Das Steigerwald-Landschulheim (LSH) in Wiesentheid gilt seit Jahrzehnten als Institution, auf das die Gemeinde stolz ist. Die Schul- und Internatsgebäude des Gymnasiums befinden sich – passend für ihre Bedeutung – unweit des barocken Ortskerns und integriert in eine Wohnsiedlung. Dort gehen neben den Lehrkräften und Angestellten täglich rund 500 Jugendliche ein und aus. Für 75 Mädchen und Jungen ist es zugleich ihr Zuhause. Sie leben im Internat, quasi Tür an Tür mit den Klassenzimmern.
Die Wege innerhalb der Gebäude sind wirklich kurz, nicht nur vom Schulbereich zum Internat ist es ein Katzensprung. Im Flur neben dem Forum, das das Zentrum der Schule bildet, liegt das Büro von Andreas von Borany. Er ist seit 2017 in Wiesentheid und leitet seit eineinhalb Jahren das Internat. Dessen junge Bewohnerinnen und Bewohner kommen aus Deutschland und einem Dutzend anderer Länder. Ein leichtes Plus an Jungen habe man, sagen Borany und seine Stellvertreterin Simone Franzmann. Auf die Vielfalt legt das Gymnasium großen Wert, denn laut Leitbild versteht man sich als "Internatsschule mit internationaler Ausrichtung".
Das wird deutlich, wenn man sich mit Anna Schröder, Salma Elkashty, Arby Kress und Paul Runge trifft, vier Internatsschüler, die Wurzeln in vier Nationen haben. Beim gemeinsamen Rundgang mit Simone Franzmann zeigen sie ihre Räume und erzählen von sich und dem Alltag dort. Die vier fühlen sich nach eigenen Worten wohl im Internat. Der Gang durchs Haus lässt erkennen, dass sich in den letzten Jahren einiges getan hat. Früher, sagt Franzmann, lebten bis zu 250 Jungen und Mädchen im Wiesentheider Landschulheim. Heute sind es weniger als ein Drittel, so dass sie mehr Platz zur Verfügung haben.
Die Zimmer sind meist mit zwei Kindern oder Jugendlichen belegt, selten mit dreien. Manche der älteren haben ihre vier Wände für sich. Das sei zum zeitgemäßer und attraktiver, sagt Franzmann. Und Platz gibt es ja.
Im nächsten Schritt sei man dabei, die gemeinschaftlichen Waschräume abzuschaffen. Ein Teil der Zimmer ist bereits mit eigenen Waschbecken ausgestattet, die anderen sollen folgen. "Wir wollen Räume schaffen, in denen die Schüler sich auch wohlfühlen", sagt die Erzieherin.
Die einzelnen Gruppen verfügen jeweils über eine gemeinsame Küche; neues Geschirr ist gerade eingetroffen. Die Küche gefällt den Internatsschülern, auch weil dort meist jemand anzutreffen sei. "Das ist nicht nur praktisch, wenn man abends noch Hunger hat. Die Küche ist eine Anlaufstelle, um ein bisschen mit anderen zu quatschen", erzählt Arby Kress.
Nicht weit davon entfernt liegt das Zimmer, das sich Arby mit Paul Runge teilt. Betten, Schrank, Tisch, Stühle, Regal, kein großer Schnickschnack oder Deko. "Wir sind da minimalistisch, nicht so wie die Mädels", sagt Arby und lächelt.
Die beiden Mädchen sind beim Gang durch die Jungen-Etage nicht dabei. Sie dürfen nicht in den Trakt der Jungen und stoßen erst wieder im Treppenhaus dazu, das zwischen den Trakten liegt. "Das ist der Treffpunkt für alle; hier ist immer was los", sagt Simone Franzmann. Kein Wunder: Der offene Bereich bietet viel Platz für Freizeit. Eine Tischtennisplatte und ein Tischkicker stehen dort neben Sofas und Stühlen.
Gleich darunter im Keller befindet sich mit dem Kino-Saal eine weitere beliebte Anlaufstelle. Den könne man mieten, um Filme zu schauen oder zu spielen. Am Wochenende sei hier viel los, erzählen die vier Schüler.
Oben im Gebäude befindet sich der Bereich der Mädchen. Auch deren Zimmer sind geräumig, viele haben ihren Bereich mit bunten Postern und Fotos geschmückt. Sie schätzen ebenfalls die Küche auf dem Stockwerk, hier werde öfter gemeinsam und international gekocht und gegessen, vor allem an den Wochenenden, erzählt Anna. Mitten in ihrer Gruppe, im Flur, hat Erzieherin Simone Franzmann ihr Büro, ganz ohne Abtrennung. Sie schätzt das Grenzenlose: "Das ist sehr kommunikativ."
