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Volkach
Eine Volkacher Familie im Seifenkisten-Fieber
Die Kinder fahren, der Vater schraubt, die Mutter unterstützt: Bei den Brandts aus Volkach ist das Seifenkistenfahren ein Familienhobby. Und sogar die Oma sitzt im Ziel.
Die Schülerinnen Jana und Sarah Brandt sind leidenschaftliche Seifenkistenfahrerinnen. Ihre Eltern Jörg und Stefanie unterstützen sie dabei nicht nur vom Fahrbahnrand aus.
Foto: Silvia Gralla | Die Schülerinnen Jana und Sarah Brandt sind leidenschaftliche Seifenkistenfahrerinnen. Ihre Eltern Jörg und Stefanie unterstützen sie dabei nicht nur vom Fahrbahnrand aus.
Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:34 Uhr

In einer türkisblauen Mappe sind Janas alte Urkunden abgeheftet. Weil sie voll war, ist eine weiße hinzugekommen. Ihre Mutter, Stefanie Brandt, blättert darin: Vize-Deutsche-Meisterin 2016, Bayerische Meisterin 2017 und 2018 in der Juniorklasse. Vize-Bayerische-Meisterin 2019, Dritte bei der EM in der Seniorklasse. Daneben liegt eine grüne Mappe – die von Janas Schwester Sarah. Auch hier stapeln sich die Urkunden. Die letzten: Bayerische Meisterin und Zweite bei der EM in der Juniorklasse.

Jana und Sarah Brandt aus Volkach im Landkreis Kitzingen, zwölf und acht Jahre alt, haben ein ungewöhnliches Hobby: Sie sind leidenschaftliche Seifenkistenfahrerinnen. Angefangen hat alles 2013, als ihrem Opa eine Seifenkiste angeboten wurde. Er fragte seine Enkelkinder, ob sie Lust hätten, zu fahren. Jana, die älteste Enkeltochter, willigte ein. Das Interesse kam nicht von ungefähr, die Seifenkisten begleiten die Familie schon seit Generationen: Vater und Opa der Mädchen haben früher selbst Kisten gebaut, mit denen Onkel Holger an Wettkämpfen teilnahm. Heute fahren beide Töchter der Brandts für den Motorsportverein (MSVg)  Gerolzhofen. Die Kleinere, Sarah, fing 2017 an.

Die achtjährige Sarah fährt seit 2017 Seifenkistenrennen. Immer mit dabei: ihr Maskottchen.
Foto: Silvia Gralla | Die achtjährige Sarah fährt seit 2017 Seifenkistenrennen. Immer mit dabei: ihr Maskottchen.

Familie Brandt sitzt am Tisch in ihrem Esszimmer. Jana und Sarah sind gespannt, sie wollen ihr Wissen über ihr Hobby preisgeben, denn es ist kein gewöhnliches. Vater Jörg ist mindestens genauso begeistert, er klickt am Computer durch Tausende Fotos von Rennen, ergreift immer wieder das Wort. Er ist ihr Betreuer, er spricht mit ihnen die Strecke ab, er erklärt ihnen, wie sie am besten fahren sollen und er schraubt an den Kisten, wenn die Saison schon längst vorbei ist. "Deine Tochter beschwert sich, dass nur du redest", unterbricht ihn seine Frau. Alle lachen.

"Die Oma ist legendär. Bei sämtlichen bayerischen Rennen, bei denen es um Zeiten geht, laufen alle zu meiner Mutter und fragen nach der Zeit."
Vater Jörg Brandt

Seifenkistenfahren ist kein Sport wie Fußball, "zu dem man seine Kinder hinfährt und wieder abholt", stellt Stefanie Brandt klar. Es gehört mehr dazu, als nur den Berg herunter zu fahren. Jedes Rennen – in dieser Saison waren das bei Brandts insgesamt sieben – ist mit einer oft stundenlangen Anfahrt verbunden. Es sei "auch sehr stressig, dafür, dass die Kinder viermal den Berg runterfahren", sagt die 42-jährige Mutter. Dennoch sind es richtige Familienausflüge bei den Brandts, an denen alle Spaß haben: die Kinder, die Eltern und sogar die Großeltern. 

Sie stehen am Rand, unterstützen ihre zwei Fahrerinnen, die Oma sitzt sogar im Ziel, notiert die Zeiten und rechnet die Platzierungen der Mädchen aus. "Die Oma ist legendär. Bei sämtlichen bayerischen Rennen, bei denen es um Zeiten geht, laufen alle zu meiner Mutter und fragen nach der Zeit", erzählt Jörg Brandt. Sie habe immer einen Stuhl dabei, im Sommer auch einen Sonnenschirm. Bei einem Rennen in Nürnberg trug die ganze Familie orangene T-Shirts mit dem Markenname Brandt drauf, den man von Zwieback kennt.

