Helau! Überall ertönt in diesen Tagen der altbekannte Faschingsschrei. Aber warum rufen wir eigentlich Helau? Was hat der „tote Mann“ damit zu tun? Und stimmt es, dass die Wiege des deutschen Faschings in Franken liegt? Der Memmelsdorfer Gerhard Handschuh, leidenschaftlicher Volkskundler und Privatdozent an der Universität Bamberg, hat wissenschaftlich fundierte Antworten auf närrische Fragen.
Kommt „Helau!“ von Halleluja, wie ein fränkischer Priester kürzlich gesagt hat?
Diese Erklärung taucht in der Literatur nicht auf – und sie widerspricht auch dem Grundgedanken der „verkehrten Welt“. Helau kommt wohl eher von „Hölle auf!“, also einer Begrüßung der „verkehrten Welt“.
Aber einen kirchlichen Hintergrund für die Faschingszeit gibt es doch, oder?
Etwa ab 1400 begann die Kirche, die Fastnacht immer mehr im Kontrast zur Fastenzeit zu bewerten. Sie nahm Bezug auf den Kirchenlehrer Aurelius Augustinus (354-430 n.Chr.), der die „Civitas Dei“, den Gottesstaat, scharf vom Teufelsstaat, der „Civitas Diaboli“, abgegrenzt hatte. Die Theologen übertrugen dieses Modell auf das Verhältnis Fastnacht und Fastenzeit. Während in der Fastenzeit die Menschen gottgefällig leben, ist in der Fastnacht der Teufel los. Diese „Verteufelung“ spiegelt sich auch in den ältesten Fastnachtsverkleidungen als Teufel.
Wann kam der Narr ins Spiel?
Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert gesellte sich der Narr als eigentlicher Repräsentant der Fastnacht hinzu – mit zweifarbigem Gewand, meist gelb und rot gefärbt, mit Eselsohren und einem Szepter in der Hand, das von einem Kopf gekrönt und „Marotte“ genannt wird. Als Narrentum galt damals die Leugnung der Existenz Gottes.
Was wissen wir über die Fastnacht unserer fränkischen Vorfahren?
Um 1520 beschrieb der in Aub geborene Johannes Böhm die drei Fastnachtstage vor Aschermittwoch. Einige, so heißt es, verkleideten sich als Teufel, andere rannten nackt umher oder gingen maskiert umher, mit geisterhaften Gesichtsmasken, „Larven“ genannt, und Schönbart. Es wird auch ein seltsames Spiel überliefert: Vier Burschen spannen ein Leintuch auf und der sogenannte „tote Mann“, eine in Hose, Wams und Larve eingekleidete Strohpuppe, wird immer wieder in die Höhe geschleudert. In seiner Hofer Chronik berichtet um 1580 der dortige Geschichtsschreiber und Rektor des Gymnasiums, Enoch Widmann, von Burschen, die einen Pflug umherziehen und Mädchen davor spannen.
Sie spannten Mädchen vor den Pflug?
Ja, das Pflugumziehen hat sich teilweise sogar bis heute erhalten – wenn auch nicht mehr als Rüge für zu lange ledige, unverheiratete Frauen. Verschwunden sind dagegen weitgehend die Schwerttänze der Zünfte. Früher gab es Tänze wie den „stroern man, latern- und schwertdantz“.
Wann erreichte das fastnächtliche Treiben in Franken seinen Höhepunkt?
Im späten Mittelalter, und zwar in den Städten. In Nürnberg wie auch in Würzburg spielten die Zünfte, allen voran die Metzgerzunft, eine besondere Rolle bei Umzügen, Festmahlen und Umtrünken. Da sie ab Aschermittwoch während der gesamten Fastenzeit kein Fleisch mehr verkaufen durften – das Wort Karneval kommt ja von „carne vale“, Fleisch ade! – und deshalb sechs Wochen lang ohne Einnahmen blieben, durften sie in der Fastnacht mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam machen. Neben Tanz war das der Metzgersprung – ein traditionelles Baden der Metzger, die in einen Brunnen sprangen. Damit kurbelte man das Geschäft vor der kargen Zeit nochmals an.
Es ging also darum, mal richtig über die Stränge zu schlagen?
