
Friedrich Kratsch kennt jeden Zentimeter des Sickershäuser Friedhofs. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein handgezeichneter Plan. Tipp-Ex-Spuren lassen darauf die Zeichen der Zeit erkennen. In den 36 Jahren seit der Erstellung dieses Planes hat sich auf dem Friedhof viel verändert.
Friedrich Kratsch erinnert sich noch genau ans Jahr 1977, als er am 10. Mai ehrenamtlich den Job des Friedhofspflegers angenommen hat – „aus Gnade und Barmherzigkeit, weil sich kein anderer gefunden hat“. Er hat sich damals ein 30-Meter-Maßband gekauft und sich daran gemacht, den ganzen Friedhof zu vermessen. „Drei Monate habe ich dafür gebraucht“, erzählt der Sickershäuser. Als technischer Angestellter bei den Licht-, Kraft- und Wasserwerken in Kitzingen hatte er die nötige Kenntnis, die Zeit nahm er sich in seinen Mittagspausen und nach Feierabend. So entstand in mühevoller Arbeit der große Plan im Maßstab 1:75, der heute noch Grundlage für die Organisation des Sickershäuser Friedhofs ist.
Anders als die anderen sechs Friedhöfe der Stadt Kitzingen ist dieser in der Obhut der Kirchengemeinde. Eigenverantwortlich regelt sie die Gebühren, stellt eine Satzung und organisiert Beerdigungen. „Es ist ein 24-Stunden-Job“, erzählt Friedrich Kratsch, dem die Aufgaben in all den Jahren dennoch nie zu viel wurden. Er konnte auch stets auf die Unterstützung seiner Frau Elsa zählen.
Erst jetzt, im Alter von 79 Jahren, lässt es die Gesundheit nicht mehr richtig zu. Das Laufen ist beschwerlich, die Arbeiten, die mit seinem Amt als Friedhofspfleger verbunden sind, lassen sich nicht mehr so machen, wie es Friedrich Kratsch will – nämlich gewissenhaft. Somit fand er es an der Zeit, sein Amt nach 36 Jahren und vier Monaten in jüngere Hände zu geben. Johannes Jurkat, der neunte Pfarrer, den Kratsch in seiner Amtszeit erleben durfte, bedauert dies zwar, kann die Entscheidung aber nachvollziehen. „Er hat Großartiges geleistet“, sagt er. Künftig wird ein Team aus mehreren den Job übernehmen.
Aktuell gibt es für jedes der 204 Gräber eine Karteikarte, die Kratsch in drei Karteikästen aufbewahrt. Jede trägt eine Nummer – passend zum Eintrag im großen Plan – und ist beschriftet mit wichtigen Daten: Wem gehört das Grab? Wer liegt darin, seit wann und auf welcher Seite? Und wann sind das nächste Mal Gebühren fällig? Einmal im Jahr machen sich Friedrich Kratsch und seine Frau Elsa ans Durchblättern der Karteikarten und schreiben Rechnungen. Gefragt sind die Kratschs aber vor allem bei Beerdigungen. Elf sind das im Durchschnitt pro Jahr. 390 hat Kratsch seit 1977 selbst miterlebt.
In der Regel ist es so, dass sich entweder die Trauernden selbst, die Bestatter oder das Pfarramt an Friedrich Kratsch wenden. Anhand der Karteikarten überprüft der Friedhofspfleger dann, ob ein Grab frei ist – das ist nicht immer der Fall, denn auf dem alten Teil des Friedhofs gilt die Regel: 20 Jahre darf ein Grab nicht mehr geöffnet werden; auf den beiden neueren Teilen beträgt die Ruhezeit wegen der Bodenverhältnisse sogar 30 Jahre. Zu den Aufgaben des Friedhofspflegers gehört es auch, die Überführung und die Beerdigung zu organisieren. Es werden unter anderem vier Träger benötigt, ein Steinmetz und ein Totengräber. Kratsch muss dafür sorgen, dass die Kühlung im Leichenhaus funktioniert und dass genug Kerzen da sind. Nach der Beerdigung erstellt er die Rechnung – von Läutgebühr bis Leichenhausbenutzung – und teilt das Geld an Organisten und Träger aus.
Kratsch lebt seit 1954 in Sickershausen. Obwohl er selbst ein Kitzinger ist, hat ihn seine neue Heimat fasziniert. „Sickershausen ist kein normales Dorf“, sagt er und gerät gleich ins Erzählen. Ganz viel Geschichte hat er in den vergangenen Jahren zusammengetragen, spult Jahreszahlen und historische Ereignisse herunter, ohne grübeln zu müssen. Auch über den Sickershäuser Friedhof hat er viel zu erzählen, zum Beispiel, dass er wohl der einzige ist, in dem die Toten im Grab stets mit dem Antlitz Richtung Osten beigesetzt werden. „Wir sind ein christlicher Friedhof und glauben an die Auferstehung; deshalb blicken wir in Richtung Israel“, erklärt Kratsch. Nur im dritten Teil sei dies aufgrund der Anordnung der Gräber durch die Baufirma nicht möglich.
Eines ist sicher: Kratschs Begeisterung für „seinen Friedhof“ erlischt mit der Aufgabe des nicht.
Geschichte des Friedhofs
Den Sickershäuser Friedhof gibt es seit dem Jahr 1510. Als der Ort im Jahr 1975 nach Kitzingen eingemeindet wurde, fiel die Entscheidung, den Friedhof nicht in die Verwaltung der Stadt Kitzingen zu nehmen, sondern eigenständig bei der Kirchengemeinde Sickershausen zu belassen. Der Friedhof ist 2707 Quadratmeter groß und besteht aus drei Bereichen. Von 1510 bis 2013 wurden 5894 Personen beerdigt, darunter 33 Bürgermeister und zwölf Pfarrer mit ihren Frauen und Kindern. (Quelle: Sickershäuser Familienbuch vom ehemaligen Kreisheimatpfleger Fritz Mägerlein, 1954, sowie die von Friedrich Kratsch 2001 geschriebene Friedhofschronik).
Friedrich Kratsch ist seit 1977 Friedhofspfleger, bis ins Jahr 1991 war er zugleich Kirchenpfleger. Zum 30. September gab er sein Amt auf, ein Nachfolge-Team übernimmt. Am 6. Oktober wird er in einem Gottesdienst verabschiedet. Text: ini