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Karo Murat floh aus dem Irak nach Deutschland und hat jetzt die Welt vor Augen
Ein Mann boxt sich durch. Von unten nach oben. Karo Murat hatte einst nichts außer dem Willen, im Leben etwas zu erreichen. Nachdem er sich mit Aushilfsjobs durchgeschlagen hatte, wurde der Kitzinger armenischer Abstammung 2006 Profiboxer. Seit April ist er Europameister.
Das Gespräch führte Michael Kämmerer
 |  aktualisiert: 26.04.2023 11:50 Uhr
Frage: Herr Murat, als Box-Europameister haben Sie vergangenes Jahr im wörtlichen Sinne Schlagzeilen erzeugt und sich damit als „Kitzinger Kopf 2008“ empfohlen. Was bedeutet Ihnen der Gewinn dieses Ehrentitels?

Karo Murat: Ich freue mich sehr über das Wahlergebnis – besonders weil ich erstmals in meiner Karriere für einen Wettbewerb dieser Art nominiert worden bin. Es macht mich stolz, wenn ich merke, dass die Menschen Notiz von meinen sportlichen Leistungen nehmen.

Sie hatten einen Vorteil gegenüber den Konkurrenten: Auf Ihrer Internetseite www.karo-murat.de haben Sie für die Aktion Werbung gemacht.

Murat: Das stimmt. So wussten nicht nur Fans aus Kitzingen Bescheid, und ich konnte meine Anhänger aus ganz Deutschland und dem Ausland darauf hinweisen, mir ihre Stimme zu geben. Jedoch habe ich nicht mit dem ersten Platz gerechnet: Christina Leibold von Germany's Next Topmodel hielt ich für die Kandidatin mit den besten Chancen.

Die Stadt und der Landkreis Kitzingen ehren jedes Jahr erfolgreiche Sportler. Auch 2008 sind Sie von den offiziellen Stellen wieder unberücksichtigt geblieben. Ärgert Sie das?

Murat: Nein, aber ich finde es schade, dass ich noch keine Einladung bekommen habe. Dabei mache ich die Region bekannt, wenn ich im Boxring als Kämpfer aus Kitzingen vorgestellt werde. Meine Auftritte werden von den Fernseh-Sendern ARD und Eurosport in 42 Länder übertragen. Allein in Deutschland sehen immer rund zweieinhalb Millionen Leute zu.

Sie leben und trainieren in Berlin. Was gefällt Ihnen an Kitzingen besser?

Murat: In Kitzingen kenne ich mich aus, hier habe ich meine Freunde, hier fühle ich mich wohl. Damit verbinde ich die Erinnerungen meiner Jugend. Berlin ist eine andere Welt, eine lebendige, hektische Metropole. Deshalb sehne ich mich immer wieder nach der Ruhe Kitzingens. Was Kitzingen mir gibt, kann Berlin nicht bieten.

„Wir sind als Christen aus dem Irak geflohen und hatten nichts“

Karo Murat über seine Kindheit

Wo halten Sie sich in Kitzingen am liebsten auf?

Murat: Ich bin gerne am Oberen Mainkai, setze mich in die Sonne und füttere die Enten. Sonst verbringe ich die Zeit bei meinen Eltern in Etwashausen. Über Weihnachten und Neujahr habe ich sie zuletzt für zehn Tage besucht. Auch nach Kämpfen bekomme ich von meinem Trainer Ulli Wegner zwei bis drei Wochen Urlaub, um nach Kitzingen zu fahren.

Gibt es noch Kontakt zum Kitzinger Kraftsportverein, bei dem sie als Amateur angefangen haben? Eigentlich könnte sich der Klub mit Ihnen schmücken.

Murat: Ich telefoniere häufiger mit Boxerkollegen von einst. Manche sind voriges Jahr sogar nach Neubrandenburg und Bielefeld gefahren, als ich meine Europameisterschaftskämpfe hatte. Ich weiß nicht, ob alle beim KSV Kitzingen stolz auf mich sind. Zu meinem früheren Trainer Friedrich Dollinger habe ich nach wie vor ein etwas gespanntes Verhältnis. Bevor ich Profi geworden bin, hatten wir immer wieder Meinungsverschiedenheiten.

Bei den Kampfveranstaltungen Ihres Managers Wilfried Sauerland haben Sie bislang in verschiedenen deutschen Städten geboxt. Auch in Russland, Spanien und Österreich sind Sie bereits gewesen. Würden Sie nicht gerne einmal in Würzburg im Ring stehen?

