
Was haben alteingesessene Altstadtbürger und ein Wahl-Iphöfer aus „Bella Italia“ gemeinsam? Sie haben, salopp gesagt, immer Holz vor der Hütt'n. Seriös ausgedrückt: Sie haben das Recht, im Stadtwald Brennholz zu machen, Jahr für Jahr. Zu verdanken haben sie das einer 500 Jahre alten Tradition, einem historischen Förster-Eid – und der Sturheit der alten Iphöfer.
Einmal im Jahr, immer um Martini herum, spielen sich in der Altstadt sowie im Stadtwald Iphofen spannende Szenen ab. Erst zieht eine Schar Männer mit einer 3,65 Meter langen Stange durch den Wald, bringt Markierungen an und schätzt Holzmengen. Dann lädt der Stadtförster zum „Laubenziehen“ ein. Mitnichten geht es darum, irgendwelche lauschigen Gartenhäuschen zu verlosen. „Lauben“, das sind in Iphofen Waldparzellen.
Eine Laube ist genau 66 Quadrat-ruthen (900 Quadratmeter) groß, so ist es im „Ratsbuch“ festgelegt. Ein Holzausgeber-Eid von 1520 mahnt die gerechte Holzverteilung an. „Förster-Eydt im Walde“ heißt die Überschrift einer weiteren Urkunde aus dem Jahr 1520, die beschreibt, welche Arbeiten der Förster zu tun hat – und dass er „dem Gemeinwohl verpflichtet“ ist. Das Dokument ist ein früher Beleg für die Mittelwaldwirtschaft, die in Iphofen demnach mindestens ein halbes Jahrtausend alt ist und dafür sorgte, dass alle Bürger stets Brenn- und bei Bedarf auch Bauholz zur Verfügung hatten.
„Der Schatz der Stadt Iphofen“
Der Förster-Eid von 1520 wurde im gleichen Jahrhundert noch zweimal ergänzt: durch eine Förster- und eine Waldordnung. Darin findet sich die blumige Formulierung, dass der Wald „als das vornehmste Kleinod und als Schatz der Stadt Iphofen“ besonders gehegt und gepflegt werden solle, „damit die Nachfahren nicht mit weniger Vorlieb nehmen müssen“. Es folgt ein Appell, ähnlich zu handeln wie die Vorfahren.
Stadtförster Rainer Fell übersetzt das in die heutige Zeit: „Wir sagen Nachhaltigkeit dazu. Diesem Ideal folgen wir noch immer.“
500 Jahre Förster-Eid: Eigentlich hatten Fell und sein Team heuer richtig schön feiern wollen. Wegen Corona fallen große Festlichkeiten zwar aus, die Tradition an sich aber wird, wie jedes Jahr, vollzogen. Mittendrin der Wahl-Iphöfer Giovanni Lucia. Er hat mit seiner Frau Julia, einer Iphöferin, ein altes Anwesen in der Innenstadt liebevoll renoviert. Als Besitzer der Immobilie sind die Lucias damit automatisch Holzrechtler. Denn: Mit jedem Anwesen, jeder „Hofstelle“ in der Altstadt, ist grundsätzlich ein altes Holzrecht verknüpft. 163 Rechte sind aktuell im Grundbuch vermerkt. Die Rechtler führen die historische Mittelwaldwirtschaft weiter.
Mittelwald besteht aus zwei Baumschichten: dem Oberholz, das alt werden darf, und dem Unterholz, das etwa alle 30 Jahre flächig als Brennholz geerntet wird. Das läuft so: Jedes Jahr weist der Stadtförster etwa zehn Hektar Stadtwald als aktuelle Laubenfläche aus – das ist rund ein Dreißigstel der Gesamtfläche des Iphöfer Mittelwaldes. Im 30-jährigen Turnus wird so jedes Waldstück einmal genutzt. „An sich ist das ein artenreicher Lebensraum und eine nachhaltige Form der Bewirtschaftung, wenn man sich darum kümmert, dass die Verjüngung gut funktioniert“, stellt Fell klar, „auch wenn man sich als Förster anfangs erst mal daran gewöhnen muss, dass die Lauben ziemlich licht geworden sind, wenn die Rechtler durch sind.“
Die Rechtler dürfen – gegen eine Laubengebühr von 20 Euro – Äste, Kronen und Stämmchen bis zu einem Durchmesser von 14 Zentimetern (in Brusthöhe) wegschneiden, dickere Stämme gehören der Stadt. Mit einer Ausnahme: So genannte „Bürger“ – massivere Stämme, die der Förster mit einem B kennzeichnet – kann der Rechtler erwerben, wenn er möchte; den Preis legt Reinhard Wolf fest, der Forstwirtschaftsmeister der Stadtförsterei.
„Klar macht es auch mal Spaß, einen dickeren Stamm zu fällen“, stellt Thomas Wintzheimer fest. Tagelang war der Rechtler-Sprecher jüngst im Stadtwald unterwegs – mit roter Sprühfarbe, Notizbüchern und teils seltsamen Instrumenten, wie einer alten, 3,65 Meter langen „Gertstange“ aus Holz. Mit Hilfe dieser historischen Riesenlatte vermaßen Wintzheimer und seine ehrenamtlichen Rechtler-Helfer den Wald gemeinsam mit Reinhard Wolf, Jürgen Pöhlmann und Hieronymus Konrad vom Forstamt. Sie teilten das Gebiet in gleich große Lauben ein.
