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Kitzingen
Geheimnisvolle Villa 44: Exklusive Einblicke in das einst bekannteste Kitzinger Bordell – und was jetzt daraus wird
Jahrzehntelang florierte am Stadtrand das Geschäft mit der käuflichen Liebe, jetzt ist Schluss damit. Letzter Besuch an einem Ort, der ein Versprechen war und die Fantasie beflügelte.
Als wären gestern die letzten Gäste gegangen. Blick auf die ehemalige Bar der Villa 44. Wer den Weg durch die Tür nahm, gelangte auf die Zimmer im ersten Stock.
Foto: Silvia Gralla | Als wären gestern die letzten Gäste gegangen. Blick auf die ehemalige Bar der Villa 44. Wer den Weg durch die Tür nahm, gelangte auf die Zimmer im ersten Stock.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:08 Uhr

Der Weg zum großen Glück erschließt sich nicht auf Anhieb. Er liegt versteckt hinter einer kleinen Wacholderhecke, über die spitzbübisch die Zahl 44 lugt. Die 44 – sie galt unter Eingeweihten mal als gängige Chiffre, so wie die 32-16-8 im berüchtigten 80er-Jahre-Hit der Spider Murphy Gang. Auch hinter der 44 herrschte einst "Konjunktur die ganze Nacht", aber das ist schon ein Weilchen her. Jetzt steht Manfred Staran draußen auf der Treppe, überblickt die versifften Matratzen und zerlegten Möbel und sagt: "Muss alles raus."

In der Villa 44 hat – wenn man so will – der Ausverkauf begonnen. Der einst so brodelnde Hort, der einmal zum Heißesten zählte, was Kitzingen zu bieten hatte, ist erkaltet. Und Staran ist es zu verdanken, dass man einen letzten Blick hinter die Kulissen des einst bekanntesten Bordells der Stadt werfen kann.

Fotoserie

Jahrzehntelang war die Villa 44, benannt nach der Adresse Heinrich-Fehrer-Straße 44, eine Institution. Hier florierte das Geschäft mit der käuflichen Liebe – vor allem zu Zeiten, als in Kitzingen bis zu 10.000 US-Soldaten stationiert waren. Die meisten Kitzinger kennen die Villa, manche noch unter ihrem früheren Namen Waldesruh – draußen vor der großen Stadt und doch umgeben von Wohnhäusern. Sie sind an ihr vorbeigefahren, haben sie nachts leuchten und von illustren Gestalten umschwirren sehen.

Vieles von der ursprünglichen Einrichtung – hier das Nebenzimmer der Bar – ist noch erhalten, die Atmosphäre zu erspüren.
Foto: Silvia Gralla | Vieles von der ursprünglichen Einrichtung – hier das Nebenzimmer der Bar – ist noch erhalten, die Atmosphäre zu erspüren.

Geheimnisumwittert war sie zeit ihres Bestehens, doch an einen echten Skandal im Sperrbezirk kann sich keiner erinnern. Das lag vielleicht auch daran, dass sie – nach den wilden Anfängen im Winter 1983 – lange Zeit mit offizieller Lizenz betrieben wurde. Eigentlich erlaubt das Gesetz in Bayern Prostitution erst in Städten ab 30.000 Einwohnern. Aber wegen der hohen Zahl an US-Soldaten machte die Regierung hier von 1989 an eine Ausnahme. Und nachdem im Jahr 2006 der letzte Soldat aus Kitzingen gegangen war, genoss die Villa Bestandsschutz.

"Der Verkehr mit dem Kunden ist keine Unterbrechung der Arbeit, er ist vielmehr ihr Sinn."
Tafelspruch in der Villa 44

Als man Anfang März bei Manfred Staran anruft, ist er offen für alles. Man dürfe gern kommen und sich in der Villa umschauen – aber bitte schnell. Besucht man ihn wenige Tage später im Gebäude, weiß man, warum er zur Eile drängt. Die Tür steht weit offen. Im Haus: Handwerker statt Hostessen. Der "Chef" ist erst einmal nicht auffindbar. Einer der Männer zückt sein Handy, um Staran zu erreichen. Die anderen sind weiter dabei, die Zimmer im ersten Stock leerzuräumen, Teppiche von Böden und Wänden zu reißen. Im Flur lehnt ein Vorschlaghammer. Der ganze Plüsch und Plunder, alles, was an die wilden Zeiten erinnert, landet jetzt auf dem Müll. Bald soll es hier deutlich gesitteter zugehen.

