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WIESENBRONN
Fenster in die Vergangenheit
Schmuck hergerichtet: Die ehemalige Synagoge in Wiesenbronn.
Foto: Barbara Herrmann | Schmuck hergerichtet: Die ehemalige Synagoge in Wiesenbronn.
Barbara Herrmann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:48 Uhr

Wenn Michaela und Reinhard Hüßner auf ihrem Sofa im Wohnzimmer sitzen, haben sie nicht nur einen perfekten Blick auf den Flachbild-Fernseher, sondern auch auf den an die Decke gemalten Sternenhimmel. Wobei „Wohnzimmer“ vielleicht nicht der richtige Ausdruck ist für die Empore des Betsaals in der einstigen Synagoge Wiesenbronns (Lkr. Kitzingen). Dass diese religiöse Vergangenheit des Hauses wieder zu erkennen ist, ist Reinhard Hüßner und seiner Besessenheit von Originaltreue zu verdanken.

„Authentisches Material und authentische Technik“, wie Hüßner betont, sei bei der Renovierung des Sandsteinhauses aus dem Jahr 1792 verwendet worden. Eine ebenso teure wie zeitintensive Angelegenheit, stets begleitet vom Denkmalschutz. So wurden beispielsweise die Eichenfenster aus Holz des Wiesenbronner Waldes gemacht und für die Haltbarkeit dreimal mit Leinöl gestrichen. Gedämmt ist das Haus mit Lehm – hergestellt mit Material aus einer alten Grube in der Nähe. Zudem haben sie Zeitzeugen befragt, da vom Inneren der Synagoge keine Bilder vorhanden sind. Aber besessen? Reinhard Hüßner, der Leiter des Mönchsondheimer Kirchenburgmuseums, lacht, wenn er nach dem enormen Aufwand gefragt wird.

Seine blauen Augen blitzen über die tief sitzende Brille. Er nennt es „ein Haus, wo ich endlich mal machen kann, was ich will“.

Kräftige Farben

Das bedeutet für den 66-Jährigen auch, die ursprüngliche Verwendung der Räume anzudeuten und „Fenster in die Vergangenheit“ zu öffnen. An einer Stelle im Büro, das früher der Eingang zur Synagoge war, zeigt eine Stelle in der Decke die unter dem Putz liegenden Schichten aus Lehm, Stroh und Holzbalken. Hinterm Büro liegt die Bibliothek. Rote und blaue Wände verweisen als im 19. Jahrhundert typische Farben auf die einstige Küche, graue Streifen auf den damaligen Wandverlauf.

Fotoserie

Eine Seltenheit ist die Mikwe, gleich hinter der Eingangstür gelegen: ein 2,80 Meter tiefes Tauchbecken im gleichnamigen Raum, der für Besucher zugänglich sein soll. Die vorherigen Bewohner hatten das Zimmer noch als Bad genutzt, nun werden künftig Tafeln die religiöse Bedeutung erklären. Im Flur zwischen Mikwe und Büro gewähren Fundstücke wie Briefe, ein Schuh und Schüsseln einen Blick in die Geschichte des Hauses – und der Juden in Wiesenbronn.

Ungewöhnliches Ambiente: Reinhard und Michaela Hüßner haben in Wiesenbronn (Lkr. Kitzingen) eine ehemalige Synagoge restauriert. Auf der Empore des ehemaligen Betsaals ist ihr Wohnzimmer.
Foto: Barbara Herrmann | Ungewöhnliches Ambiente: Reinhard und Michaela Hüßner haben in Wiesenbronn (Lkr. Kitzingen) eine ehemalige Synagoge restauriert. Auf der Empore des ehemaligen Betsaals ist ihr Wohnzimmer.

Behutsam holt Reinhard Hüßner ein deutsch-jüdisches Wörterbuch heraus, das ihm ein Landwirt aus dem Ort geschenkt hat. Er deutet auf die Übersetzung von Massel: Glück. Genau das hat das Ehepaar in dem stattlichen Haus gefunden – auch wenn der Umbau schon etliche Jahre andauert. „Wir haben uns viel Zeit gelassen und auch mal eine Auszeit genommen“, sagt Michaela Hüßner. 20 Jahre hätten sie nach so einem Gebäude gesucht, bietet es sich dann an, „muss man zugreifen“, ergänzt ihr Mann.

Nach dem gewissermaßen musealen Teil im Erdgeschoss führt eine Tür in die ehemalige Wohnung des Vorsängers – heute als Hauswirtschaftsraum genutzt. An einer Stelle haben Restauratoren alle Anstriche, 63 an der Zahl, freigelegt. „Ist halt aweng a Spielerei“, sagt der Volkskundler Hüßner lächelnd.

Geschlafen wird im Anbau

Dahinter führt die Treppe hoch in den Betsaal, in dem eine Vertiefung in der Wand den früheren Platz des Thoraschreins andeutet. Oben auf der Empore ist das Wohnzimmer, darunter die Küche mit Esstisch eingerichtet. Der große Raum beeindruckt nicht nur durch seinen Sternenhimmel, sondern auch durch die ebenso symmetrische Wandbemalung.

In dieser Pracht haben profane Dinge wie ein Hochzeitsfoto an der Wand allerdings keinen Platz. Das würde nicht passen, es würde das „runde Bild“ stören, sind sich die Hüßners einig. Um den Altbau zu schonen, sind Bad, Technikräume und Schlafzimmer im Anbau (von 1990) untergebracht. Bei dessen Renovierung sind ebenso hohe Maßstäbe in puncto Regionalität und Nachhaltigkeit angesetzt worden wie im Hauptgebäude.

Viel heimisches Holz prägt die gemütlichen Räume. Im Schlafzimmer, in dem der Rundgang endet, bügelt Michaela Hüßner gerade. Die 51-Jährige hat entschieden, auch noch den Keller ausbaggern zu lassen, um mit Hilfe von Geo-Archäologen noch mehr über die Vergangenheit des Hauses zu erfahren. Massel – sprich: Glück – hatte wohl auch die ehemalige Synagoge, von einem solchen Paar gefunden worden zu sein.

Geschichte der Wiesenbronner Synagoge

1718: Synagoge entsteht als Anbau an das „Samson Judenhaus“.

1792: Eine neue Synagoge mit Vorsängerwohnung im Erdgeschoss und Betsaal im Obergeschoss wird errichtet, das heutige Gebäude.

1850: Im Erdgeschoss wird eine Mikwe eingebaut: ein mit Grundwasser gefülltes Tauchbecken, 2,80 Meter tief.

1890: Größerer Umbau, der Betsaal wird mit aufwendigen Schablonenmalereien gestaltet.

1938: Die immer kleiner gewordene jüdische Gemeinde verkauft die Synagoge ohne Zwang an den Nachbarn. Das Gebäude bleibt im November 1938 von Zerstörungen verschont, da es vorher schon säkularisiert war.

1950: Umbau zum Wohnhaus mit Zwischendecke im Betsaal.

1990: Neubau eines Nebengebäudes an der Ostseite.

2008: Start der umfassenden Renovierung und Wiederherstellung durch Reinhard und Michaela Hüßner.

Kosten: rund 750 000 Euro, gefördert von: Entschädigungsfonds des Kultusministeriums, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Amt für Ländliche Entwicklung, Bezirk Unterfranken, Landkreis Kitzingen und Gemeinde Wiesenbronn.

 
 
 
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