Sie kämpfen um Menschenleben. Nicht in den Kliniken, sondern am Schreibtisch. Seit März tun die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes alles, um die Ausbreitung von Corona zu stoppen. Sie telefonieren, informieren, recherchieren, füllen Listen aus. Sie trösten, unterstützen und beraten. Sie müssen sich anschreien und beschimpfen lassen. Es ist eine Arbeit, die Spuren hinterlässt.
Einstellungsuntersuchungen für Beamte, Schuluntersuchung, Infektionsschutzbelehrungen, Arztpläne, Meldungen für Statistiken über Krebserkrankungen: Alles das und mehr gehört eigentlich zum normalen Arbeitsalltag der Mitarbeiter im Gesundheitsamt. Debbi Dominski sitzt im Sekretariat, bei ihr landen zum Beispiel auch die Kindergärten, wenn sie anrufen, weil ein Kind Läuse hat. Läuse! Was war die Aufregung da immer groß. Jetzt würden wahrscheinlich alle erleichtert lachen, wenn es bei einem Anruf mal um Läuse ginge. Jetzt geht es fast nur noch um Corona, die „normale“ Arbeit muss nebenher laufen. Seit bald einem Jahr ist das Team vollauf mit der Pandemie beschäftigt. Weit mehr als vollauf: Von normalerweise 17 Mitarbeitern ist es auf knapp über 40 angewachsen. Anders wäre die Arbeit nicht zu schaffen.
„Wenn ein Coronafall reinkommt, landet er erst mal bei mir im Sekretariat“, erklärt Debbi Dominski. Es ist so etwas wie die Corona-Schaltzentrale im Amt. Das erste Mal war das am Nachmittag des 10. März der Fall. Ein Dienstag. Zwei Tage später bestätigte sich der zweite Fall, wieder einen Tag später folgten die Fälle drei und vier, dann der fünfte, ein Arzt. Die Zahl stieg immer weiter, mal langsam, oft erschreckend schnell, als Dornheim zum Corona-Hotspot wurde, zum Beispiel. Mehr als 1300 bestätigte Coronafälle gab es bis jetzt, kurz vor Weihnachten, im Landkreis Kitzingen. Und die Zahlen werden weiter steigen.
Bei Debbi Dominski laufen die positiven Meldungen ein. Sie überträgt sie in eine Tagesliste, verteilt sie an die Mitarbeiter des Contact Tracing Teams (CTT) zur weiteren Bearbeitung. Die Betroffenen müssen angerufen und ihre Kontaktpersonen ermittelt und informiert werden. „Viele rechnen schon mit einem Anruf von uns“, so die Erfahrung der Mitarbeiterin. Oft haben sich diejenigen, die vermuten, krank zu sein, schon mit ihren Kontaktpersonen in Verbindung gesetzt, bevor das offizielle Ergebnis vorliegt. Viele interessiert es auch gar nicht, wo sie sich angesteckt haben. Jetzt ist anderes wichtig. In der Regel, so Dominiski, seien die Leute relativ ruhig, wenn sie erfahren, dass sie engen Kontakt zu einem Infizierten hatten. Auch von denen, die erfahren, dass sie das Virus in sich tragen, sei noch niemand in Panik geraten.
Diejenigen, die schimpfen und schreien, das sind andere. Manche, die am Montag früh die Nummer des Bürgertelefons wählen und wissen wollen, wie die am Sonntag von der Politik verkündeten Vorgaben umgesetzt werden.
So riefen Anfang Dezember reihenweise Menschen an, die nach einem Schnelltest fürs Seniorenheim fragten. „Das ist verständlich, sie wollen ja ihre Angehörigen besuchen“, findet Dominski. Aber wo man den Test machen kann, wer ihn durchführt, wie er abläuft? Muss ein Arzt, der Patienten im Seniorenheim behandelt, auch einen Coronatest vorlegen? Es gab viele offene Fragen. Auch zu anderen Themen, immer wieder, das ganze Jahr über. Wann darf man trotz Ausgangsbeschränkung raus? Darf die Gärtnerei offen bleiben, wenn Geschäfte schließen müssen? Was ist jetzt mit dem Schulunterricht? „Die Leute wollen Antworten, aber wir können sie nicht immer geben.“ Manchmal stehe erst nach ein, zwei Tagen fest, wie das in Berlin und München schnell-schnell Verkündete in der Praxis umgesetzt werden kann. Nicht jeder verstehe das. Die Bürger seien zum Teil sehr wütend, berichtet Dominski. „Am Ende eines Zwölf-Stunden-Tages auch noch angeschrien zu werden, ist nicht mehr lustig.“
Die Telefonate mit den Kontaktpersonen und die Ermittlungen übernehmen die CTTler, das sind Mitarbeiter aus dem Gesundheitsamt und des RKI, aber auch Mitarbeiter aus anderen Behörden, die dem Gesundheitsamt zugeteilt wurden. Ärzte im Ruhestand, ehemalige Polizisten und einzelne Ehrenamtliche helfen regelmäßig aus. Es gibt Tage, da liegen schon 15, 20 Fälle vor, wenn Debbi Dominski ihren Dienst am Morgen beginnt. Dann weiß man, dass es abends wieder spät wird fürs Team. Dann weiß man, dass viele Telefonate zu führen sind.