Im richtigen Licht betrachtet wirkt die Villa wie Bates Motel im Hitchcock-Klassiker Psycho.
Foto: Silvia Gralla | Im richtigen Licht betrachtet wirkt die Villa wie Bates Motel im Hitchcock-Klassiker Psycho.

Wer sich dem Gebäude in der Dämmerung nähert, bekommt ein Gefühl wie bei Hitchcock. Ins rechte Licht gerückt, sieht es aus wie Bates Motel im Kinoklassiker "Psycho". Aber wie im Film bleibt auch hier vieles Fassade. Das Fachwerk aufgeklebt, der Traum vom Glück bloß gekauft, eine Illusion wie einst die Namen auf den sieben Klingelschildern am Hintereingang. Eine schmale Holztreppe führt auf die geschäftliche Ebene. 21 Stufen bis zur Glückseligkeit. Oben angekommen ein spärlich ausgeleuchteter Gang, die Holzwände verkleidet mit bordeauxrotem und lila Seidenstoff, zum Teil heruntergerissen.

Über eine schmale Treppe erreichte man die fünf Liebesnester im ersten Obergeschoss.
Foto: Silvia Gralla | Über eine schmale Treppe erreichte man die fünf Liebesnester im ersten Obergeschoss.

Erste Überraschung: Im Innern geht es deutlich enger zu als von außen vermutet. Vom Flur aus gelangt man in die einstigen Liebesnester, vier zur Straßenseite, eines am hinteren Gang gelegen. In einem rundum verspiegelten Bad ein übers Eck gebauter Whirlpool mit goldenen Armaturen. Am anderen Ende des Ganges eine kleine Bar mit schwarzer Ledercouch, daneben eine Küche. An der Pinnwand – für alle Fälle – ein handgeschriebener Zettel mit der Rufnummer der Kitzinger Polizei. Eine Kamera wacht über dem Eingang zur Küche, sie hat ein Auge auf den kompletten Flur.

Die Taxifahrer wissen Bescheid, dass es in der Villa 44 nicht weitergeht

Dann kommt Staran die Treppe hoch, redet ein paar Takte mit den Handwerkern, ein offener, hemdsärmeliger Typ in dunkelblauem Blouson und weißem Hemd. Später will er noch Passbilder von sich machen lassen – daher die Aufmachung. Vor oder in der Villa ablichten lassen möchte er sich nicht. Er sei, so kokettiert er, eher der schüchterne Typ. Als Staran neulich – schon nach Schließung des Hauses – seinen Geburtstag hier feierte, standen ein paar aufdringliche Freier in der Tür, die hoch in die Zimmer wollten. Staran verscheuchte sie. Ende der Vorstellung. Mit Kitzinger Taxifahrern hat er geredet – nicht, dass die weiterhin Wagenladungen voller Kunden ankarren, die dann vor verschlossenen Toren stehen.

Die Zimmer waren klein und eher spartanisch eingerichtet. Einst standen hier Bett, Stuhl und zwei Nachttische.
Foto: Silvia Gralla | Die Zimmer waren klein und eher spartanisch eingerichtet. Einst standen hier Bett, Stuhl und zwei Nachttische.

An Weihnachten 2022 gingen hier endgültig die Lichter aus. Am grellsten leuchtet die Villa noch im Erdgeschoss. Ein großes Lokal, zur Straßenseite hin zwei Nischen mit rotdrapierten Sofas – wer ungestört sein wollte, ließ einfach die blauen Vorhänge fallen. Auf der einen Seite des Gastraums die Bar, auf der anderen Seite ein weiterer großer Raum, Disco-Lichter, rotes Sofa, kleine Empore mit einer Stange, an der sich leicht bekleidete Damen räkelten, an der Wand viele Bilder mit heroisch blickenden, nackten Muskelmännern in spätrömischer Dekadenz. Hinter der Bar ein Durchgang zu einem Zimmer, einer Art schwarzem Salon mit dunklem Mobiliar, Bett, Sofa, WC und separatem Eingang. Wenn es spät wurde – und das wurde es häufig –, konnte der Betreiber des Hauses hier übernachten.