Ja. Der Narr, der mit seiner Peitsche gegen das Glockengeläut der Kirche ankämpft, findet damit ebenso einen tieferen Sinn wie die mit bestimmten Symboltieren verbundenen Laster-Allegorien: die Unkeuschheit zum Beispiel mit der Gestalt des Bocks, die sexuelle Begierde mit dem Hahn, die Trägheit mit einem Esel beziehungsweise den Eselsohren, die Verfressenheit mit einem Schwein.
Kann man sagen, dass Franken eine führende Rolle in Sachen Karnevalstradition in Deutschland spielt?
Blickt man auf das traditionsreiche, allerdings mit der Reformation erloschene Nürnberger Schembartlaufen zurück, beansprucht Franken zu Recht, als Wiege des deutschen Fastnachtsbrauchtums anerkannt zu werden. Erste seit dem 13. Jahrhundert überlieferte fastnächtliche Formen sind Zechen und Festmähler, zu denen an Fastnacht die Honoratioren eingeladen wurden. Noch 1608 erhielten zum Beispiel einige Bamberger Stadtangestellte Geld für eine „krapfenmahlzeit“. Gleichermaßen feierten die Handwerker in den Zunftstuben und auf der Straße mit Tänzen, Spielen und Umzügen.
Klingt nach mächtig viel Ausgelassenheit. Gebot niemand Einhalt?
Erlasse und Verbote versuchten allzu großer Ausgelassenheit gegenzusteuern. So wurden in Bamberg 1593 drei Tuchknappen bestraft, weil sie „ohne erlaubtnus in der Vaaßnacht mit der drummel umgangen“. Um 1662 bestimmte in Bayreuth ein Erlass, das „Vermummen oder Fasnachts-Kleiden“ zu unterlassen, da sich Frauen in Manns- und Männer in Frauen-Kleidern oder gar verkleidet als Teufel gezeigt hatten. 1732 drängte ein weiterer Erlass auf die „Abschaffung aller Fastnachts-Spiele“, vor allem gegen das Gewohnheitsrecht, „daß der Schulmeister an der Fastnacht auf einem Stuhle sitzend die Kinder unten durchkriechen lässet, und solche mit etlichen Schlägen beleget“, wofür der Lehrer eine Gabe erwarten durfte. Nicht viel besser war es im Fürstbistum Bamberg und Würzburg, wo von 1673 bis 1715 mehrere Verbote „solcher öffentlichen Mummereyen und Fastnachtsspiele“ erteilt wurden.
Ging es auf den Dörfern auch so zu?
Nein. Dem dörflichen Fastnachtstreiben entstammen etwa die Strohbären. Die von langhalmigen Strohbündeln vermummten Akteure standen in älterer Tradition für den Winter, der vertrieben werden muss, damit der Frühling einziehen kann. Jüngere Repräsentanten ahmten eher die in den Dörfern einem staunenden Publikum vorgeführten Tanzbären nach, die auf Jahrmärkten gezeigt wurden. Reiche Traditionselemente weisen die „Fasalecken“ von Effeltrich bei Forchheim mit ihrem Zug nach Baiersdorf auf. Sie treiben, allerdings in einer neueren Version, die Strohbären als winterliche Gestalten vor sich her und verbrennen am Ende die Strohhüllen.
Welche Traditionen gibt es noch?
Im Hopfengebiet um Spalt erscheint zu Fastnacht der „Flecklesdieb“ und im Altmühltal der „Fosnatsnigel“ mit hölzerner Maske und rupfenbesetzter Kleidung. Ein Dorfrügegericht als Narrengericht, bezeugt zu Beginn des 17. Jahrhunderts, gab es früher am Aschermittwoch in Burgebrach. Restformen einer „Altweibermühle“ existieren in Reckendorf bei Bamberg.
Was ist eine „Altweibermühle“?
Alle zehn Jahre verkleiden sich ursprünglich nur Burschen als Hexen, werden von Müllern gefangen und durch einen Jungbrunnen in Form einer Mühle „gedreht“. Unten kommen sie als junge Mädchen heraus und führen einen Tanz mit den wartenden Bräutigamen auf. Die nächste Altweibermühle findet übrigens 2025 statt.
Wie sehen Sie die Zukunft der fränkischen Fastnacht?
Die Reise nach Narragonien – sie wird weitergehen. Schon vor fast 2500 Jahren stellte Demokrit, der lachende Philosoph aus Griechenland, wissend fest: „Ein Leben ohne Feste gleicht einer weiten Reise ohne Einkehr!“ Oder um es launiger mit Joachim Ringelnatz zu sagen: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt!“