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KITZINGEN
Fachkräftemangel in der Gastronomie: Freudloser Traumjob
Wenn das Glas eher halb leer als halb voll ist: Ein Großteil der Beschäftigten in Restaurants, Cafés und Hotels arbeitet zu Niedriglöhnen – und hat wegen Corona schlechte Job-Perspektiven, kritisiert die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.
Foto: Alireza Khalili | Wenn das Glas eher halb leer als halb voll ist: Ein Großteil der Beschäftigten in Restaurants, Cafés und Hotels arbeitet zu Niedriglöhnen – und hat wegen Corona schlechte Job-Perspektiven, kritisiert die ...
Von Julia Volkamer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:46 Uhr

Lange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung, befristete Verträge – mit all dem hatten Beschäftigte im Gastgewerbe schon vor Corona zu kämpfen. Während der Pandemie kehrten Unzählige der Branche den Rücken. Jetzt, wo alles wieder zur Normalität zurück zu kehren scheint, werben Gastronomen, Gewerkschaften und Verbände darum, dass auch die Köche, Service- und Hotelfachkräfte zurück kommen. In vielen Fällen vergeblich.

„Es ist ein absoluter Traumjob“, sagt Luisa. „Ich liebe es, Menschen zu umsorgen, Ihnen die Wünsche von den Augen abzulesen“, schwärmt die gelernte Hotelfachfrau. „Aber es ist auch ein anstrengender Job. Ihren richtigen Namen möchte die 32-Jährige lieber nicht verraten, dafür das ein oder andere mehr oder weniger offene Geheimnis aus der Gastronomie. Zum Beispiel, dass man es schon mögen muss, bei Hochzeiten oder anderen Familienfesten die Gäste bis in die Früh zu bewirten, wenn der Alkoholpegel steigt und die Hemmschwelle sinkt. „Dann macht man aber den meisten Umsatz“, gibt sie zu bedenken. Sie selbst habe sich immer darum bemüht, dass eine solche Feier nicht schon um 2 Uhr endet. „Aber wenn man schon an einem Wochenende arbeitet und so lange wach ist, dann soll es sich auch richtig lohnen.“

Anpassung der Löhne

Das sieht auch Ibo Ocak, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) so. Er warnt davor, während der gerade begonnenen Tarifrunde eine Anpassung der Löhne an das allgemeine Mittel zu verpassen (siehe Infokasten). „Wenn Hotel- und Gastro-Beschäftigte schon grundsätzlich 41 Prozent weniger verdienen als der Schnitt, dann darf sich keiner darüber wundern, dass sie sich in Zeiten der Corona-Krise einen neuen Job suchen.“

Luisa hat das auch so gemacht. Als in ihrem Hotel mit Restaurant Gäste und Feste ausblieben und sie in Kurzarbeit geschickt wurde, räumte sie bei einem Discounter Regale ein. „Die haben mich mit offenen Armen empfangen“, erinnert sie sich. „Die Mädels aus der Gastro nehmen wir gerne. Die können anpacken“, meinte ihr Chef. Dieses Anpacken wurde entsprechend gut bezahlt – gemäß Tarifvertrag. Diese Sicherheit fehlt dem Gastgewerbe im Moment. Und das seit Mai.

Darauf weist die Gewerkschaft in aller Deutlichkeit hin und warnt: „Die Beschäftigten brauchen nach dieser schwierigen Zeit endlich eine Perspektive.“ Die Arbeitgeber sollten dazu verpflichtet werden, sich an die tariflichen Standards zu halten. Das führe nicht nur automatisch zu fairen Wettbewerbsbedingungen unter den Betrieben, sondern vor allem auch zu fairen Arbeitsbedingungen für das Personal. Er wisse, dass die Wirte und Hoteliers ebenfalls stark von der Pandemie betroffen sei, versichert Ocak. Trotzdem müsse jetzt alles dafür getan werden, Löhne und Arbeitsbedingungen attraktiver zu gestalten.

