
Braun gebrannt und lächelnd kommt er einem im Wald bei Ebrach entgegen. Auf seinem grünen T-Shirt steht „Waldbegeisterung“ – es ist nicht nur der Name seines Online-Blogs, es ist Gerald Klamers Lebensmotto. Der sportliche 54-Jährige hat seinen sicheren Job als Förster im Staatsdienst aufgegeben, um mit dem Rucksack rund 6000 Kilometer durch fast alle Bundesländer und deutschen Wälder zu wandern. „Ohne Rücksicht auf irgendeinen Arbeitgeber“ will er sagen, was er von deren Bewirtschaftung hält.
Sie haben auf Ihren Beamtenstatus verzichtet, Ihre Wohnung gekündigt und Ihr Auto verkauft, um ein „Waldmensch“ zu werden. Sind Sie verrückt?
Gerald Klamer: (lacht) Natürlich hatte ich anfangs Bedenken. Aber mir war klar, dass es bis zur Rente noch Jahre dauert – die Zeit einfach abzusitzen, hätte ich viel zu schade gefunden. Erst wenn man seine Komfortzone verlässt, entsteht Raum für Neues!
Sie hätten sich als Beamter auch vorübergehend freistellen lassen können…
Klamer: Ja, aber ich will meine Meinung frei und unabhängig äußern können, ohne Loyalitätskonflikte befürchten zu müssen. Also habe ich gekündigt. Um Kosten zu sparen, habe ich auch Auto und Wohnung aufgegeben. Ich besitze nur noch ein paar Dinge, die ich bei einem Freund zwischengelagert habe.
Waren Sie unglücklich in Ihrem Beruf?
Klamer: So kann man das nicht sagen – Förster ist der schönste Beruf der Welt! Aber erstens wollte ich die Auswirkungen der Dürre, die wir seit drei Jahren in Deutschland haben, mit eigenen Augen sehen, und zweitens habe ich schon seit langer Zeit ein Unbehagen verspürt über die derzeit verbreitete Art der Waldbewirtschaftung mit stark gestiegener Holzeinschlagsmenge und immer intensiverem Einsatz von Großmaschinen.
Und Sie glauben, Ihre Wanderung kann ein Umdenken bewirken?
Klamer: Bei manchen Menschen schon, glaube ich. Fakt ist: Im Alltag kommt man kaum zum Nachdenken und ist wie gefangen in der täglichen Normalität. Ich dagegen hatte bei einer viermonatigen Wanderung durch die Alpen letzten Sommer viel Zeit, meine Gedanken schweifen zu lassen. Und so reifte der Entschluss, meine beiden Leidenschaften zusammenzuführen: Während einer Wanderung durch Deutschland will ich ein umfassendes Bild der derzeitigen Waldsituation zeichnen.
Los ging´s am 26. Februar, anfangs gab es viel Eis, Schnee und Regen. Haben Sie immer im Wald übernachtet? Was hatten Sie an Gepäck dabei?
Klamer: Mein Rucksack wog und wiegt vollbeladen um die 18 Kilo, mit Essen für fünf Tage, mindestens einem Liter Wasser, Schlafsack, Wetterschutzplane, Laptop, zwei Powerbanks für die Stromversorgung, Handy und Fotoausrüstung. Meist schlafe ich draußen im Wald. Etwa einmal pro Woche benötige ich eine Unterkunft, um meine elektronischen Geräte aufzuladen, Informationen hochzuladen, zu duschen und Wäsche zu waschen.
Heißt das, warmes Essen gibt?s nur selten?
Klamer: Genau, ich koche unterwegs nicht. Aber durch diesen Komfortentzug lernt man richtige Mahlzeiten, eine warme Dusche oder einen guten Kaffee wieder sehr zu schätzen.
Klingt nach viel Verzicht…
Klamer: So schlimm ist es nicht! Allerdings wurde mir schon zwei, drei Mal das Wasser knapp. Entweder trank ich dann Wasser direkt aus dem Wald – oder ich kam an einem Friedhof vorbei, wo ich meine Flaschen auffüllen konnte. Die Qualität des Wassers in Bächen neben landwirtschaftlichen Flächen ist dagegen meist zu schlecht.