Alle starren auf die Lattstarr'n
In jeder Parzelle schätzten sie den Holzanteil – durchschnittlich zehn bis 14 Ster. Damit es bei der Verlosung der Lauben möglichst gerecht zugeht, wird jede Laube in Iphofen halbiert. „Jeder Rechtler darf also zwei Lose ziehen – eines mit viel Holzanteil und eines mit weniger Holz beziehungsweise ein Hangstück, das schwerer zu bearbeiten ist“, erklärt Wintzheimer.
Wie aber finden die Altstadtbürger ihre Laube im Wald überhaupt? Das Team um Wolf und Wintzheimer hat zahlreiche Markierungen angebracht, „Lattstarr'n“ genannt. Woher der seltsame Name kommt? Vielleicht vom Starren auf die Holzlatte, die Anfang und Ende der Parzellen anzeigt? Das mutmaßt Forstgeschichtler Dr. Joachim Hamberger, der die Iphöfer Waldgeschichte aufwendig recherchiert hat. Förster Fell meint, das Wort könnte auch vom „Stehenlassen“ der Stämmchen herrühren, auf denen die Parzellennummern vermerkt sind.
Alle Geheimnisse um den alten Förster-Eid sind also nicht gelüftet. Auch mag sich mancher fragen, warum der Wald in Iphofen – anders als in den meisten Orten – nie Privatwald wurde, sondern über die Jahrhunderte stets in Gemeinschaftsnutzung blieb. Rainer Fell erklärt das so: „Julius Echter hat 1574 in seinem Herrschaftsbereich die Mittelwaldwirtschaft festgelegt. Neun Jahre später haben die Iphöfer nach seinen Vorgaben ihre Waldordnung beschlossen. An der haben sie immer stur festgehalten, egal was kam.“ Dem Eigensinn der alten Iphöfer ist es also zu verdanken, dass es die Laubentradition noch gibt und dass die Stadt eines der größten Mittelwaldgebiete des Landes besitzt.
Rainer Fell freut sich auf Donnerstag. Um 16 Uhr steht der große Lostopf vor dem Rathaus bereit, aus dem alle Rechtler ihre Laubennummer ziehen dürfen. Traditionell fängt der Vertreter des katholischen Pfarramts an. „Wir haben die Stadt in vier Viertel geteilt. Jedes Jahr beginnt ein anderes Viertel mit dem Ziehen“, berichtet Fell.
Auch er selbst hat jahrelang in der Altstadt gewohnt und sein Brennholz selbst gemacht. „Das gehört in Iphofen zum Lebensrhythmus dazu wie die Weinlese.“ Viele erfahrene Männer nehmen gerne ihre Kinder und Enkel mit, lassen sie dünnere Hölzer aufschichten, schüren vielleicht ein Feuerle – und wecken so die Begeisterung des Nachwuchses für die uralte Mittelwaldwirtschaft.
Auch Giovanni Lucia handhabt es so. Seine Töchter und Neffen waren schon beim Holzmachen aktiv. „Das macht Spaß!“, sagt Neffe Sebastian. Töchterchen Leonora freut sich darauf, dass sie bald wieder in kurzer Hose auf der Couch „chillen“ kann. Papa schürt immer so großzügig nach, dass es der ganzen Familie nicht nur ums Herz richtig warm wird. Giovanni braucht halt Platz für neues, selbst geschlagenes Holz.
Rechte und Pflichten der Iphöfer
Termin: Das Laubenziehen findet heuer Corona-bedingt nicht in der Verkündhalle, sondern vor dem Rathaus statt: am Donnerstag, 5. November, von 16 bis 17 Uhr.
Holzrechte: Nur Grundstücksbesitzer, die ihr Anwesen selbst bewohnen, können ihr Holzrecht ausüben; haben sie ihr Altstadthaus vermietet, ruht das Recht. Aktuell ruhen 66 von 163 Holzrechten. Übt jemand sein Holzrecht aus Bequemlichkeit nicht aus, wird es ihm entzogen.
Holzpflichten: Stadtförster Rainer Fell sagt: „Holzmachen muss man können. Man braucht einen Motorsägenlehrgang, entsprechende Kleidung, Maschinen...“ Nicht jeder hat all das oder will diese schwere Arbeit machen. Deshalb kann man sein Recht ablösen: Man bekommt einmalig 500 Euro von der Stadt und das Holzrecht wird aus dem Grundbuch gelöscht.
Stadtratsbeschluss: Vor fünf Jahren hat der Iphöfer Stadtrat festgelegt, dass er in der alten Lauben- und Mittelwaldtradition ein „Flächendenkmal“ sieht, ein Stück Kulturgut also. Um dieses zu erhalten, hat der Rat beschlossen, die Mittelwaldwirtschaft fortzuführen – sollte es einmal nicht mehr mit Rechtlern funktionieren, dann mit Selbstwerbern oder städtischem Personal. Jedes Jahr sollen zehn Hektar genutzt werden, um bei 30-jährigem Umtrieb in Summe 300 Hektar Mittelwald zu erhalten.






