Ein stattliches Kaliber ist in Franken ein Mordstrumm. Ein Mordstrumm Eichenstamm zieht Stefan Holzingers Blick auf sich. Aufrecht steht er da, bestimmt zweieinhalb Meter hoch. Holzinger, 32 Jahre, lange blonde Haare, freundliches Grinsen, läuft ein paar Mal um das dicke Ding herum, zeichnet mit dem Schwert seiner Motorsäge feine Linien in die Baumhaut und murmelt: "Könnte ein Seepferdchen werden."
Interessant, was so ein Künstler sieht, wo für andere nur ein Stamm steht. Vielleicht ist man als Schnitzer prädestiniert, wenn man das Holz schon im Namen trägt? Jedenfalls hat Stefan Holzinger mit seinen drei Motorsägen nicht nur das Krümelmonster und die Heilige Barbara erschaffen, sondern auch einen Hammerhai und eine Riesenschlange, eine Eule, einen Adler und einen Wolf. Warum dann nicht auch ein überdimensionales Seepferdchen?
Vorher allerdings muss der Franke noch letzte Hand an ein Schaf legen. Vor einer Scheune in Kirchschönbach nahe des Drei-Franken-Ecks lässt er die Sägen aufheulen, dass die Späne nur so spritzen.
Der Schreinermeister macht gerade eine Ausbildung zum Ergotherapeuten
"Das ist für einen guten Bekannten, der Schafe hält", erzählt der Schreinermeister, nachdem er den Motor gestoppt, den Helm abgenommen und sich den Schweiß von der Stirn gewischt hat. Holz ist einfach sein Metier – und doch absolviert er gerade eine ganz andere, zweite Ausbildung: Holzinger will künftig als Ergotherapeut arbeiten.
In seinem Ursprungsberuf ging es ihm zu industriell zu, also kündigte er. Vor allem aber hatte der Kirchschönbacher gemerkt: "Ich möchte gern mit Menschen arbeiten, speziell mit Suchtkranken und Leuten, die von Burnout, Depression, Schizophrenie oder Angststörungen betroffen sind." Leuten, die irgendwie auf dem Holzweg sind, will er helfen – und das ausgerechnet mit Holz.
Jeder Mensch braucht etwas, womit er sich ausdrücken kann, sagt Stefan Holzinger. Er selbst verarbeitet Gefühle, Erlebnisse und Erfahrungen aller Art oft in Songs und den entsprechenden Texten, die er für sein Bandprojekt schreibt. "Manchmal brauche ich aber auch etwas ganz Handfestes, einen Baumstamm, an dem ich mich abarbeiten kann, inklusive Muskelkater vom Sägen."
In einer sonderpädagogischen Zusatzausbildung hat Holzinger gelernt, dass dieses "Abarbeiten" sowohl körperlich als auch seelisch heilsam ist – gerade für suchtkranke und depressive Menschen. "Das Gestalten ist wie ein therapeutischer Türöffner. Da kommt raus, was innen festhängt – so wie die Figur aus dem Holz rauskommt."
Ihn selbst macht es "glücklich und zufrieden", sich ins Material "hineinzudenken" und innerhalb von mehreren Dutzend Stunden dem Holzblock ein Gesicht zu entlocken. "Ich liebe meinen Schnitzplatz. Die Zeit, die ich hier verbringe, ist sehr wertvoll für mich, die Ruhe und der kreative Raum mitten in der Natur." Sobald die groben Teile aus dem Holz gesägt sind, sobald Carving-Schiene und Ausblock-Schwert ihre Arbeit getan haben, packt Stefan Holzinger Hammer, Meißel, Schleifpapier, Stemmeisen und verschiedene Fräsen aus.
Die Hörner des Schafes sollen naturgetreu geformt werden, das Fell in Wellen am Körper liegen, das Gesicht des Tieres soll aussehen wie echt. "Glatte Hautpartien sind schwerer zu gestalten als Fell oder Federn", erklärt Holzinger. "Da muss ich mich schon konzentrieren und darf nichts Wesentliches versehentlich abfräsen."
2017 hatte er im Fernsehen eine Reportage übers Holzschnitzen gesehen und kurz darauf bei der bekannten Holzkünstlerin Res Hofmann aus Schlüsselfeld einen Kurs belegt. Das machte dem Kirchschönbacher so viel Spaß, dass er danach weitere Seminare absolvierte. Mittlerweile hat er über 20 Skulpturen gefertigt, darunter die überlebensgroße Heilige Barbara, die am Ellertshäuser See bei Schweinfurt aus einem abgestorbenen Baum gewachsen ist. "Handwerker bin ich geworden, weil ich was erschaffen wollte", sagt der 32-Jährige.
Im Juli beendet er nun seine zweite Ausbildung zum Ergotherapeuten am Rhön-Klinikum Bad Neustadt – und bezieht das Holzhandwerk danach einfach mit in sein Berufsleben ein. "Ich will Menschen, die ein Problem haben, dabei helfen, es zu lösen – indem wir gemeinsam etwas erschaffen."
Ein Mordstrumm Stamm wird dafür gar nicht immer nötig sein. "Man kann auch mit kleinen Holzblocks super Ergebnisse erzielen."
Ich hoffe jedoch, die Fotos sind gestellt! Der zumindest scheinbar sorglose Umgang mit dem Werkzeug und gleichzeitig wallender oder nur zurückgebundener Haarpracht wirkt nicht professionell.