"Wahn" – dieser Begriff taucht in der Verhandlung am Kitzinger Amtsgericht gegen den 62-Jährigen immer wieder auf. War es eine Art Wahn, dem der Mann verfiel, als er glaubte, die Aussicht auf preiswertes Gold zu haben? Als er genau der eine war, der eine Spam-Mail nicht wie alle anderen schleunigst im Papierkorb versenkte, sondern ernst nahm und in die Fänge von Betrügern geriet?
Das war im Jahr 2014, als der Mann auf ein windiges Angebot hereinfiel: Gold günstig zu haben – so etwa muss die Überschrift gelautet haben. Ein paar Anzahlungen, dann würde der Goldregen auch schon einsetzen. Und der Mann zahlte an. Noch mal. Und noch mal. Und noch mal. Am Ende dieses Kreislaufes war er ruiniert, buchstäblich um Haus und Hof gebracht. Die zunächst ins Spiel gebrachten 80 Kilo waren zwar bald Geschichte, aber es ging immer noch um ein angebliches Schnäppchen: Es gibt zehn Kilo Gold, wenn 500 000 Euro gezahlt wurden, hieß es in den Mails aus Ghana. Wobei nicht einmal klar ist, ob die Goldversprechen überhaupt aus Afrika kamen oder von dubiosen Gestalten aus einem Internet-Café irgendwo auf der Welt.
Auch wenn es schwer fällt zu verstehen – aber der Mann zahlte immer weiter. Jahrelang. Kratzte das letzte Geld zusammen, kündigte die Lebensversicherung, pumpte alle an, die nicht schnell genug weglaufen konnten. Überwarf sich erst mit Freunden, dann mit der Familie. Er sah sich kurz vor dem Ziel. Bis 2019 glaubte er fest an das Gold-Versprechen, ließ sich von nichts und niemandem davon abbringen. Und just, als vielleicht ein Anflug von Zweifel aufkam, lag in der Post ein kleines Gold-Nugget – als Vorgeschmack auf das Kommende sozusagen. Selbst als der Mann mit 300 000 Euro Schulden dastand, überwies er lieber noch kurz zuvor ergaunerte 1000 Euro. Erst danach dachte er an sich und tankte beispielsweise buchstäblich mit den letzten Groschen – für 7,10 Euro.
Vom Opfer zum Betrüger
Weil selbst das irgendwann nicht mehr ging, wurde der 62-Jährige vom Opfer zum Betrüger. Er bestellte Ende 2019 in fünf Fällen teure Handys für 700 bis 1200 Euro. Weil das unter seinem Namen schon lange nicht mehr ging, gab er die Kontaktdaten seiner Schwester und seiner Tochter an. Zwar geschah das im Zusammenhang mit seiner eigenen Bankverbindung, Probleme bekamen die Familienmitglieder aber trotzdem reichlich. Drei der Handys ließ sich der Mann an seinen Arbeitsplatz liefern. In den anderen beiden Fällen scheiterte eine Lieferung an nicht geleisteten Anzahlungen. Die drei "erbeuteten" Handys wurden umgehend weiterverkauft, ebenso umgehend landete das Geld wieder auf dem Ghana-Gold-Konto.
Das Drama endete erst, als der 62-Jährige – der sich bis dahin nichts zu Schulden hatte kommen lassen – von seiner Schwester angezeigt wurde. Seine Tochter sorgte zugleich dafür, dass er unter Betreuung gestellt wurde. Der Betreuer wiederum sperrte umgehend die Konten. Jetzt endlich begann der Mann langsam aufzuwachen, sich von seinem Wahn zu befreien. Wobei sicher auch hilfreich war, dass inzwischen auch die Polizei wegen der Handy-Bestellungen unter falschem Namen gegen ihn ermittelte.
Wie ein Glücksspieler?
Jetzt, bei seiner Verhandlung vor dem Kitzinger Amtsgericht, versucht er zu erklären, was kaum zu erklären ist: "Ich war der Meinung, ich muss das tun!", ist einer dieser Sätze. "Es war so, als würden Sie einem Spieler Geld geben. Es war eine gewisse Sucht", ist ein anderer. Am Ende waren es "etliche 100 Transaktionen" über einen Geldtransferdienst, wie er Strafrichterin und Amtsgerichts-Direktorin Ingrid Johann erzählt. Ob es letztlich die geforderten 500 000 Euro waren, weiß er wahrscheinlich selbst nicht mehr. Es dürfte aber in etwa diese Größenordnung gewesen sein, wie sich zwischen den Zeilen in dem Prozess ablesen ließ.
Dass der Angeklagte so sehr am Gold-Glauben festhielt, mag auch mit seinem persönlichen Abstieg zusammenhängen. Er verlor 2012 seine Arbeit, die ihm alles bedeutete. Danach ging ein Abstecher in die Selbstständigkeit schief. Schließlich verdingte er sich als Kurierfahrer. Wobei das Geld als Geringverdiener hinten und vorne nicht reichte; er war nunmehr auf Sozialleistungen angewiesen und wurde somit zum Aufstocker. Es noch einmal allen zu zeigen, beweisen, dass er es kann, dass etwas in ihm steckt – das war eine weitere Antriebsfeder, die dafür sorgte, dass der Mann fünf Jahre lang die Realität ausblendete und an den einen großen Wurf glaubte.
Die Frage nach der Schuldfähigkeit
Was da genau vor sich ging und wie das zu bewerten ist, lässt selbst die beiden vom Gericht bestellten Gutachter zu unterschiedlichen Erkenntnissen kommen. Wie ist es um den Gesundheitszustand des Mannes bestellt? War er vermindert schuldfähig? Die Meinungen könnten nicht gegensätzlicher sein: Gutachter eins sieht eine Sucht und Parallelen mit einem Glücksspieler, der immer wieder Münzen in den Automaten werfen muss. Eine Abhängigkeit also, die durchaus für eine verminderte Schuldfähigkeit spreche.
Seine Kollegin schüttelt den Kopf. Nein, keine psychische Störung, kein Wahn – nur Gier und ganz viel Unvernunft. Ihr Argument: Wenn es eine psychische Störung gewesen wäre, hätte er diese ohne Hilfe niemals überwinden können, genau das aber scheint passiert zu sein. Nur weil jemand völlig unsinnige Dinge tue, sei er nicht automatisch vermindert schuldfähig. "Unvernunft", brachte es die Gutachterin auf den Punkt, "kennt keine Diagnose."
Logisch nicht zu erklären
Das Gericht wird später dennoch unterstellen, dass hier kein normales Verhalten vorlag und der Mann nicht immer wusste, was er tat: "Es ist logisch nicht zu erklären, dass sich jemand um Haus und Hof bringt", hieß es dazu in der Urteilsbegründung. Die Strafe für die Handy-Bestellungen: neun Monate Haft, ausgesetzt zu drei Jahren Bewährung. Der Mann bekommt einen Bewährungshelfer zur Seite gestellt, außerdem muss er 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Und es scheint die Chance auf einen Neuanfang zu geben: Seine von ihm übers Ohr gehauene Schwester, die als Zeugin geladen war, nahm seine Entschuldigung an und ist wohl auch bereit, wieder mit ihm zu reden.
Da gab es schon für amtsbekannte x-mal vorbestrafte Serienbetrüger weniger.
Die Kunst besteht darin diesen zu finden.
Mein Mitleid hält sich stark in Grenzen.
Scheint Ihnen aber finanziell sehr gut zu gehen.