Vier Buchstaben können die Welt verändern. „TTIP ist aus Sicht der IHK das wohl wichtigste Abkommen für die Europäische Union und die Vereinigten Staaten seit der NATO“, sagt Kurt Treumann, Bereichsleiter „International“ der IHK Würzburg-Schweinfurt. Ganz anders sieht das Richard Mergner, Landesbeauftragter des Bund Naturschutzes in Bayern. Er hat heftige Bedenken gegen das Freihandelsabkommen, über das die große Politik seit 2013 weitgehend hinter verschlossenen Türen verhandelt und das sie heuer besiegeln möchte: „Die Heilsversprechen von TIPP sind nur Werbesprüche. TTIP würde die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer machen.“
Tatsache ist: Durch TTIP würde mit mehr als 800 Millionen Menschen die größte Freihandelszone der Welt entstehen. Doch welche Folgen das geplante Abkommen zwischen Europa und den USA haben würde, ist äußerst umstritten, das Misstrauen ist riesig.
Sinken die Standards beim Verbraucher- und Umweltschutz? Welche wirtschaftlichen Effekte wird es de facto geben? Was ist mit Arbeitsplätzen? Vor dem Info- und Diskussionsabend des Bund Naturschutzes Kitzingen am Mittwoch, 4. Februar, beziehen Kurt Treumann und Richard Mergner Stellung.
Kurt Treumann: Erklärtes Ziel von TTIP ist es, dass sich der Austausch von Waren einfacher gestaltet – und zwar durch gegenseitig anerkannte, gleichwertige Normen und Standards, die Sicherheit und Funktionalität betreffen. Das ist sehr sinnvoll und wirtschaftsfördernd. Wir in Deutschland führen eine sehr polarisierende Bedenkenträger-Diskussion. Da TTIP ein allumfassendes Abkommen ist, das viele Bereiche des Lebens tangiert, ist es natürlich schwierig, einen allgemeinen Überblick zu bekommen. In den Medien wird durch das Herausgreifen von Einzelbeispielen oft eine falsche Realität vorgegaukelt, etwa in Sachen Agro-Gentechnik. Wir haben in der EU doch auch nicht nur Biobauern, sondern viel Massentierhaltung und Mastbetriebe, in denen die Tiere entsprechend behandelt werden.
Richard Mergner: Aber wir produzieren kein Hormonfleisch wie die USA, deren Fleischindustrie darauf drängt, ihr hormonbehandeltes Zeug in die EU einliefern zu können. TTIP und auch CETA – das Handelsabkommen mit Kanada, das fertig in der Schublade liegt – sind Angriffe auf den Schutz der Verbraucher und werden von multinationalen Konzernen vorangetrieben, die keinem Staat oder gar Sozialstaat mehr verpflichtet sind, sondern nur noch Anteilseignern. Sie werden Gewinner sein, aber es wird auch viele Verlierer geben, wenn wir TTIP nicht stoppen.
Kurt Treumann: Deutschland ist wie kaum ein anderes Land auf offene Märkte und freien Handel angewiesen. TTIP könnte für die EU enorme Exportsteigerungen bedeuten. Auch für Mainfranken hat der transatlantische Handel einen hohen Stellenwert. Da hängen auch Arbeitsplätze dran!
Kurt Treumann: Auf jeden Fall. Die Unternehmen im IHK-Außenwirtschaftsausschuss stehen TTIP positiv gegenüber, vor allem wegen der Aussicht auf den Wegfall von Handelshemmnissen. TTIP würde die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exportwirtschaft auf globaler Ebene massiv stärken. Für Bayern – speziell für viele mittelständischen Unternehmen – sind die USA der wichtigste Markt und Investitionsstandort weltweit. Wir müssen wirklich aufpassen, dass wir in unserer Angst nicht die Chancen übersehen.
Richard Mergner: Angst kann einen auch retten. Vor allem solche Firmen, die global nicht konkurrenzfähig sind, würden durch TTIP Arbeitsplätze verlieren – zum Beispiel eben kleine und mittelständische Unternehmen, ebenso wie fränkische Bauern und Winzer. Wer Umwelt- und Sozialstandards ebenso wie den Schutz öffentlicher Dienstleistungen im Bereich von Bildung, Kultur, Gesundheit oder Trinkwasserversorgung als Handelshemmnisse betrachtet, will das Gemeinwohl den Gewinninteressen opfern.
