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LANDKREIS KITZINGEN
Gewalt ist keine Privatsache
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:07 Uhr

Beziehungsstreit, Messer, blutende Wunde: Dass das friedliche Kitzinger Landleben auch eine Kehrseite hat, zeigt sich immer wieder – im Pressebericht der Polizei. Am vergangenen Sonntag wurde die Innere Sulzfelder Straße zum Tatort. Und viele Menschen guckten zu – fast wie im Fernsehen. Nur zwei Beobachter griffen ein. Ist Zivilcourage ein Fremdwort geworden?

Nicht für den Feuerwehrmann Aaron M. (Name auf Wunsch geändert). Er kam gerade aus der Dusche, als er vor dem Haus lautes Geschrei hörte. Aaron M. schaute deshalb aus dem Fenster und sah, dass sich etwa zehn Leute mit einem jungen Mann stritten, ihn in die Enge trieben. Der Feuerwehrmann fackelte nicht lange. Spontan eilte er nach draußen, um dem Bedrängten zu helfen.

Gemeinsam mit einem weiteren Helfer gelang es, die Angreifer zurückzudrängen. Als die Polizei am Tatort eintraf, war die Situation schon entschärft. Aaron M. und der andere Helfer blieben unverletzt. Einer der Angreifer schnitt sich offenbar selbst mit seinem Messer ins Bein. Der Angegriffene und eine in den Streit involvierte, schwangere Frau wurden leicht verletzt.

Hat Aaron M. alles richtig gemacht? Sein Feuerwehrkamerad Harald Zierhut findet: „Im Gegensatz zu den 'Fensterzuschauern' hat er dem Bedrohten gegen eine angreifende Übermacht geholfen. Eine solche spontane und beherzte Tat verdient höchstes Lob und Anerkennung.“

Für Heike Ott von der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle ist Zivilcourage ebenfalls ein sehr hohes Gut. Allerdings betont sie, dass damit nicht nur das direkte Eingreifen gemeint ist. Wenn man sich nicht traut, körperlich dazwischenzugehen, könne man trotzdem helfen: „Man kann die Polizei verständigen und ein aufmerksamer Beobachter sein, der später als Zeuge aussagt. Das ist auch schon Zivilcourage.“ Nichtstun sei dagegen Hilfe für den Täter.

Und unter Umständen sogar eine Straftat. Zwar müsse sich niemand selbst in Gefahr bringen. „Aber unterlassene Hilfeleistung ist auch ein strafbares Vergehen“, betont Joachim Schinzel. Der stellvertretende Dienststellenleiter der PI Kitzingen hat für alle Zeugen böser Taten einen guten Tipp: „Heute hat doch fast jeder ein Handy mit Fotofunktion. Wer verdächtige Personen oder Fahrzeuge fotografiert, kann der Polizeiarbeit dadurch unter Umständen sehr gut helfen.“ Allerdings dürfe man die Fotos nicht einfach anderweitig veröffentlichen.

„Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, Ihren Instinkt!“
Heike Ott, kriminalpolizeiliche Beraterin

Pöbeleien im Bus. Geschubse auf dem Gehweg. Streitereien auf dem Parkplatz: Ab wann ist eine Situation eigentlich so gefährlich, dass man als Unbeteiligter einschreiten sollte? Diese zentrale Frage ist auch für Heike Ott nicht ganz einfach zu beantworten. Aber die Expertin hat eine gute Richtschnur parat: „Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, Ihren Instinkt!“

Dann, wenn man auf ein Streitgespräch oder auf eine Situation aufmerksam wird, ist Letzteres schon nichts Normales mehr. „Wenn Sie jetzt einfach weiterlaufen und am nächsten Tag von einer Straftat lesen, haben Sie ein schlechtes Gefühl. Deshalb: Wenden Sie sich an das Opfer, dann brauchen Sie sich später nichts vorzuwerfen.“

An das Opfer wenden, heißt, es anzusprechen. Heike Ott rät generell: „Es ist einfacher, das Gespräch mit dem Opfer zu suchen als mit dem Täter. Man braucht ja bloß zu fragen: 'Ist alles okay? Brauchen Sie Hilfe'?“ Natürlich könne es dann passieren, dass man eine doofe Antwort bekommt. „Aber die nimmt man sich dann einfach nicht zu Herzen.“ Es sei immer besser, einmal zu viel zu fragen als einmal zu wenig.

