
Rot, blond, brünett, tiefschwarz. Gelockt oder glatt, lang oder kurz: Auf Schloss Weißenstein stecken derzeit junge Menschen aus der ganzen Welt die Köpfe zusammen. Sie beugen sich über dicht beschriebene Notenblätter, bei deren Anblick einem schwindelig werden kann. Doch für die Nachwuchs-Talente – allesamt Universitätsstudenten – ist keine Note zu hoch und keine Phrase zu schwer. Sie brennen darauf, selbst die schwierigsten Werke alter Meister zum Klingen zu bringen.
65 junge Frauen und Männer aus zwei Dutzend Ländern der Erde haben Mitte Juli ihre Kleider- und Instrumentenkoffer gepackt und sind per Flugzeug, Zug oder Bus ins fränkische Pommersfelden gekommen. Die jüngste Musikerin ist 17 Jahre alt, sie stammt aus Rom. Ihre Kollegen sind unter anderem aus Australien, Brasilien, Japan, Mexiko oder Peru angereist – zum „Collegium Musicum“.
Vier Wochen lang leben und proben sie zusammen im Schloss, feilen an ihrer Technik und zeigen ihr Können in Konzerten. Karl Graf von Schönborn (Wiesentheid), Vater des heutigen Hausherrn Graf Paul, hat die internationale Sommerakademie 1958 ins Leben gerufen; seitdem ist Weißenstein Jahr für Jahr Gastgeber für Bläser und Streicher, die viele Sprachen sprechen. Und am liebsten die der Musik.
„Wie in einer anderen Welt“
Einer von ihnen ist Janeks. Er ist ein großer, schlaksiger Kerl. Die Haare reichen ihm bis zur Schulter. Janeks kommt aus Lettland und verständigt sich, wie alle, auf Englisch. „Hier im Schloss mit all den anderen jungen Leuten fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Einfach phantastisch“, schwärmt der Violinist.
Laurens Groll nickt. Dem Cellisten aus Mönchengladbach imponieren die „besondere Atmosphäre und dass man unheimlich viel lernt“. Der Spaß komme auch nicht zu kurz. Dafür sorgt unter anderem Horie Tsutomu. Der Japaner, der in Kairo an der Nationaloper Trompete spielt, gehört quasi zum Inventar der Sommerakademie. Warum er alljährlich wieder kommt? „Weil die jungen Musiker hier viel mehr Leidenschaft haben als manch alter Profi.“
Das ist auch der Grund, warum Damiana Gräfin von Schönborn sehr gern die Tradition fortführt, die ihr Schwiegervater begründet hat, um eine Brücke zu schlagen zwischen Ost und West. Heute vereint Schloss Weißenstein junge Leute aus allen Himmelsrichtungen.
Jenö Nyári findet das genial. Der gebürtige Ungar ist der künstlerische Leiter der Akademie. Er musste heuer aus 300 Bewerbern auswählen, wer die 65 Akademieplätze bekommt. Videoaufnahmen aus allen Kontinenten bekam er zugesandt.
Kein Wunder: Mit Unterstützung von Stiftungen (etwa der Oberfrankenstiftung), vom Freistaat und von Firmen kann der Verein „Collegium Musicum“ (500 Mitglieder) den Nachwuchsmusikern nicht nur kostenlose Unterkunft und Verpflegung bieten, sondern ihnen auch angesehene Dirigenten und Dozenten zur Seite stellen, die mit ihnen anspruchsvolle Orchester- und Kammermusikprogramme erarbeiten.
„Das ist weltweit einmalig.“ Der renommierte Konzertpianist Nyári war Anfang der 80er Jahre selbst als Student auf Weißenstein. Er weiß, wie man sich fühlt, wenn man vor allen vorspielen muss. Viele junge Talente kommen schüchtern in Pommersfelden an, erzählt Nyári. „Sie machen in vier Wochen einen Riesenschritt.“ Oft den ersten zu zum Erfolg. „Man trifft überall tolle Musiker, deren Karriere hier begonnen hat – Christian Thilemann etwa, der jetzt in Bayreuth dirigiert.“
Gräfin Damiana fügt hinzu: „Die jungen Menschen entwickeln sich hier nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich.“ Nyári nickt. Und dann grinst er: „Wir brennen hier alle. Manche sogar so sehr, dass es über die Liebe zur Musik hinausgeht.“ In der Tat sind in der Akademie schon zwölf Ehen entstanden, stellt die Gräfin lächelnd fest.
Ob das an der Atmosphäre auf Schloss Weißenstein liegt? Sicher ist, dass in den Sommermonaten ein besonderer Geist zwischen Spiegelkabinett, Grotten- und Marmorsaal herumspukt und auch vor den Gemäldegalerien alter Meister wie Rubens, Dürer oder van Dyck nicht Halt macht. „Ich mag diese Zeit, weil sie so voller Leben ist“, sagt Gräfin Damiana. Wenn es an allen Ecken und Enden sowie im Park bratscht, geigt und klarinettet, werden auch die Gäste mitgerissen, die ganz zufällig während einer Schlossführung in Sonaten und Sinfonien hineinhören.
„Dieses Haus war von Beginn an ein europäisches Haus“, sagt die Gräfin in Erinnerung an die Architekten und Künstler, die das Barockschloss Anfang des 18. Jahrhunderts als großen Kulturschatz gestaltet haben. Die einstige Sommerresidenz des Bamberger Fürstbischofs Lothar Franz von Schönborn ist heute nicht minder völkerverbindend. Wenn blonde und braune, rot- und schwarzhaarige Köpfe sich über Notenblätter beugen, sprechen alle ein- und dieselbe Sprache: die der Musik.
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Die Stars von Morgen
Programm: Orchesterkonzerte gibt das „Collegium Musicum“ am 1., 2., 3., 9. und 10. August (16/18 Uhr) auf Schloss Weißenstein. Am Samstag, 2. August, findet ab 20.30 Uhr eine Serenade im Schlosshof mit Barock-Feuerwerk statt, am 5. August (20 Uhr) ein Barockabend. „Unsere Stars von Morgen“ heißt es am 6. August; am 7. August folgt ein Kammermusikabend.
Zu Gast im Schlosshof von Wiesentheid sind die Musiker am Freitag, 8. August, wo sie ab 18 Uhr ein Klassik-Open-Air spielen.
Am 12. August gibt es geistliche Abendmusik in der Pommersfeldener Schlosskapelle, am 13. August einen Mozartabend und am 14. August einen „Romantischen Abend“ (je 20 Uhr). Zum Abschiedskammerkonzert lädt das „Collegium Musicum“ am 15. August ein (20 Uhr), an den beiden Folgetagen zeigt sich nochmals „Die russische Seele“.
Karten/ Infos: Konzertkarten kosten zwischen 15 und 28 Euro; Tel. 09548/ 9818-68, Mail: buero@collegium-musicum.info, Infos: www.collegium-musicum.info sowie www.schloss-weissen-stein.de *ldk*




