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LANDKREIS KITZINGEN
Grüne Gewerbegebiete? Vom Puma-Dach bis zum Nahwärmenetz
Mit seinem Nahwärmenetz Franken heizt Jürgen Haag in Marktsteft auch bei winterlichen Temperaturen ein.
Foto: Julia Volkamer | Mit seinem Nahwärmenetz Franken heizt Jürgen Haag in Marktsteft auch bei winterlichen Temperaturen ein.
Von Julia Volkamer
 |  aktualisiert: 07.02.2022 02:16 Uhr

Die Größenordnung liegt außerhalb der Vorstellungskraft – in dieser Maßeinheit dürfte sie aber nicht nur für Fußballfans am ehesten nachvollziehbar sein: In Unterfranken messen Gewerbe- und Industriegebiete eine Fläche von 16 000 Fußballfeldern, weitere sind im Entstehen. Neben dem Wirtschaftsfaktor rücken bei der Ausweisung solcher Areale ökologische Gesichtspunkte immer mehr in den Fokus. Das Thema Nachhaltigkeit wird allerdings auf unterschiedliche Art und Weise berücksichtigt. Das zeigen auch zwei Beispiele aus dem Landkreis.

In Geiselwind entstand in den letzten zehn Jahren ein 30 Hektar großes Gelände, auf dem sich, neben etlichen kleineren, einheimischen Betrieben, unter anderem auch der Sportartikelriese Puma ansiedelte. Bürgermeister Ernst Nickel hat mit der Flächenversiegelung seinen Frieden gemacht. Nicht nur, weil die Ausweisung des neuen Gewerbegebiets „Inno-Park“ einfach notwendig gewesen sei – nur so habe man die Abwanderung ortsansässiger Traditionsunternehmen, die modernisieren und sich vergrößern wollten, verhindern können. „So ein Gelände baut man ja nicht jedes Jahr“, erinnert Nickel daran, dass seit der letzten großflächigen Industrie-Ansiedlung mit Autohof Strohofer und Freizeitland schon etliche Jahre ins Land gezogen sind. Zudem habe man bei der Gestaltung „an sehr viel gedacht“: Mindestens fünf bis acht Hektar des Geländes sind begrünt, es konnten „ganz neue Biotope entstehen“, zum Beispiel rund um das Regenrückhaltebecken.

Klimafreundliche Bebauung

In Geiselwind legte die Gemeinde über das Bauleitverfahren außerdem die Bedingungen hinsichtlich einer klimafreundlichen Bebauung fest – ging damit aber nicht so weit wie die Verantwortlichen im niederbayerischen Markt Langquaid. Dort entstand das erste bayerische Öko-Plus-Gewerbegebiet – durch die Festsetzung eines sehr hohen Nachhaltigkeits-Maßstabes, der bei künftigen Ausweisungen Standard werden soll. „Ökonomie und Ökologie kann man in Einklang bringen“, ist Bürgermeister Hubert Blascheck überzeugt – und ermutigt auch andere Gemeinden dazu, nachhaltiger zu planen. Schließlich kann man sich nicht immer darauf verlassen, dass Unternehmen schon selbst auf ihren CO2-Fußabdruck achten – auch wenn das inzwischen großzügig gefördert wird. „Mit Blick auf den Klimaschutz ist die ökologische Aufwertung von Gewerbegebieten notwendig“, weiß auch Anne Weiß, Flächensparmanagerin an der Regierung von Unterfranken – und meint damit flächenmäßige „Potenziale, die über Aufstockung und die Stapelung von Funktionen effizienter ausgenutzt werden müssen“. So hat Puma nicht nur das Dach seines 116 000 Quadratmeter messenden Logistikzentrums komplett begrünt und eine eigene Buslinie für Mitarbeiter eingerichtet, sondern setzt bei der Energiegewinnung auf Photovoltaik – nur drei von mehreren Säulen, die das Unternehmen zu einer besseren CO2-Bilanz tragen sollen. Was ganz im Sinne von Gemeindeoberhaupt Ernst Nickel sein dürfte. Genauso wie der vogelfreundliche Anstrich der Lagerhalle des Textilherstellers New Wave. Oder die E-Tankstellen von Elektro Müller – die gerne von allen Unternehmen und ihren Mitarbeitern genutzt werden sollen.

Wärme aus Hackschnitzeln

In Marktsteft können die angesiedelten Betriebe – oder diejenigen, die es noch werden wollen – in Zukunft auch ökologische Nutznießer sein. Mit der Gründung der „Nahwärmenetz Marktsteft GmbH“ hat Jürgen Haag von der gleichnamigen Zimmerei die Möglichkeit geschaffen, sich Energie aus regionalen, nachwachsenden Rohstoffen zu sichern: Seit November versorgt das Hackschnitzel-Heizkraftwerk nahe der Staatsstraße nicht nur das örtliche Schulzentrum mit Grundschule, Kindertagesstätte und Mehrzweckhalle mit Wärme – und hat der Stadt Marktsteft enorme Investitionskosten für eine eigene, nötig gewordene Heizungsanlage erspart. Auch Teile der bestehenden Gewerbegebiete „Am Traugraben“ und „Am Sachsen“ sowie alle Grundstücke des inzwischen erschlossenen Areals „Am Alten Wasserhaus“ und „Marktbreiter Straße“ sind an das Netz angeschlossen – sehr zur Freude von Bernhard Etzelmüller.

