Dann muss Vasicek erneut zum Werkzeug greifen. Dazwischen immer wieder die Kontrolle: „Ding, Ding, Ding“. Laut tönt es und das ist wichtig. Die Saiten müssen großer Belastung standhalten. „Ein Pianist hat in einem Finger eine Kraft von 20 Kilogramm“, erklärt der Klavierbaumeister. Er selbst drückt beim Stimmen oft mit zwei oder drei Fingern die Tasten, um das zu simulieren.
Den ganzen Tag mit dem Gehör zu arbeiten, verlangt höchste Konzentration. „Das ermüdet schon“, gibt Ludwig Vasicek zu. Abends bevorzuge er daher eher die leisen Töne. „Manchmal schalte ich mein Gehör dann auch einfach ab.“
Seiler bildet auch im nächsten Jahr wieder Klavierbaumeister aus. Interessenten können sich unter info@seiler-pianos.de melden.








