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GEISELWIND
Frei.Wild nimmt sich Kritiker zur Brust
Die umstrittene Deutschrockband aus Südtirol stellte am Freitag vor 5000 Besuchern in Geiselwind auch Lieder ihres neuen Albums vor.
Frei.Wild nimmt sich Kritiker zur Brust
Foto: Fabian Gebert
Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Brandstetter
 |  aktualisiert: 11.01.2016 11:44 Uhr
Regine ziert sich noch ein bisschen. Die 20-Jährige studiert mit ihrer Freundin Barbara, 18, die Vorlagen und kann sich noch nicht entscheiden, welches Wisch-und-weg-Tattoo sie will. Das Geweih. Den Spruch „Gegen Rassismus und Extremismus“. Oder doch den Namen: Frei.Wild.

Tobias, der die beiden jungen Frauen begleitet, ist entschlossener: den kleinen Schriftzug des Namens an den Hals, bitte, den großen auf den Unterarm. Einer lässt sich mit dem Geweih, dem Logo der Band, knapp oberhalb seines besten Stücks aufhübschen, und einer der im Akkord sprühenden Hautbemaler erzählt, dass er schon mal einen hatte, der sich den Spruch „Leckt uns am Arsch“ auf die Pobacke hat spritzen lassen.
Fotoserie


Willkommen vor der Eventhalle auf Strohofers Autohof in Geiselwind. Willkommen bei einem Frei.Wild-Konzert. Erneut sind am Freitagabend knapp 5000 Menschen herbeigeströmt, um eine der erfolgreichsten Bands der letzten Jahre in Deutschland und ziemlich sicher die umstrittenste, zu bejubeln.

Tags zuvor hat Frei.Wild die Olympiahalle in München nicht ganz gefüllt, und ein Crewmitglied erzählt, dass soeben die größte Halle der aktuellen Tournee, die knapp 13 000 Menschen fassende Kö-Pi-Arena in Oberhausen, ausverkauft worden sei.

Die vier jungen Männer aus Brixen in der italienischen Provinz Südtirol ziehen nach einem Jahr Pause wieder die Massen an. Trotz, wahrscheinlicher wegen des Wirbels, der um die Band entstanden ist.  Philipp Burger, Sänger, Texter und Chef der Deutschrockband, wehrt sich seit jeher vehement dagegen, Rechtsextremismus zu bedienen – auch wenn er in seinem Lied „Frei.Wild“, zu dem in Geiselwind die Masse vor der Bühne Pogo tanzt, dass es kracht, kundtut: „Onkelz covern und unsre eignen Lieder schrein, wird wohl auch in fernster Zukunft das Größte für uns sein.“

Mittlerweile covern sie keine Böhse-Onkelz-Lieder mehr. Die Onkelz sind eine von 1980 bis 2005 und seit vergangenem Jahr wieder aktive Deutschrockband, die wegen ihrer Nähe zum Rechtsrock in den 80ern bis heute höchst umstritten ist, manches Lied landete auf dem Index.

Arno, 47, aus Hausen in der Rhön ist Onkelz-Fan, „und ich bin nicht aus der rechten Sektion“. Er ist mit vier Freunden aus seinem Heimatort da, sie alle hören auch Die Ärzte und Die Toten Hosen. Frei.Wild gefällt ihnen auch deshalb so gut, weil die „Klartext sprechen. Die Musik hat eine klare Linie, und sie sagen, was sie denken“, sagt Arno. Er ist ziemlich eloquent, wirkt ein wenig wie der Klassensprecher der Gruppe und glaubt, „man muss nicht alles schlucken, was einem so vorgesetzt wird“. Sein Freund Philipp, 30, mag besonders, dass die Südtiroler „deutsch singen, die Texte passen, und die sagen, was Sache ist“. Völliger Blödsinn sei es, die in „die rechte Ecke zu stellen“. Und Jürgen, 35, meint: „Die reden doch 80 Prozent aus der Seele. Die haben Liedtexte, die doch jeder schon mal erlebt hat in seinem Leben.“

Bislang sturzbachte Heimatliebe aus den Frei.Wild-Liedern, und immer wieder krochen Sätze heraus, deren Botschaften im Dunkeln blieben und sehr viel Raum für Interpretationen boten. Sätze wie diese: „Das ist das Land der Vollidioten, die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat. Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten, wir sind einfach gleich wie ihr . . . von hier. Ihr seid dumm, dumm und naiv, wenn Ihr denkt, Heimatliebe ist gleich Politik. . . . Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt vor den andersgläubigen Kindern.“ Das Lied heißt: „Das Land der Vollidioten“.

Der Vorwurf lautet seit Jahren: Frei.Wild sei eine „nationalistische Band“, die eine „Plattform für völkisches Gedankengut“ biete, mit gefährlicher Nähe zum Nazi-Jargon. Burger betont immer wieder, seine Band sei unpolitisch und dass er Nazis „hasse". Das neue Album hat er „Opposition“ getauft. Schaut man sich die Texte von der neuen Scheibe an, die am Karfreitag herauskam und sofort an die Spitze der deutschen und österreichischen Albumcharts schoss, dann fällt auf, dass es ziemlich viel um Liebe geht – um zwischenmenschliche, nicht mehr so sehr um die zur Heimat. Und in „Ich bin neu, ich fange an“ stellt Burger aus Sicht eines Flüchtlings bohrende Fragen, die gerade aktueller sind denn je: „Wohin mit mir, wohin und mit wem? Werde ich zurückkommen? Oder immer dort leben? Das Urteil des Schicksals hätte es anders gewählt, doch mein Wille zum Leben wählt meinen Weg. An wen kann ich glauben? Liegt mein Anker für immer? Endet hier meine Flucht? Tausende Fragen, auf die ich Antworten suche."