Der Geschäftsführer der Firma Wiedenmann Seile sprang Jürgen Haag direkt zur Seite, als dieser von seiner Idee eines lokalen Nahwärmenetzes berichtete. Auf dem Weg zum ehrgeizigen Ziel, mit seinem Unternehmen bis 2025 klimaneutral zu agieren, ist der Anschluss an den lokalen Energielieferanten ein wichtiger Schritt. Innerhalb der Marktstefter Niederlassung mit Verwaltung und Produktion setzt er auf Energieeinsparung durch Stand-by-Strom und eine gesteigerte Energieeffizienz via LED-Umrüstung sowie E-Mobilität. Zudem sind sämtliche nutzbaren Flächen mit Photovoltaik belegt – die Investition von rund 80 000 Euro wird sich in sechs Jahren amortisiert haben. „Diese Rechnung müssen viele scheinbar noch verinnerlichen“, wundert sich Etzelmüller. „Auf Dauer tun wir damit nicht nur etwas für unsere Umwelt, sondern sparen auch Geld.“

Vom Konzept überzeugt

Auch für Jürgen Haag ist der finanzielle Aspekt laut eigener Aussage nicht das vordergründige Motiv für den Aufbau des Marktstefter Nahwärmenetzes. „Ich glaube an das Konzept“, betont der Unternehmer seine Überzeugung, die Energiewende auch im Kleinen mit antreiben zu können. „Ich wüsste nicht, welche Art von Energieversorgung regionaler und nachhaltiger sein sollte als diese.“ Die extra gegründete GmbH laufe nicht gewinnorientiert, sondern kostendeckend und sei daher auch finanziell absolut konkurrenzfähig mit anderen Beheizungstechniken – vom Umweltaspekt gar nicht zu reden. „Wenn wir es ernst meinen mit der Energiewende in unserem Land, dann müssen wir endlich anfangen, auch etwas dafür zu tun“, nimmt Haag mögliche Investoren in die Pflicht und ermutigt sie, die bestehenden Fördermöglichkeiten entsprechend auszuschöpfen. „Die sollte jeder Bauherr für sich nutzen, gerade, wenn es um Energieeffizienz geht.“

Pflicht: nachhaltige Gestaltung

Gefördert wird auch das Forschungsvorhaben „Grün statt Grau – Gewerbegebiete im Wandel“, das der gemeinnützige Verein „Wissenschaftsladen Bonn e.V.“ initiiert hat und in dessen Rahmen er deutschlandweit mit Städten, Firmen und Forschungseinrichtungen kooperiert. Projektleiterin Hildegard Boiserée wirbt nicht nur für Photovoltaik-Anlagen, um die Sonnenenergie, die sich auf den großen Flächen ansammelt, in grünen Strom umzuwandeln. Heller Fassadenanstrich, Dachbegrünung sowie die Pflanzung von Bäumen könnten zur Kühlung und Verschattung beitragen und positiv auf das Mikroklima wirken.

Ebenfalls könnte durch die Anlage von naturnahen Grünflächen, den Einsatz insektenfreundlicher Beleuchtung und von Nistkästen sowie das Pflanzen von Obstgehölzen die Artenvielfalt im Gebiet verbessert werden. „Wir haben nicht nur die Gestaltungsmöglichkeit, sondern eine Pflicht“, appelliert Boiserée und stößt damit im Landkreis Kitzingen auf offene Ohren – wenngleich auch auf unterschiedliche Art und Weise.

Beispiele für mustergültiges Bauen

Inno-Park Geiselwind: Auf 20,3 Hektar haben sich seit 2016 etliche Gewerbetreibende aus der Region, aber auch externe Unternehmen angesiedelt. Größtes Pfund ist die optimale Verkehrsanbindung und die günstigen Grundstückspreise, die Marktgemeinde wirbt aber auch mit individuellen und großzügigen Baumöglichkeiten mit Planungssicherheit und Entscheidungskompetenz durch den rechtskräftigen Bebauungsplan sowie die „Förderung im Rahmen der Möglichkeiten“.

Nahwärmenetz Marktsteft GmbH: In Marktsteft wurde Ende des Jahres das neue Gewerbegebiet „Am Alten Wasserhaus“ ausgewiesen. Neben den bestehenden „Am Traugraben“, „Am Sachsen“ und „Marktbreiter Straße“ können Bauherren ihre Gebäude dort seit November 2021 an das „Nahwärmenetz Franken“ anbinden lassen, das unter anderem auch Schule, Kindergarten und Mehrzweckhalle mit Wärmeenergie versorgt. Die Anlage mit einer im Endausbau geplanten 950-Kilowatt-Heizleistung hat insgesamt 1,2 Millionen Euro gekostet und läuft vollautomatisch, das Programm hat die Firma Econet in Ulsenheim für Bauherr Jürgen Haag von der gleichnamigen Zimmerei in Marktsteft entworfen. Ihre 1000 Schüttraummeter Hackschnitzel-Bevorratung füllt die GmbH mit Rohstoffen aus dem Einzugsgebiet der Forstbetriebsgemeinschaft Iphofen/Kitzingen, die es auch privaten Waldbesitzern mit niedrigen Absatzmengen ermöglicht, ihr Holz auf den Markt zu bringen. Die aktuelle Bevorratung stammt u.a. aus Dimbach, wo das Holz auf natürliche Art und Weise er- und verlegt wurde und trocknen konnte. Inzwischen ist es in Marktsteft eingelagert, wird nach und nach verbrannt und sorgt so für eine CO2-arme Energieversorgung der Abnehmer. Für den privaten Gebrauch ist sie weniger geeignet, da sie sich erst ab einer gewissen Menge rechnet.

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Foto: Haag | aaaaaaa
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Im Tank wird das Warmwasser gespeichert.
Foto: Julia Volkamer | Im Tank wird das Warmwasser gespeichert.
 
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