Ein freies Wochenende? Für Evelyn Hatzung undenkbar. Zumindest vom Frühjahr bis in den Herbst hinein. Denn da führt die Iphöferin hunderte Gäste durch ihre Heimat.
Bereits 2002 hat die Frau mit den rotblonden Locken ihre Ausbildung zur „Gästeführerin Weinerlebnis Franken“ gemacht. Fünf Jahre später hat sie den Weindozenten nachgelegt. Und vor zwei Jahren hat sie noch einmal eine Ausbildung drauf gesattelt. Seither ist sie auch noch zertifizierte Gartenerlebnisführerin Bayern. „Das hat sich angeboten“, sagt Hatzung. „Schließlich bin ich ausgebildete Gärtnerin.“
Neue Informationen aufsaugen, sich ständig fortbilden, immer wieder neugierig sein: Das ist der Grundstock für eine gute Gästeführerin. „Aber das Wichtigste ist die Fähigkeit zur Empathie“, betont die Iphöferin.
Wie geht es den Gästen? In welcher Stimmung kommen sie in Iphofen an? Oder ganz profan: Muss erst einmal das stille Örtchen aufgesucht werden? „Die Gäste müssen sich von Anfang an wohlfühlen“, weiß Hatzung. In den ersten fünf Minuten einer Begegnung spürt sie, welche Bedürfnisse gerade am dringlichsten befriedigt werden müssen. Egal, wer da gerade eine Tour durch die Weinberge, durch die historischen Gassen oder eine Kutschfahrt gebucht hat.
Ihre Gäste könnten kaum unterschiedlicher sein. Schulkinder führt sie durch die Iphöfer Altstadt, junge Erwachsene und Senioren aus dem In- und Ausland. Gruppen von bis zu 25 Menschen, die mit dem Bus angereist sind, zeigt sie die Schönheiten ihrer Heimat, bietet aber auch ganz individuelle Touren an. „Vor kurzem habe ich ein Ehepaar durch die Weinberge geführt. Das sind immer sehr persönliche und individuelle Führungen.“
Viele Besucher kommen aus dem Nürnberger Raum. Bei einem Familientreffen waren auch schon mal Neugierige aus Saudi-Arabien mit dabei. Gerade diese Vielfalt reizt Hatzung. Auf diese Vielfalt muss sie sich aber auch einstellen. „Kinder wollen immer etwas machen“, weiß sie. Also drückt sie den jüngsten Gäste Straßenkreiden in die Hände, mit denen sie Ampeln auf den Boden malen oder die verschiedenen Gesteinsschichten im Weinberg markieren können. „Die meisten Erwachsenen wollen auch nicht mit Fakten zugeschüttet werden“, erklärt sie. Dann schon lieber Geschichten hören, wie die von den Fuhrleuten aus Salzburg, die im 16. Jahrhundert Wochen lang unterwegs waren, um 6000 Liter Wein aus Iphofen mit ins Salzkammergut zu holen.
Am Rödelseer Tor schmunzeln die Gäste über die Geschichte vom Türmer, der sein Nachtwasser just dann aus dem Fenster schüttete, wenn der Pfarrer unter seinem Fenster vorbeischritt.
„Eine Absicht war ihm aber nicht nachzuweisen, also blieb es bei einer Ermahnung“, erzählt sie und muss lachen. Im Iphöfer Archiv und in Büchern macht sich die 52-jährige immer wieder schlau. Viele Anregungen erhält sie auch, wenn sie Kollegen von ihr bei einer Gästeführung begleitet. „Geschichte gehörte in der Schule nicht gerade zu meinen Lieblingsfächern“, gesteht sie.
Die Zusammenhänge haben ihr gefehlt, die Fakten waren nie lebendig verpackt. Hatzung bringt ihren Gästen die Geschichte mit Anekdoten näher. Zur Veranschaulichung trägt sie jede Menge Utensilien in ihrem Holzkorb mit: Ein Bild von Totenköpfen beispielsweise, die später durch ein Guckloch in der Tür des Beinhauses, unterhalb der Michaelskapelle, auch in echt betrachtet werden können. Ein Detail fällt auf dem Plakat dabei besonders ins Auge: „Ein Zahnarzt hatte mal einen Totenkopf ausgeliehen, um zu üben, wie man Zähne einsetzt“, erzählt sie und muss schmunzeln.
Das Beinhaus ist ebenfalls ein Relikt aus dem Mittelalter, als der Friedhof nicht alle Gebeine der Verstorbenen aufnehmen konnte. „Also hat man sie unterhalb der Kapelle zwischengelagert.“
Etliche weitere Überraschungen hat Hatzung in ihrem Korb. Die kleinen Gäste sind vor allem von der Schandmaske begeistert, die sie natürlich auch mal aufsetzen dürfen, von den Feuersteinen und vom Blattgold, das sich manch einer von ihnen auch auf Nase und Finger aufbringen lassen darf.
Bei so viel Abwechslung verwundert es nicht, dass die Gästeführerin ihr erklärtes Ziel, Wissensvermittlung und Unterhaltung miteinander zu verknüpfen, immer wieder erreicht – auch wenn es Tage gibt, an denen sie bis zu vier Führungen hintereinander zu bewältigen hat.
Warum sie so viel Zeit in ihre Leidenschaft investiert? „Es kommt halt ganz viel von den Gästen zurück“, freut sie sich. Meistens direkt nach einer Führung, die mitunter direkt im Garten von Evelyn Hatzung endet. Manchmal bedanken sich Gäste auch schriftlich. So wie eine Familie, die ihr erst kürzlich eine Postkarte aus Benediktbeuren sandte. „Sollte Sie der Weg einmal gen Süden führen, nehmen Sie unsere Adresse als Anlaufstelle.“ Bei so viel Dankbarkeit verzichtet Evelyn Hatzung immer wieder gerne auf ein freies Wochenende.