Manches lässt sich relativ schnell klären. Wenn jemand schon als Kontaktperson 1 in Quarantäne war und dann selbst krank wird. Der kennt sich dann schon aus mit den Corona-Vorgaben. Schwieriger und zeitaufwändiger wird es, wenn der Bewohner eines Altenheims, ein Schulkind oder ein Lehrer dabei ist. Da gibt es viele Kontakte zu ermitteln. Dann muss es schnell gehen. Diese Fälle werden vorrangig behandelt, doch auch alle anderen zeitnah abtelefoniert.
Die Gespräche mit den Erkrankten, die Information der Kontaktpersonen, sie sind wichtig, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Das ist das große Ziel, das das Team antreibt. Das ist bei der Corona-Schreibtischarbeit nicht anders als in Kliniken und Heimen. Deshalb gibt es auch nie Schwierigkeiten, Mitarbeiter für die Wochenendschichten zu finden. Oder für die anstehenden Weihnachtstage. Jeweils sieben Leute sind da im Dienst, mindestens drei weitere in Rufbereitschaft. Jeder könne sich auf den anderen verlassen, betont die Kitzingerin. Und wenn einer mal durchhängt, sind die anderen da. Die Kollegen. Der Chef des Gesundheitsamtes Dr. Jan Allmanritter, der auch beim größten Stress immer ein offenes Ohr habe. Die Landrätin, die regelmäßig vorbeikommt und täglich fragt, wie es läuft. Die Abteilungsleiterin Sabrina Fröhlich, die im Hintergrund organisatorische und rechtliche Fragen klärt. Der Personalratsvorsitzende, der Plätzchen vorbeibringt. Die Personalstelle, die dafür sorgt, dass jemand mal frei bekommt und ein anderer einspringt, die EDV, ohne die gar nichts geht: Dominski zählt noch viele mehr auf. Man halte zusammen in dieser fordernden Zeit.
Die Arbeitsbelastung ist die eine Sache. Die psychische Belastung eine andere. „Corona macht schon was mit einem“, sagt Debbi Dominski. Sie meint dabei nicht die Angst vor dem Virus. „Ich habe keine Angst, krank zu werden. Aber ich tue auch alles, damit ich Corona nicht bekomme.“ Mundschutz, Abstand, Hygiene sind für sie selbstverständlich. Dass es Menschen gibt, die Corona leugnen, kann sie nicht verstehen, das macht sie wütend. „Wir erleben hier tagtäglich, dass es Corona gibt und wie schlimm die Folgen sind.“
So manches Gespräch mit Betroffenen ist schwer zu verdauen. Man spürt die Verzweiflung der Angehörigen. Da war die Frau, die ihren sterbenden Mann in der Klinik nicht begleiten und sich nicht verabschieden durfte, weil sie in Quarantäne war. Oder der junge Mann, der sein neugeborenes Kind nicht sehen durfte, auch er in Quarantäne. Und dann sind da die Toten. Mitte April ist der erste Landkreisbürger an den Folgen der Viruserkrankung gestorben. Dieser Tag hat sich ins Gedächtnis der Teammitglieder eingebrannt. „Wir waren alle erschüttert“, sagt Debbi Dominski. „An dem Tag habe ich das erste Mal in der Corona-Zeit geweint.“ Ihre Stimme stockt, wenn sie davon erzählt. Dabei ist die 55-Jährige ein Mensch, den eigentlich so schnell nichts umwirft. Aber mit jedem Toten haben wieder alle Vorkehrungen nichts genutzt. Wieder hat der unsichtbare Feind gewonnen. 17 Menschen sind im Landkreis infolge der Pandemie gestorben. Debbi Dominski weiß, dass trotz der Mühe, die das Team sich gibt, trotz der immensen Einsätze der Ärzte, Schwestern und Pfleger, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen weiter Menschen an und mit Corona sterben werden. Man darf nicht ständig darüber nachdenken, man muss weiterkämpfen.
„Aber manchmal möchte ich nur noch den Kopf auf den Schreibtisch legen und weinen.“
Rückblicke: Am Ende dieses ungewöhnlichen Jahres hat sich diese Zeitung mit Menschen aus verschiedenen Branchen über das fordernde Jahr 2020 unterhalten. Morgen: Gastronom und Hotelier Björn Grebner.