Klamer: Sie haben jetzt etwa die Hälfte Ihrer Tour geschafft. Gibt es eine Zwischenbilanz?
Es gibt große regionale Unterschiede, was den Wald als Lebensraum angeht. In bunten, vielfältig strukturierten Mischwäldern, in denen man auch mal Elsbeere, Linde, Kirsche oder Wildobstarten findet, verteilt sich das Risiko von Krankheiten und Windwurf am besten.
Wie stehen die Wälder in Franken da?
Klamer: Der Ebracher Forst hier steht für einen Wirtschaftswald super da. Es ist immer wieder Totholz zu sehen, das vielen Tierarten und wichtigen Organismen Lebensraum gibt. Auch die Rückegassen sind hier in 40 Metern Abstand zueinander angelegt – das ist vergleichsweise gut. Generell ist aber auch im Steigerwald die Verdichtung des Bodens ein Manko – wie fast überall in Deutschland. Eine gewisse Befahrung mit großen Holzerntemaschinen ist unumgänglich, aber dadurch entstehen eben auch richtige Erosionsrinnen, die wie Windschneisen wirken und den Boden zusätzlich austrocknen. Jeder Waldbauer muss sich fragen: Braucht es wirklich alle 20 Meter eine vier Meter breite Rückegasse? Andersherum gefragt: Reicht der unbefahrene, also unverdichtete Boden nicht aus, um Biodiversität zu fördern und das Klima stabil zu halten? Wer diese Ziele mit ganzem Herzen angehen will, der sollte Ja sagen zu einem Nationalpark. Denn nur dort sind die Flächen groß genug, um wirklich etwas zu bewirken. Ich verstehe nicht, warum in der Gegend so viele Bürger dagegen sind. Ein Nationalpark würde im Staatswald errichtet, es gäbe kaum Auswirkungen auf den Privatwald. Egal, welchen Schutzstatus der Wald hat: Probleme macht vielerorts die herrschende Trockenheit. Auch wenn beispielsweise unsere Buchen und Eichen leiden, kann man doch davon ausgehen, dass sie solche Phasen überstehen können. Sie passen sich an, bilden andere Blätterstrukturen und lernen, sparsamer mit Wasser umzugehen. Von ursprünglich nicht einheimischen Baumarten weiß man viel zu wenig, um im Klimawandel auf sie zu setzen. Eine kleine Beimischung, beispielsweise von Douglasien als Fichtenersatz, ist zwar durchaus sinnvoll. Manche Modebaumarten, die eine enorme Ausbreitungstendenz und das Potenzial haben, unsere heimischen Bäume langfristig zu verdrängen – etwa die Küstentanne –, sollten dagegen gar nicht angepflanzt werden.
Wie wird Ihr Leben weitergehen, wenn Sie Ihre Tour im November beenden?
Klamer: Ich will ein Buch über die Wanderung schreiben und viele Vorträge halten. Darin wird es sicher darum gehen, dass wir mehr Bäume brauchen, die im Wald ihr natürliches Alter erreichen können – also durchaus auch einige hundert Jahre – und dass es große Flächen geben muss, die überhaupt nicht forstwirtschaftlich genutzt werden, weil sich die Natur nur da in ihrer ganzen Bandbreite entwickeln und als CO2-Speicher dienen kann.
INFO: Gerald Klamer, gebürtiger Niedersachse aus Melle, war 25 Jahre lang Forstbeamter in Hessen. Er hat Forstreviere geleitet und Naturschutzpläne erstellt, konnte sich also einen guten Überblick über die Waldbewirtschaftung verschaffen. Seine große Leidenschaft, das Wandern, führte ihn zudem auf etlichen mehrmonatigen Touren durch die Alpen, nach Skandinavien, in den Himalaya, nach Uganda und Patagonien, wo er viele Wälder und Nationalparks kennenlernte und daher Vergleichsmöglichkeiten zur Situation in Deutschland hat.
BLOG: Unter waldbegeisterung.de schreibt Gerald Klamer täglich, was er auf seiner Wanderung erlebt.