
Das Navi lotst einen in den Hinterhof. Hohe Wände halten den Würzburger Verkehrslärm fern. Ein kleines Fenster im Erdgeschoss eines Hauses steht offen. Dahinter liegt Nikita Kamprads Reich. E-Gitarren und E-Bässe stehen neben Mischpult, Bildschirmen und einer gemütlichen Couch. Hier in seinem Tonstudio ist der 36-jährige Musiker und Musikproduzent aus Würzburg in seinem Element. Bei ihm ist gerade Marc Fischer, 47, aus Hellmitzheim (Kreis Kitzingen). Gemeinsam geben die beiden der neuen Single von Fischers Musikprojekt "Six Days Of Calm" den letzten Schliff.
Nikita Kamprad schaut konzentriert auf den Monitor. Jeder Ton, den Marc Fischer auf dem Bass spielt, erzeugt auf dem Bildschirm eine Bewegung. Kamprad nimmt den Kopfhörer ab und sagt: "Marc, spiel bitte nochmal das Riff. Das hängt irgendwie." Fischers Finger bringen erneut die Saiten zum Schwingen. Nun nickt Nikita Kamprad zufrieden, die Aufnahme passt.
Ein paar Maus-Klicks, schon ist die Tonfolge eingefügt in Fischers Komposition. Der Song wird im Herbst auf den Markt kommen. Das, was beim Einspielen zu hören ist, soll noch geheim bleiben.
Musikalische Zusammenarbeit über Jahre

Seit vier Jahren arbeiten Fischer und Kamprad ("Der Weg einer Freiheit") zusammen. Aus Geschäftspartnern sind schon fast Freunde geworden. Kamprad hat Fischers Kompositionen im Studio nicht nur veredelt, sondern einige davon sogar als Gitarrist eingespielt. "Ich habe Marcs Musikprojekt 'Six Days Of Calm' von Anfang an begleitet", erzählt der Würzburger. Er freut sich über den Erfolg: Über 10.000 monatliche Hörer bei Spotify, AppleMusic, Amazon & Co. hat 6DOC mittlerweile.

Als Marc Fischer 1992 im Keller seines Elternhauses in Hellmitzheim seine erste Band "Casket" gründete – "mit drei anderen, die auch keine Noten lesen konnten" – hätte er das nie für möglich gehalten. Musik-Streaming-Dienste gab es überhaupt noch nicht. Später, als Mitglied der Metalcore-Band "Watch Them Fade", begann Fischer, eigene Songs zu schreiben. "Dabei habe ich mich musikalisch weiterentwickelt. Ich wollte für mich selbst stehen."
2018 gründete er Six Days Of Calm (6DOC) – sechs Tage Stille. Wobei Stille relativ ist. Zwei Alben gibt es mittlerweile. Einziges festes "Band"-Mitglied ist Marc Fischer selbst. Andere Musiker, manchmal auch Sängerinnen oder Sänger, holt er sich nach Bedarf dazu, zum Einspielen von Songteilen, aber auch für Live-Auftritte. Für das Entstehen der Stücke braucht der Hellmitzheimer jedoch niemanden. "Nur einiges an Technik." Das Ergebnis klingt wie der Soundtrack von Kino-Abenteuern: mal wie Hitzeflimmern, mal wie ein plötzliches Gewitter, mal schmerzhaft, mal sphärisch-leicht, mal mächtig, mal melancholisch.
Bis zu 80 Tonspuren werden übereinandergelegt
Post-Rock nennt sich das Genre, dem der Franke sich verschrieben hat. Das, was "nach dem Rock" kommt, ist vorwiegend Instrumentalmusik. Selten werden Gesang und Text eingebaut. Dafür fließen verschiedene Spielarten der Musik ein, von Jazz bis Klassik. Es gibt kein Limit. Marcs Songs bestehen aus sage und schreibe bis zu 80 übereinandergelegten Tonspuren, Streicher und Bläser inklusive.
Wieso aber komponiert ein Bauchemie-Forscher, der bei Knauf arbeitet, ein Musik-Epos? Wie wird ein Mann, der nie eine Musikschule besucht hat, so erfolgreich in seiner speziellen Musiksparte? Marc Fischer hat darauf eine ungewöhnliche Antwort: "Weil ich damit Gefühle rauslassen kann, die in mir sind und rausmüssen. Vor allem in dunklen Phasen des Lebens."

Ob es um Scheidung ging oder den Tod der Katze: "Ich mach' die beste Musik, wenn es mir schlecht geht", sagt der 47-Jährige freimütig. Die Musik helfe ihm, schwere Zeiten zu überwinden. Seinen Fans geht es offenbar ähnlich: "Immer wieder bekomme ich das Feedback, dass meine Songs Menschen Kraft geben." So eine Reaktion sei für ihn "mehr wert als 10.000 Klicks".
Dass die Stücke doppelt und dreifach so lang sind wie übliche Radio-Hits, "das ergibt sich so", erklärt der Kopf von 6DOC. "Ich fühle einfach, dass es das braucht, um zu wirken – auch wenn die Plattenfirma jammert und das Streaming bei der Länge schwer wird." Als Musiker möchte er immer wieder Neues ausprobieren. Manchmal müssen sogar Dissonanzen mit in einen Song rein, "verrückte Sachen, wie beispielsweise das Geräusch, das eine Katze macht, wenn sie mit ihren Krallen einen Sitzsack bearbeitet".
Keine Musik für Anton-aus-Tirol-Fans

Mainstream ist das nicht. Nikita Kamprad bezeichnet es sogar als "Gegenpol zur Allerweltsmusik, die da rein und dort wieder rausgeht". Marc Fischer selbst sagt: "Anton-aus-Tirol-Fans hole ich vielleicht nicht ab, aber das ist voll okay." Jede Art von Musik habe ihre Berechtigung. "Für meine muss man sich bewusst die Zeit nehmen."
Deshalb gibt es seine Musik auch auf Vinyl. Die gute, alte Schallplatte erfährt ein Revival. "Corona hat für musikalische Entschleunigung gesorgt", findet Marc Fischer. "Die Leute legen sich wieder Plattenspieler zu und Plattensammlungen an."
Musikproduzent Kamprad: "Das Live-Feeling kannst du nicht runterladen"

Und sie gehen wieder auf Konzerte. Nikita Kamprads Erfahrung lautet: "Egal, wie digital die Welt wird, das Live-Feeling kannst du nicht runterladen. Die Energie kommt am besten direkt rüber." Weil Marc Fischer ähnlich empfindet, gibt es 6DOC auch als "echte Band", deren Musiker aus ganz Deutschland zusammenkommen. "Da läuft zwar viel Technik mit, aber das Live-Gefühl ist halt was Besonderes."
Apropos: Seine Musik einmal von einem großen Orchester live gespielt zu erleben – "das wäre was", gibt der Hellmitzheimer zu. Ein weiterer Traum: "den Soundtrack zu einem Film oder einer Serie zu erschaffen".
Und wenn das nicht klappt? "Dann ist das auch okay", sagt Marc Fischer schulterzuckend. "Im Prinzip ist es mir völlig egal, wie meine Musik zu den Menschen kommt – ob live, gestreamt, auf CD oder Platte: Hauptsache, sie erreicht diejenigen, die dafür empfänglich sind, und gibt ihnen ein gutes Gefühl."
Marc Fischers Musik
Infos/Shopping: https://sixdaysofcalm.bandcamp.com/music