Bessere Arbeitsbedingungen

Luisa ist da ganz bei ihm. Sie hat Auszubildende kommen und gehen sehen, hat mit ausländischen Aushilfskräften gearbeitet, Schüler und Studenten eingewiesen und betreut. In den letzten Monaten wurden sie immer weniger. „Den Job will einfach keiner mehr machen“, wundert sich die Hoteliere, die gerne eine Familie gründen möchte und deswegen über kurz oder lang ebenfalls ausfallen wird. Sie ist sicher, dass die Attraktivität des Berufes überwiegend an eine bessere Bezahlung gekoppelt ist. Und an gewisse Zugeständnisse. „Wer an einem Wochenende arbeitet, muss das nächste frei haben“, meint Luisa. Dafür müsste allerdings auch genügend Personal da sein.

Auch dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) ist diese Entwicklung nicht verborgen geblieben. Thomas Dauenhauer, Bezirksvorsitzender im Branchenverband, fordert ebenso wie die bayerische Dehoga-Präsidentin Angela Inselkammer höhere Löhne und beklagt die Abwanderung von Fachkräften in andere Arbeitsbereiche. Bis zu 50 000 Beschäftigte fehlten in der Gastronomie, so Inselkammer. „Dabei pflegen wir im Hotel- und Gastgewerbe einen sehr wertschätzenden Umgang mit unseren Mitarbeitern“, findet Thomas Dauenhauer. „Wir streben langfristige Arbeitsverhältnisse an – am liebsten lebenslang“, kontert er die Kritik der Gewerkschaft, dass zuletzt 40 Prozent aller Neueinstellungen im Kitzinger Lebensmittelhandwerk und der Ernährungsindustrie, vor allem aber auch im Gastgewerbe, befristet gewesen seien. „Wir brauchen jeden Mitarbeiter! Verlässlichkeit in den Arbeitsverhältnissen und gute, leistungsgerechte Entlohnung sind die wichtigsten Eckpfeiler, um die Menschen für eine Karriere in unserer Branche zu begeistern – und sie zukunftsfähig zu machen.“

Gastronomie ist saisonabhängig

Luisa kennt das auch anders und schätzt die Gastronomie, gerade in hiesigen Gefilden, als durchaus saisonabhängig ein. Sie selbst verschlug es einst nach Österreich, um dort in den Wintermonaten ihr Gehalt in Skigebieten aufzubessern. Während im Landkreis Kitzingen im Frühjahr, Sommer und Herbst wenig Zeit zum Verschnaufen bleibt und viele Servicekräfte quasi ohne Pause an sieben Tagen die Woche für die Gäste auf den Beinen sind, wird es im Winter deutlich ruhiger – vor allem im Hotelfach.

Dementsprechend kann sie es ein Stück weit nachvollziehen, dass die Wirte nach dem harten Corona-Jahr zurückhaltend sind mit langfristigen Verträgen. „Wer weiß schon, was diesen Winter passiert?“

Und doch ist sie sicher, dass die besseren Arbeitsbedingungen der Schlüssel zur erfolgreichen Akquise von neuem Personal sind. Befristungen seien da nur ein Punkt, die vor allem auf junge Leute bei der Berufswahl abschreckend wirken können. „Von unbezahlten Überstunden, langen Arbeitszeiten bis hin zu einem rauen Umgangston hinter den Kulissen – viele Probleme im Gastgewerbe haben schon lange vor der Pandemie existiert“, kritisiert auch Ibo Ocak.

Und jetzt steigen bei einem Teil der Gäste auch noch die Ansprüche. Luisa hat während der Corona-Krise eine Aufteilung in zwei Lager beobachtet: die einen, die dankbar sind dafür, dass sie wieder essen gehen können, dass jemand sie freundlich bedient. Und die anderen, die sich an den Vorschriften störten, die sich nicht registrieren lassen oder Masken tragen wollten. „Dabei hat das doch jeder schon gewusst, bevor er das Restaurant betreten hat.“ Den Unmut dieser Gäste bekommt das Personal zu spüren. „Da muss man schon ab und zu mal schlucken“, sagt die leidenschaftliche Gastgeberin. „Wir tun alles dafür, dass es den Gästen gut geht. Wenn man dann aber so viel negative Resonanz bekommt, fragt man sich schon, warum man diesen Job eigentlich einmal gewählt hat.“

Reform des Berufsschulsystems

Und das tun ohnehin schon so wenige junge Menschen wie niemals zuvor. „Wir müssen da unbedingt etwas tun“, weiß Thomas Dauenhauer. Ihm schwebt, neben einer angemessenen Bezahlung, vor allem eine andere Form der Ausbildung vor. Auf die zweijährige Berufsschule als Grundlage könnte im Anschluss erst die praktische Ausbildung im Betrieb beginnen. So hätten die Lehrlinge zunächst noch eine Art Schonzeit, könnten sich erst einmal theoretisch mit den Anforderungen beschäftigen, um dann mit voller Kraft in die Hotels und Gaststätten einzusteigen.