Schon Kinder und Jugendliche könnten das üben. „Oft gibt es im Schulbus oder auf dem Pausenhof Hänseleien, die einen Schüler ausgrenzen. Auch hier können mutige Mitschüler auf den Ausgegrenzten zugehen und ihn fragen, ob die Situation für ihn noch erträglich ist.“

In richtig gefährlichen Situationen kann man natürlich nicht mehr lange nachfragen. Dann sind Taten gefordert. Letztendlich entscheidet jeder selbst, ob beziehungsweise wie er hilft. Für Aaron M., der nicht nur Ersthelfer ist, sondern auch eine Taekwon-Do-Ausbildung hat, war es keine Frage, auch körperlich einzugreifen. Bei anderen Zeugen kann das durchaus anders sein. Diese helfen auch, indem sie den Notruf absetzen, alles genau beobachten, sich um mögliche Opfer kümmern und der Polizei als Zeugen des Tathergangs dienen.

Übrigens: Menschen, die sich im Interesse der Allgemeinheit besonders einsetzen, sind grundsätzlich unfallversichert, zum Beispiel wenn sie bei Unglücksfällen Erste Hilfe leisten oder – so heißt es offiziell – „sich persönlich zum Schutz widerrechtlich Angegriffener einsetzen“. Heike Ott sagt: „Nur eins sollte man nicht tun: Nichts tun.“

Zivilcourage kann man lernen

Was geht's mich an? „Was kann ich schon tun?"Es sind immer die gleichen Einwände, mit denen sich Menschen rechtfertigen, wenn sie eine Straftat beobachtet haben, aber nicht eingeschritten sind. Andere wiederum fühlen sich betroffen und wollen helfen, wenn Mitmenschen belästigt, beraubt oder bedroht werden – doch sie wissen nicht wie. Wieder andere fürchten Unannehmlichkeiten.

Anleitung: Um all diesen Menschen Sicherheit fürs eigene Handeln zu geben, hat die Polizei ein Faltblatt mit sechs „praktischen Regeln für mehr Sicherheit im Alltag“ herausgegeben.

Die Regeln lauten:

1. Ich helfe, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen.

2. Ich fordere andere aktiv und direkt zur Mithilfe auf.

3. Ich beobachte genau, präge mir Tätermerkmale ein, fotografiere verdächtige Personen oder Fahrzeuge für die Polizeiarbeit.

4. Ich organisiere Hilfe unter Notruf 110.

5. Ich kümmere mich um Opfer.

6. Ich stelle mich als Zeuge zur Verfügung.

Nähere Informationen:

www.aktion-tu-was.de. *ldk*

Polizeibroschüre: Regeln für Zivilcourage.
Foto: Diana Fuchs | Polizeibroschüre: Regeln für Zivilcourage.
Hinschauen und helfen – oder wegschauen und schnell weitergehen: Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten.
Foto: Red | Hinschauen und helfen – oder wegschauen und schnell weitergehen: Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten.
Der Fall „Tugce“ ist jedem noch im Kopf: Ende November starb die Studentin Tugce Albayrak, nachdem sie beim Streitschlichten einen folgenschweren Schlag abbekommen hatte.
Foto: Boris Roessler/ dpa | Der Fall „Tugce“ ist jedem noch im Kopf: Ende November starb die Studentin Tugce Albayrak, nachdem sie beim Streitschlichten einen folgenschweren Schlag abbekommen hatte.
 
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