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KITZINGEN
Impfpflicht: Was sagen Persönlichkeiten aus dem Landkreis Kitzingen?
Ralf Dieter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 14:48 Uhr

Die Bundespolitik hatte die Möglichkeit schon sehr früh ausgeschlossen. Eine Impfpflicht soll es in Deutschland nicht geben, hieß es zu Beginn der Pandemie. Mittlerweile befindet sich das Land in der vierten Welle – und die Meinung beginnt sich zu ändern. Ministerpräsident Markus Söder kann sich plötzlich eine allgemeine Impfpflicht vorstellen. Wir haben Politiker, Mediziner und Theologen aus dem Landkreis Kitzingen die gleiche Frage gestellt: Soll es eine allgemeine Impfpflicht geben?

Dr. Volker Fackeldey

(Chefarzt Klinik Kitzinger Land): Sie sprechen da ein sehr heikles Thema an. Aus medizinischer, pandemiologischer, aber auch gesellschaftlicher Sicht gäbe es für mich nur eine klare Antwort: Ja, es muss eine allgemeine Impfpflicht geben!

Die Erfahrungen der letzten Zeit – auch in anderen Ländern wie zum Beispiel Frankreich und Österreich – zeigen leider, dass Appelle an die Vernunft nicht in dem Maße fruchten, wie dies für die Beendigung der Pandemie notwendig ist.

Fehlinformationen, Unwahrheiten aus dem Internet und teils absurde, unverantwortliche Aussagen von Politikern und anderen Personen des öffentlichen Lebens haben zu einer Verunsicherung und Ablehnung geführt. Die Situation auch hier in Bayern ist dadurch mehr als angespannt.

Die deutsche Politik hat sich frühzeitig und ohne Not gegen eine solche Pflicht entschieden. Nach zwei Jahren Pandemie, einer seit fast einem Jahr laufenden Impfkampagne und einer alles bisherige in den Schatten stellenden vierten Welle ist die Frustration in weiten Teilen des Gesundheitswesens, aber auch der großen geimpften Mehrheit groß. Noch immer hat fast ein Drittel der Deutschen keinen ausreichenden Impfschutz.

Länder wie Israel, Spanien und Portugal können auf Grund der hohen Impfquote bereits wieder ein weitgehend normales gesellschaftliches Leben führen.

Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung ist eben keine rein persönliche, individuelle Wahl, sondern in meinen Augen eine Entscheidung auch für oder gegen die Solidargemeinschaft, für und wider Leben und Gesundheit unserer Mitmenschen. Philosophen sprechen von einer moralischen Selbstverpflichtungspflicht zur Impfung, ein furchtbares Wortungetüm. Aber dennoch richtig!

Die Bundespolitik nimmt aktuell wieder den Weg des geringsten Widerstandes. Eine rein auf Kliniken und Pflegeheime beschränkte Impfpflicht löst das Problem nicht und daher lehne ich sie ab. Dies stigmatisiert eine ganze Branche in einer nicht hinnehmbaren Art und Weise. In den meisten Kliniken liegt die Impfquote bereits jetzt bei über 90 Prozent, große Defizite sehe auch ich in den Pflegeheimen. Hier liegt die Impfquote teilweise unter 50 Prozent. Für mich ist das aktuelle Handeln auf Bundesebene ein wirkungsloser Aktionismus. Damit müssen sich die politisch Handelnden nicht den wahren Problemen stellen.

Da die Bundesampel auf Dauergelb steht, sehe ich kaum eine Chance, eine allgemeine Impfpflicht durchzusetzen. Eine für mich, und soweit ich weiß auch für Epidemiologen und Immunologen, akzeptable Kompromisslinie wäre eine Impfpflicht für die Altersgruppe 60+ und für besonders exponierte Berufsgruppen. Hierzu zähle ich neben allen Angehörigen des Gesundheitswesens (nicht nur Pflege und Ärzte, sondern Institutionsbezogen alle MitarbeiterInnen) auch LehrerInnen, Kita-MitarbeiterInnen, die Blaulichtfamilie, MitarbeiterInnen im ÖPNV. Dies könnte zum Beispiel im Deutschen Ethikrat diskutiert werden.

Ich begrüße ausdrücklich, dass diese Diskussion nun endlich angestoßen ist und ich hoffe, dass diese ohne ideologische Scheuklappen geführt werden kann.