Das Bad im ersten Stock mit Whirlpool und goldenen Armaturen ist noch in Gänze erhalten.
Foto: Silvia Gralla | Das Bad im ersten Stock mit Whirlpool und goldenen Armaturen ist noch in Gänze erhalten.

Alles hier war auf Diskretion ausgelegt, das fängt schon beim äußeren Tor an. Es ließ sich nicht ganz um 90 Grad öffnen, damit nicht zu viel Einblick von der Straße aus möglich war. Auf dem großzügigen Hof gibt es immer noch die Garagen, die besonderen Gästen und ihren Luxuskarossen vorbehalten waren. Zum 25-jährigen Bestehen der Villa im Jahr 2008 durfte sich erstmals ein Reporter dort umsehen. In seinem Bericht notierte er später: "Ich bin in der Villa 44 – wie Tausende Männer vor mir, nur mit anderen Absichten." Eine Frau, die sich Nicole nennt und als "Sprecherin" der sieben Frauen vorstellt, begrüßt ihn in ihrer "WG" – einer "Wohngemeinschaft mit internationalem Anstrich", wie sie sagt.

An den Wänden der Villa 44 hängen gerahmte Glaubensbekenntnisse

Manches hier erzählt noch immer eine Geschichte, manches muss man sich hinzudenken. Überall im Haus finden sich Ecken und Nischen und Türen, und immer hat man den Eindruck hinter der einen Tür liegt noch eine Tür und dahinter noch eine. Die Wände zieren plakative Motive, gerahmte Glaubensbekenntnisse der früheren Mieterinnen. "Der Verkehr mit dem Kunden", so heißt es da, "ist keine Unterbrechung der Arbeit, er ist vielmehr ihr Sinn." Oder, als Reminiszenz an die einstige Stammkundschaft: "This is a house of fun and pleasure. So choose a girl and enjoy yourself." Auf gut Deutsch: "Das ist ein Haus voller Spaß und Vergnügen. Also such dir ein Mädchen und amüsier dich."

Der Hintereingang der Villa: sieben Klingelschilder ohne Namen, eine große Klingel der einstigen 'Wohngemeinschaft'.
Foto: Silvia Gralla | Der Hintereingang der Villa: sieben Klingelschilder ohne Namen, eine große Klingel der einstigen "Wohngemeinschaft".

Der vormalige Eigentümer, der zugleich der direkte Nachbar der Villa ist, hatte – so erzählt es Staran – irgendwann genug von dem Treiben und all den lüsternen Gesellen, die Abend für Abend kamen und gegen die Zäune pinkelten, so penetrant, dass die Metallstreben korrodierten. "Würde ich nicht hinlangen", sagt Manfred Staran. "Ist eklig." Für das Objekt, so erzählt er, gab es mehrere Käufer. "Aber der Eigentümer wollte kein solches Gewerbe mehr." Also verkaufte er es vor drei Monaten an Starans Lebensgefährtin Lenuta Moldovan. Jetzt hat Staran sich mit seinen Leuten daran gemacht, das Haus zu sanieren, innen wie außen.

Die neue Eigentümerin hat neue Ideen, will hier Wohnungen einrichten, aber erst mal muss sie sich einen Überblick verschaffen. Als Handwerker weiß Staran, dass noch viel Arbeit vor ihnen liegt. Die Villa 44, sie erfindet sich gerade neu. Die Party ist zu Ende. Und die Frage wird sein, wann das auch der letzte Gast mitbekommen hat.

 
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Kommentare
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  • R. A.
    Die wenigsten werden diese Räume derart klar und hell gesehen haben.
    RIP. Ein Veranstaltungsort weniger, egal wie man das sehen will.
    Solange die GIs in Deutschland ihre Dollars ausgegeben haben, wurden in der Region so einige Taschen gefüllt.
    Das kommt nicht wieder…
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  • E. W.
    Vielleicht rollt ja bald der Rubel.
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