Aktuell gehen die Azubis tageweise in die Schule und können nur eingeschränkt im Betrieb eingesetzt werden, weil die Schulzeiten aufgrund der arbeitsrechtlichen Vorgaben mit den Arbeitstagen kollidieren. „Das könnte man mit Blockschule umgehen“, weiß Dauenhauer, der nach wie vor darauf hofft, dass vermehrt Arbeitskräfte aus dem Ausland zuwandern. „Das sind schließlich auch Fachkräfte. Und die werden in der Gastronomie dringend gebraucht.“

Für Luisa stellt sich im Moment die Frage gar nicht, ob sie nach einer Familienauszeit wieder in ihr Hotel zurückkehrt. Sie arbeitet gerne mit ihren Kollegen, hat ein gutes Verhältnis zu den Geschäftsführern. Sie liebt ihren Job und freut sich über die Wertschätzung, die ihr von den allermeisten Gästen entgegengebracht wird. „Das sollte für alle, die sich für diese Branche entscheiden, die größte Motivation sein.“

Bezahlung

Laut einer Analyse der Hans-Böckler-Stiftung, die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet hat, kommen Beschäftigte aus dem Gastgewerbe, die eine Vollzeitstelle haben, im Landkreis Kitzingen auf ein mittleres Monatseinkommen von aktuell 1.942 Euro brutto. Zum Vergleich: Branchenübergreifend liegt der Median bei Vollzeit im Landkreis bei 3.294 Euro.
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Foto: Jürgen Haug-Peichl | IboOcak
 
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Kommentare
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  • office@reichelt-schoelch.de
    Es gibt auch noch etwas „internen“ Mitbewerb für die Gastronomen, Mindestlohn Minijobs und Schwarzarbeit, gerade in Service und Küche, oder? Überwiegend Frauen, die sich nur ein Zubrot verdienen müssen, was ungut für die mit den fairen Arbeitsverhältnissen ist. Nicht zuletzt schlägt sich das im Endpreis auf der Speisenkarte nieder, und ggf. auf der subventionsbedürftigen Rente, ein Thema für die Steuerzahler.
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  • 1958kosb
    Was sollte sich ändern? Es waren ja jetzt schon die Kneipen 9 Monate zu gewesen. Dann wären sie halt mal wieder zu.
    Wenn die Wirte nicht selbst drauf kommen ist ihnen nicht zu helfen.
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  • stahl01@t-online.de
    Warum soll man in einem Bereich arbeiten - wo man schlecht bezahlt wird - wenn es andere Stellen gibt?
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  • helenews@gmx.de
    wenn alle Mitarbeiter in der Gastronomie mal ein paar Tage streiken würden wie die Lokführer, würde sich sicher etwas ändern.
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  • jhuller@gmx.de
    Glaube ich nicht. Ein Streik würde eine Vielzahl kleinerer Betriebe treffen. Es gibt jedoch keine Gastro-Konzerne mit gut dotierten Aufsichtsratspöstchen für die Politikprominenz. Daher gehen die Brancheninteressen eben diesen Politkern herzlichst am Allerwertesten vorbei.
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  • office@reichelt-schoelch.de
    @derrik
    Das mit den Brancheninteressen ist nur begrenzt durchgängig, denken Sie an die Aktion der MWST-Senkung auf 7%, die die FDP mal für einen ihrer Gönner lange durchgesetzt hatte, zwar nur Übernachtungen, kam aber allen Beherbergungsbetrieben zugute. Hier spielt eine Rolle, dass viele Betriebe bzw. Die Inhaber zu wenig solidarisch agieren und Nichtschwimmer, sich viele Frauen ausnutzen, um nicht zu sagen, erpressen lassen. An der Stelle schon immer so gewesen. Ich bin kein Freund der SPD oder Linken, doch an diesen Schrauben muss gedreht werden. Ist bei Pflege auch teils so.
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