Arno sind die neuen Texte auch aufgefallen. Er meint: „Man passt sich halt an. Noch sind ja keine Texte von ihnen zensiert worden.“ Auch nicht „Für immer Anker und Flügel“, das 2013 nach dem großen Wirbel um die Band erschien. Frei.Wild war erst für den Echo nominiert und dann nach Protesten anderer Nominierter wieder ausgeladen worden. Daraufhin schaufelten die Feuilletons der Republik ihre Spalten frei, um den Skandal, die womögliche Gefahr, die von der Band ausgeht, und das Phänomen Frei.Wild zu analysieren.

In „Für immer Anker und Flügel“ singt Burger "Sturm, brich los und trag uns laut voran, erhobenen Hauptes gegen den Untergang“. „Sturm, brich los“ waren die letzten Worte von Goebbels in seiner sogenannten Sportpalastrede, in der der Reichspropagandaminister 1943 nach der Schlacht um Stalingrad zum „Totalen Krieg“ aufrief. Als Burger neulich darauf angesprochen wurde, sagte er, dass „Sturm, brich los“ doch „ein allgegenwärtiger Slogan“ sei. Man wälze "beim Schreiben von Songs ja nicht jedes Mal die Geschichtsbücher“.

Burger war in seiner Jugend rechtsextrem und spielte in der Skinhead-Band Kaiserjäger, "eine Jugendsünde" nannte er das mal. Er sagt, „dass ich der Letzte wäre, der wissentlich einen solchen Slogan in die Lieder einbauen würde“. Wenn man es so ausreizen wolle, „dann könnte man fast jedem deutschen Wort eine Nazi-Nähe unterstellen“.

Die Südtiroler haben die Losung ausgegeben, dass keine Neonazis und Rechtsextreme Zugang zu ihren Konzerten bekommen sollen, und Burger betont immer wieder, dass er die auch nicht als Album-Käufer haben wolle. Jedenfalls keine, die ihre Geisteshaltung zur Schau tragen.

Am Eingang in Geiselwind sagt der Securitychef der Band, dass er noch niemanden wieder zum Kleiderwechsel wegschicken musste, „das hat stark nachgelassen, und es kommt auf die Region an“. Leute mit Thor-Steinar-Klamotten kämen im Osten Deutschlands jedenfalls häufiger vor. Und wenn einer mit so 'nem T-Shirt kommt? „Dann schick ich ihn zu seinem Auto, und er kann sich ja dann in unserem Merchandising-Truck da drüben ein neues Shirt kaufen.“ Die, die keine Frei.Wild-verzierte Kleidung tragen, fallen auf in Geiselwind. Der Securitychef sagt auch, dass sich der Altersdurchschnitt geändert habe in den letzten Jahren. Früher waren die Frei.Wild-Gäste so um die 35, „heute ist der Durchschnitt 18 bis 25“.

Dafür erscheint Geiselwind recht repräsentativ, über 30-Jährige sind in der Minderheit, über 40-Jährige kaum zu sehen. Burger heizt der Gemeinde zum Auftakt mit einem neuen Lied ein, in dem er sich all die Frei.Wild-Kritiker zur Brust nimmt. In „Wir brechen eure Seele“ heißt es so: „Aus ihren vollgeschissenen Löchern sind sie jetzt wieder zurück, Schonzeit vorbei. Auf in den Kampf und ab ins Glück. ‚Wichser united‘ passt am besten zu den ganzen Denunzianten, bei denen in erster Linie Menschen ohne Eier rumtanzen. Viel Feind, viel Ehr, Unkraut vergeht nicht. Tinte frisst keinen Zement. . . . Kenntnis und Wissen sind viel stärker als Vermutung auf Papier. . . . Verstehe doch, du bekriegst die Falschen und bist zudem genauso schlimm wie die ganzen Nazi-Spasten, denn die haben auch nur Hass im Sinn. Kein Schuldspruch, kein Verbot, bist und bleibst ein Vollidiot.“

Ziemlich genau zwei Stunden lang hämmert die Grauzonenband ihren ebenso eingängigen wie abwechslungsfreien Minimal-Akkord-Rumpelrock in den Saal, 22 Lieder insgesamt, acht vom neuen Album, 14 alte – wobei: Mancher meint ja, Frei.Wild hat höchstens drei Lieder, ein hartes und schnelles, ein nicht ganz so hartes und schnelles und ein langsames. Eines der schnellen und harten heißt „Wir reiten in den Untergang“. Und das geht so: „Keine Gnade und im Zweifel nichts für dich. Heute gibt’s den Stempel, keinen Stern mehr. Und schon wieder lernten sie es nicht. Und sagst du mal nicht Ja und Amen oder schämst dich nicht für dich, stehst du am Pranger der Gesellschaft und man spuckt dir ins Gesicht. . . . So so so – so fing alles an, und wir reiten wieder in den Untergang.“

Regine empfiehlt, sich die Texte mal genauer anzuhören. „Wenn man das tut und darüber nachdenkt und sich seine Meinung bildet, dann finde ich das gut.“ Sie hat sich entschieden und lässt sich den kleinen Schriftzug auf die Brust sprühen.
 
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  • mausschanze
    nicht lange zu überlegen welches Tattoo..... grinsen , die Jungs von Freiwild sind doch super!

    Aber dennoch finde ich den ersten Absatz/ die Einleitung des Artikels etwas komisch....,
    was ist das für ein .....
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  • p-koch-dettelbach@t-online.de
    mit einem verbotenen Kreuz darin, dass würde als Tattoo zu Frei Wild Fans passen.
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