Jonas Scheller ist 21 Jahre alt. Im Oktober beginnt sein drittes Lehrjahr. Scheller lernt den Beruf des Gesundheits- und Krankenpflegers an der Klinik Kitzinger Land. Trotz mancher Herausforderung möchte er gerne in diesem Berufsfeld alt werden. Dafür müssten sich allerdings die Rahmenbedingungen ändern.
Mittagspause in der Klinik Kitzinger Land. Nach und nach schauen an diesem Mittwoch die Beschäftigten am Stand vor dem Klinikgebäude vorbei. Die Gewerkschaft ver.di hat zur aktiven Mittagspause aufgerufen. „Wir wollen den Forderungen der Tarifrunde im öffentlichen Dienst Nachdruck verleihen“, erklärt Gewerkschaftssekretärin Sandra Zimmer die Aktion. Eine Fotobox ist aufgebaut. Immer wieder drückt Betriebsrätin Barbara Leder auf den Auslöser. Die Bilder der Beschäftigen werden auf ein Banner gedruckt und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei der nächsten Ministerkonferenz übergeben.
Für mehr Lohn kämpfen die Beschäftigten. 4,8 Prozent, mindestens aber 150 Euro pro Monat. Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 100 Euro pro Monat erhöht werden. Außerdem fordern die Arbeitnehmer verbindliche Vorgaben für mehr Personal.
Jürgen Chodera ist stellvertretender Betriebsrat. Er kennt die Klinik seit Jahrzehnten. „Wir kommen mit dem Personal immer wieder an unsere Grenzen“, sagt er. Immer weniger Bewerber gebe es für den Beruf, schon seien Headhunter unterwegs, um die besten Kräfte anzuwerben. Vom jüngsten Jahrgang der Krankenpflegeschule sind alle Absolventen übernommen worden – ein Novum. „Wir müssen die Vergütung anheben“, fordert Chodera mit Blick in die Zukunft. „Sonst ist bald kein Nachwuchs mehr da.“
Thilo Penzhorn schaut am Stand vorbei. Der Klinikvorstand sucht das Gespräch mit der Belegschaft. In seiner Brust schlagen zwei Herzen. Die Forderungen der Mitarbeiter kann er aus menschlicher Sicht nachvollziehen. Im März und April sind sie als Helden gefeiert worden und jetzt sei es nur recht und billig, dass sie für ihre Arbeit auch entsprechend entlohnt werden. 3003 Euro brutto erhält eine Pflegekraft nach der dreijährigen Ausbildung. Die Endstufe ist nach 14 Jahren erreicht. Der Bruttolohn ist in dieser Zeit um gerade mal 530 Euro gestiegen. Der Klinikvorstand wünscht sich von der Bundespolitik, dass sie ihre Versprechen vom Frühjahr jetzt auch einlösen und die Gesundheitsberufe besser stellen. Penzhorn ist kraft seines Amtes aber auch Kaufmann. Aus dieser Warte beobachtet er die Forderungen mit Sorge. „Steigende Kosten bei unklaren, unsicheren Erlösen sind für uns Kaufleute immer ein massives Problem“, sagt er. Genau darin liege das Problem für viele Kliniken in diesem Land: Sie wissen nicht, wie sich die Erlöse entwickeln. „Weil wir nicht vorausschauen können, wie die Belegung unserer Betten zukünftig sein wird.“ Als Kaufmann müsse er aber finanziell planen können. Das bestehende Finanzierungssystem ist für ihn deshalb auch der Knackpunkt. „Da läuft etwas fundamental falsch“, sagt er – und Betriebsrat Chodera nickt. „Das Abrechnungssystem für Kliniken muss dringend reformiert werden, um die sicher kommenden Tariferhöhungen zu finanzieren“, fordert auch Landrätin Tamara Bischof als oberste Dienstherrin des kommunalen Unternehmens.
Seit etwa 15 Jahren werden die Kliniken fallbezogen vergütet. „Unser Umsatz hängt also immer davon ab, wie wir belegt sind und wie viele Patienten wir behandeln“, erklärt Penzhorn und nennt die Geburtsabteilung als Beispiel. Pro Geburt erhält die Klinik eine Pauschale von rund 1800 Euro. Die Zahl der Geburten schwankt aber naturgemäß von Jahr zu Jahr um bis zu 100. Die Leistungen – und das Personal – müssten unabhängig davon vorgehalten werden. Das finanzielle Risiko der Klinik liege alleine in diesem Bereich bei 100.000 bis 200.000 Euro.
Nicht die einzige finanzielle Unwägbarkeit. Seit Jahrzehnten bezahlen die Bundesländer den Kliniken nicht mehr die Investitionskosten in voller Höhe, sondern nur noch prozentual. Der Umbau der Klinik Kitzinger Land wird mit rund 90 bis 100 Millionen Euro zu Buche schlagen. Penzhorn rechnet mit 55 bis 65 Millionen Euro vom Land.„Früher wären die gesamten Kosten übernommen worden“, erinnert er. „Hier lauert ein weiteres Kostenrisiko.“
Dass die Beschäftigten in den Kliniken ausgerechnet jetzt, in Corona-Zeiten, protestieren, ist für Landrätin Tamara Bischof kein Problem. Sie zeigt Verständnis für die Forderungen der Gewerkschaft. „Ich finde es richtig, wenn man für sein demokratisches Anliegen einsteht“, sagt sie und kann auch nichts gegen den Zeitpunkt einwenden. „In unserer Klinik ist die Lage bezogen auf Corona aktuell ruhig, weshalb Corona kein Hinderungsgrund für mögliche Streiks sein kann.“ Betriebsrat Jürgen Chodera erinnert zudem an die Notdienstvereinbarung, die besagt, dass jede Abteilung mit genug Personal besetzt sein muss – selbst wenn es zu einem Streik kommen sollte.
So weit denken die Betriebsräte an der Klinik aber noch nicht. Nach zwei Stunden ist an diesem Mittwoch Schluss mit der Aktion. Die „aktive Mittagspause“ ist beendet. Jonas Scheller und seine Kollegen gehen wieder zurück an ihre Arbeit – in der Hoffnung, dass ihr Protest erhört wird.