Richard Mergner: Nehmen wir als Beispiel Futtermittelkonzerne, Chemie- und Gentechnik-Riesen wie BASF, Bayer, Monsanto und viele andere: Ihnen sind die bisherigen Beschränkungen in Deutschland ein Dorn im Auge. Und sie haben eine enorme Lobby. Beispiel Hormonfleisch oder genmanipulierte Lebensmittel: Diese dürfen in den USA ohne Bedenken und Informationen verkauft werden. Wenn diese nicht gekennzeichnet werden müsste, hätten die Produzenten doch einen absoluten Vorteil gegenüber Landwirten, die tierfreundlich und naturnah arbeiten und dadurch höhere Kosten haben.
Kurt Treumann: Nach Meinung des IHK-Außenwirtschaftsausschusses sollen die hohen Standards innerhalb der EU im Bereich Verbraucher- und Umweltschutz sowie die Sozialstandards gesichert werden. Doch die USA sind ja auch nicht Uganda! Teilweise haben die Amerikaner sogar höhere Standards als wir. Außerdem: Nur wenn es in der Wirtschaft gut läuft und Wohlstand herrscht, kann man sich auch effektiv um Umweltschutz kümmern.
Richard Mergner: Die Skepsis der Bürger ist sehr berechtigt. Angesichts der jüngsten Ereignisse – Steuerdiebstahl großer Konzerne, Kleidung, die unter erbärmlichsten Bedingungen produziert und dann Zehntausende Kilometer durch die Welt transportiert wird – ist es klar, dass sie den Heilsversprechen nicht mehr glauben. TTIP würde in nahezu alle Lebensbereiche eingreifen. Die geplanten nicht-staatlichen Schiedsgerichte würden es zudem ermöglichen, dass Unternehmer den Staat auf Schadenersatz verklagen könnten. Die Leute haben recht, wenn sie fordern, dass der Verhandlungsprozess und die Strategie dahinter offen gelegt werden müssen.
Kurt Treumann: Auch ich finde die Geheimniskrämerei nicht gut. Kein Wunder, dass so mancher gleich an NSA-Überwachung denkt. Natürlich ist die Thematik aber auch so komplex und fachspezifisch, dass es schwierig ist, sie den Menschen in wenigen Sätzen zu vermitteln. Trotzdem: Die Politik hätte mehr Flagge zeigen können.
Richard Mergner: Dann ist das ein großer Erfolg für die Demokratie und das Mitbestimmungsrecht der Bürger. Es würde den Weg frei machen für die Diskussion um einen gerechteren, fairen Welthandel, der Umwelt- und Menschenrechte beachtet und den Schutz der Lebensgrundlagen vor Profitinteressen stellt.
Kurt Treumann: In Asien bildet sich gerade mit ASEAN eine riesige Allianz. Auch die Volksrepublik China wird wirtschaftlich immer stärker. Wenn TTIP scheitert, ist langfristig davon auszugehen, dass sich das bisherige ökonomische Gleichgewicht global immer mehr in Richtung Asien verschiebt – mit allen dazugehörenden Folgen. Dann geben uns die Asiaten beispielsweise die Standards vor. Nicht umgekehrt.
Freihandelsabkommen – warum und wofür?
Einladung:„Freihandelsabkommen
– Information & Diskussion“ lautet der Titel des Informations- und Diskussionsabends, zu dem der Kreisverband Kitzingen des Bund Naturschutzes am Mittwoch, 4. Februar, um 19.30 Uhr in die Alte Synagoge Kitzingen einlädt. Themen sind drei umstrittene Abkommen zur transatlantischen Handels-und Investitionsgemeinschaft der EU mit der amerikanischen und kanadischen Regierung: TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft), CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) und TiSA (Abkommen über Handel mit Dienstleistungen).
Referenten: Zu Wort kommen neben den Bürgern und Hauptredner Richard Mergner (Landesbeauftragter des Bund Naturschutzes Bayern) unter anderem Hermann Schmitt (Fränkischer Weinbauverband), Walter Haefeker (Deutscher Berufsimkerverband), Adolf Wolz (Einzelhandel, Schöningh-Buchhandlungen), Marietta Eder (SPD), Hans Plate (Bündnis 90/Grüne) und Alois Kraus (Obmann Bauernverband).