Murat: Das wäre ein Traum. Mein Management hat sich darum bemüht, dort eine Boxveranstaltung zu organisieren. Leider hat die s.Oliver-Arena aber nicht die baulichen Voraussetzungen.

In der Weltrangliste Ihrer Gewichtsklasse stehen Sie bereits auf Position drei. Im Februar werden Sie antreten, um Ihren EM-Titel erneut zu verteidigen. Aber irgendwann wollen Sie Weltmeister sein.

Murat: Das ist schon immer mein Ziel gewesen. Wenn ich mich weiterentwickle und meine Deckung verbessere, werde ich zu den Besten der Welt gehören. Wenn ich als Europameister auch künftig erfolgreich bin, bekomme ich vielleicht schon in einem Jahr den Kampf um die WM.

Mit einem bekannten Weltmeister hatten Sie bereits zu tun. Zu Beginn Ihrer Profilaufbahn haben Sie mit Henry Maske trainiert. Dann schlugen Sie ihn verbal. „Maske hat nur Patschehändchen“, wie die Bild-Zeitung Sie 2007 zitierte. Das war ganz schön keck.

Karo Murat mit dem blauen Gürtel als Symbol für den Europa-Titel vor der Kulisse seines geliebten Kitzingen.
Foto: FOTO michael kämmerer | Karo Murat mit dem blauen Gürtel als Symbol für den Europa-Titel vor der Kulisse seines geliebten Kitzingen.
Murat: Ich kannte das Wort „Patschehändchen“ damals nicht und habe es im Interview gar nicht verwendet. Ich habe nur gesagt, dass Maskes Schläge nicht hart waren. Aber der Spruch hat mir nicht geschadet. Im Gegenteil: So wurde ich mit einem Schlag bekannt. Bundesweit.

Sie werden auf der Straße erkannt, Sie bekommen Fanpost und werden im Fernsehen gezeigt. Fühlen Sie sich wie ein Star?

Murat: Ich fühle mich ganz normal. Aber ich habe einen Beruf, den nicht jeder ausüben kann, und werde für meine Leistungen belohnt.

Sie boxen auch für ein besseres Leben.

Murat: Wir sind aus dem Irak vor den alltäglichen zwischenmenschlichen Problemen, die man als Christ unter Muslimen hat, geflohen. Als ich 1996 mit meinen Eltern und Brüdern nach Deutschland kam, hatten wir nichts. Ich will genug Geld verdienen, damit ich die Familie unterstützen kann. Aber das Geschäft ist hart: Talent allein reicht nicht, der Wille ist entscheidend.

Könnten Sie es sich jetzt bereits leisten, mit dem Boxen aufzuhören?

Murat: Ich bin noch nicht allzu lange bei den Profis. Selbst als Europameister fängt es mit dem Geld erst langsam an. Wer eine gewisse Zeit Weltmeister bleibt, hat die Chance, sehr reich zu werden. Von meinen Kampfbörsen kann ich inzwischen gut leben. Aufhören könnte ich aber nicht, um für den Rest des Lebens versorgt zu sein.

„Heimat ist dort, wo mein Herz ist“

Karo Murat über seine Umgebung

Sie sind im Irak geboren, in Kitzingen aufgewachsen, haben armenische Wurzeln und wohnen nun in Berlin. Was verstehen Sie unter Heimat?

Murat: Heimat ist dort, wo mein Herz ist. Es schlägt gleichzeitig für Kitzingen und das Land meiner Vorfahren, obwohl ich noch nie in Armenien gewesen bin.

Aber auch das Leben in Kitzingen ist für Sie nicht immer einfach gewesen.

Murat: Als Flüchtlinge hatten wir keine Aufenthaltsgenehmigung, keine Arbeitserlaubnis und waren lange Zeit nur geduldet. Wir mussten immer damit rechnen, abgeschoben zu werden. Diese Erfahrungen sind Teil meines Lebens. Hätte ich damals andere Möglichkeiten gehabt, wäre ich vielleicht nie zum Boxen gegangen. Womöglich würde ich heute als Kfz-Mechaniker arbeiten.

Zur Person

Karo Murat Vor zweieinhalb Jahren unterschrieb der Kitzinger einen Vertrag bei Wilfried Sauerland, dem renommierten Boxmanager, der einst Henry Maske vermarktete. Seitdem hat Murat in der Supermittelgewichtsklasse (bis 76,2 Kilogramm) sämtliche 18 Kämpfe gewonnen, elf davon durch K.o. Als Amateur wurde er mehrfach bayerischer Meister und siegte in 90 von 118 Kämpfen. Seine größte Niederlage erlitt Murat jedoch nicht im Ring: „Ich war verliebt – und dadurch sehr schwach.“

 
 
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