Später geht es zusammen über den Pausenhof, nur wenige Meter weiter. Salma Elkashty zeigt einen der Vorteile des Wiesentheider Internats: den Sportbereich. Salma spielt in ihrer Freizeit gerne in der Turnhalle Basketball oder nutzt den gut ausgestatteten Fitnessraum darunter. Das sei auch an den Wochenenden ohne Probleme möglich, sagt die 16-Jährige. "Wir sitzen nicht nur herum und hängen am Handy. Wir spielen oft zusammen Basketball oder Volleyball."
Die gemeinschaftliche Aktivität, die Gruppe fange bei den Jugendlichen vieles auf, aber nicht alles, sagt Internatsleiter von Borany. Das Heimweh melde sich schon manchmal, gerade für ausländische Internatsschüler sei die Situation nicht immer einfach. "Manche haben zehn Stunden Flug hierher; da kann man nicht schnell mal nach Hause." Viele reisten im Schuljahr nur zwei- oder dreimal zur Familie. Borany erzählt von einem chinesischen Schüler, der über mehrere Jahre kein einziges Mal daheim gewesen sei. Über Videochats oder WhatsApp habe er in dieser Zeit mit seinen Eltern kommuniziert.
Das sei aber die Ausnahme. Generell, so Borany, habe er "riesigen Respekt, wenn junge Leute ins Internat gehen. Man verlässt die gewohnte Umgebung, teilt sich ein Zimmer mit jemandem, hat fremde Erzieher und Lehrer. Das ist von null auf hundert."
Natürlich seien nicht alles Engel im Internat. "Das ist ein bunter Haufen, viele Charaktere. Da gibt es auch mal Konflikte und Streit." Das gelte es dann eben zu klären oder zu sanktionieren. Generell seien die Gesellschaft und die Anforderungen komplexer geworden, sagt der Internatsleiter. Krisen wie Corona oder der Krieg in der Ukraine gingen nicht spurlos an den jungen Menschen vorbei. Das verändere die Jugend, und darauf müsse man Rücksicht nehmen.
Erst im Internat in St. Petersburg, dann in Wiesentheid
Die Gründe, warum Eltern ihren Nachwuchs ins Internat schicken, seien meist schulischer Natur, so der Leiter. Bei ausländischen Schülern werde zudem oft das Lernen der deutschen Sprache als Grund genannt, weil sie später hier studieren sollen. Als Beleg dafür kann man die vier Schülerinnen und Schüler nehmen, die den Rundgang begleiten.
So sind etwa Annas Eltern halb deutsch, halb russisch. Aufgewachsen in der Nähe von Lübeck, verbrachte sie später ein Jahr auf einem Internat in St. Petersburg, bevor sie 2021 nach Wiesentheid kam. Dort will die 18-Jährige in diesem Frühjahr ihr Abitur machen. Sie sei beim Suchen nach einem Internat in Deutschland eher zufällig auf Unterfranken gekommen. In Wiesentheid hätten sie die Gespräche mit der Leitung überzeugt.
Salma Elkashty ist Ägypterin. Sie kommt aus Kairo und besuchte dort von klein auf einen deutschen Kindergarten, später eine deutsche Schule. "Ich wollte schon immer auf ein Internat", erzählt die 16-Jährige. Von Bekannten ihrer Familie erhielt sie den Tipp mit Wiesentheid, wo sie jetzt seit September ist. "Mir gefällt es sehr gut hier; ich möchte bleiben bis zum Abitur", sagt sie in akzentfreiem Deutsch.
Von der 25-Millionen-Einwohner-City in die 3655-Seelen-Gemeinde
Ungewöhnlich ist der Weg von Arby Kress. Der Deutsche mit einem philippinischen Elternteil lebte zuvor in der 25-Millionen-Einwohner-Stadt Shanghai. "Dort habe ich zwar Deutsch gelernt, meine Muttersprache ist aber Englisch. Ich dachte, ich will mal raus aus Shanghai und Deutschland kennen lernen." Ein Onkel von ihm wusste von Wiesentheid, dem 3655-Einwohner-Flecken in Unterfranken, der seit Herbst das Zuhause für den 16-jährigen Arby ist.
Genauso kurz ist Paul Runge (16), Arbys Zimmerkollege, im Internat des LSH. Paul stammt aus der Nähe von Forchheim, wo er das Gymnasium besuchte. Seine schulischen Leistungen dort seien nicht so gut gewesen. Er brauche etwas Druck, erzählt er von sich. Also habe er sich für den Weg nach Wiesentheid entschieden.
Internat mit Gymnasium
Ebenfalls Mitglieder sind die Städte und Gemeinden Berg, Chieming, Ebrach, Gerolzhofen, Kelheim, Mainburg, München, Seeon-Seebruck, Volkach, Wiesentheid und Würzburg.