Tamara Bischof

(Landrätin): Eine allgemeine Impfpflicht wäre sehr sinnvoll. Als Vorsitzende der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Verwaltungsratsvorsitzende unserer Klinik Kitzinger Land und natürlich an erster Stelle als Landrätin bekomme ich hautnah mit, was diese vierte Welle bedeutet: Unsere Intensivstationen sind voll, Patienten müssen bayernweit verlegt werden und unser medizinisches Personal ist am Limit. Unsere Mitarbeiter an den Gesundheitsämtern geben ihr Bestes und haben alle Hände voll zu tun, um die viele neuen täglichen Fälle überhaupt noch abarbeiten zu können.

In der aktuellen Situation zeigen sich zwei Dinge: schwere Verläufe bei zweifach oder dreifach geimpften Personen sind äußerst selten und die Impfquote ist zu niedrig. Um aus der Corona-Dauerschleife auszubrechen, müssen wir die Impfquote erhöhen. Ich appelliere deshalb von Herzen an alle Menschen, sich impfen zu lassen. Geben Sie sich einen Ruck – für die Gemeinschaft, für unsere vulnerablen Gruppen und für unsere Kinder und Jugendlichen, die sich aktuell noch nicht impfen lassen können.

Astrid Glos

(Bürgermeisterin Kitzingen): Wir können niemanden zwingen, sondern nur an die Vernunft jedes Einzelnen appellieren.

Die Menschen merken durch die neuesten Verordnungen, dass ihre Freiheit eingeschränkt ist. Ich hoffe, dass dies viele zum Impfen bewegt.

Gerhard Spöckl

(katholischer Pfarrer, Kitzingen): Wenn wir das Impfen verpflichtend machen, wird es zu Schwierigkeiten in unserer Gesellschaft kommen. Wir sollten deshalb weiter an die Solidarität aller appellieren. Viele reden von der Freiheit Einzelner, aber wir befinden uns gerade wegen der Entscheidung dieser Minderheit in einer so schwierigen Lage. Jetzt müssen wir wieder die Kontakte runterfahren und vor allem die Regelungen konsequent umsetzen. Das bedeutet auch 2G in den Gottesdiensten.

Dr. Uwe Pfeiffle

(Fraktionsvorsitzender Freie Wähler in Kitzingen und stellvertretender Vorstand der Klinik Kitzinger Land): Von einer berufsbezogenen oder allgemeinen Impfpflicht befürchte ich einen gegenteiligen als den gewünschten Effekt. Unser Gesundheitssystem steht personell kurz vor dem Kollaps – nicht alleine wegen Covid-Patienten. Deutschlandweit zählen wir aktuell die gleiche Anzahl an Covid-Intensivpatienten wie vor einem Jahr, allerdings gibt es dabei regional Schwankungen und damit unterschiedliche Belastungen.

Unsere Klinikmitarbeiter haben in allen Bereichen in den letzten beiden Jahren viel geleistet, das ist unzweifelhaft. Ein sehr großer Teil ist bereits geimpft. Wenn die Politik die Impfpflicht für diese Berufsgruppen einführt, rechne ich damit, dass sich ein Anteil des Personals umorientiert. Warum werden hier Menschen bevormundet und andere Personen mit viel Menschenkontakt nicht? Die Politik könnte durch die Impfpflicht den Kollaps selbst herbeiführen. Dann wären zwar alle Mitarbeiter geimpft aber zu wenig Personal da, um sich um die Patienten angemessen zu kümmern.

Eine generelle Impfpflicht könnte zudem zur Abwanderung gut qualifizierten Personals führen. Eines muss klar sei: Viele Versprechen während der Pandemie wurden nicht gehalten, das Vertrauen in die Regierung ist zumindest stark beschädigt. In Zeiten von Fachkräftemangel ist das ein riskanter Schritt, der gesellschaftspolitisch sehr gut durchdacht sein sollte.

Thilo Koch

(evangelischer Pfarrer Kitzingen): „Ich hoffe, dass wir auch weiterhin ohne eine Impfpflicht auskommen, aber ich würde sie nicht mehr per se ausschließen. Der Appell an die Solidarität stößt irgendwann an Grenzen. Und dann muss aus nicht gelebter Solidarität ein Gesetz werden. Das ist beim Straßenverkehr nicht anders. Ich lasse mich am Wochenende boostern und teste mich dennoch zweimal pro Woche. Bei den vielen Kontakten, die ich habe, muss ich dieser Verantwortung nachkommen.

Dr. UwePfeiffle
Foto: Agentur Zudem | Dr. UwePfeiffle
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