Janas Seifenkiste besteht aus einem Bausatz, den Innenausbau machte ihr Vater Jörg.
Foto: Silvia Gralla | Janas Seifenkiste besteht aus einem Bausatz, den Innenausbau machte ihr Vater Jörg.

Was den Mädchen an ihrem Sport am meisten gefällt? "Runterfahren natürlich", antwortet Jana spontan. Sarah sagt: "Auf der Rampe zu stehen und zu warten, bis die Klappe fällt und es losgeht." Aber auch das Wiedersehen mit den anderen Fahrern bei den Rennen, den Tag mit der Familie zu verbringen oder am Ende bei der Siegerehrung auf dem Treppchen zu stehen, gefällt den beiden Schwestern.

Spannung bis zum Schluss

Das ist es, was für die Mädchen aber auch für die Zuschauer bis zum Ende ungewiss bleibt: Man sehe nur, wer vorne fährt. Ausschlaggebend sei jedoch die Zeit aus vier Läufen, sagt Stefanie Brandt. Ob es für das Treppchen reicht, entscheidet sich danach. Die achtjährige Sarah sagt: "Wenn ich den Berg hinunterfahre, schiele ich auf die andere Bahn und feuere mich und die Kiste an: schneller, schneller." Mit dabei ist bei jedem Rennen auch ihr Plüsch-Maskottchen.

Die Familie hat sich über die Jahre weitere Rituale geschaffen – insbesondere für die Vorbereitung der Rennen. Nach dem Aufbau der Kisten und der technischen Abnahme spricht Vater Jörg mit seinen Töchtern die Strecke durch. Nicht immer zu deren Freude. Vor allem die Kleine, Sarah, spielt gerne mit den anderen Kindern, vor allem wenn es – wie bei einem Rennen diesen Sommer – keine Gegner in ihrer Klasse gibt. "Der Papa sagt, ich müsse so oder so fahren, aber selber gefahren ist er noch nicht", sagt die Grundschülerin. Auch seine Frau Stefanie saß noch nie in einer Seifenkiste. 

Training ist beinahe unmöglich

"Ich sehe das als Übung für die Kinder", sagt Jörg Brandt. Denn trainieren kann man für die Rennen nicht. "Wir fahren mal bei Oma den Berg runter und schauen, wie die Kiste läuft", sagt Jana. Auch was die Geschwindigkeit angeht, können die Mädchen nicht üben. "Das macht die Erfahrung. Man merkt, wo der Belag rauer ist, wo Kanaldeckel sind." Mittlerweile sind beide geübte Fahrerinnen.

Und dennoch löst es jedes Mal ein mulmiges Gefühl bei ihrer Mutter aus, wenn die Mädchen den Berg runterfahren. "Ich bin immer froh, wenn sie heil unten ankommen", sagt Stefanie Brandt. Schlimme Unfälle gab es glücklicherweise noch keine, letztes Jahr ist Sarah einmal von der Strecke abgekommen. Sie kam mit einem Schock davon. Wirklich daran erinnern scheint sich die Achtjährige nicht zu können. "Ich habe ein Eis bekommen", ruft sie. Das blieb in Erinnerung.

"Ich bin immer froh, wenn sie heil unten ankommen"
Stefanie Brandt, Mutter von Jana und Sarah

Für die technischen Hintergründe ist Papa Jörg verantwortlich. Hier darf der Sachverständige beim TÜV offiziell das Wort ergreifen. Er erklärt, welche Rolle das Gewicht spielt, was es mit der Bereifung auf sich hat oder wie man die Kiste so bearbeiten kann, dass man vielleicht doch ein bisschen schneller fahren kann. Die geheimen Tricks verrät er aber nicht. Anders als früher baut er heute keine Kiste selbst. Janas Gefährt in der Seniorklasse ist eine Liegendkiste aus Carbon, nicht mehr aus Holz. Es gibt vorgefertigte Bausätze, der Innenausbau bleibt ihm überlassen. Mehrere Hundert Euro kostet so eine Kiste. 

Jana (rechts) bei einem Seifenkistenrennen diesen Sommer.
Foto: Jörg Brandt | Jana (rechts) bei einem Seifenkistenrennen diesen Sommer.

Jörg Brandt wünscht sich, dass mehr Familien Interesse an Seifenkistenrennen hätten. "Man macht einen Rennsport, der motorlos und emissionsfrei ist. Man macht was im Freien, man macht was mit den Kindern", sagt der 49-jährige Vater. „Kinder, die gerne fahren würden, gibt es genug. Doch man braucht die Eltern dazu.“ Sein Verein würde Interessenten beim Leihen oder Kaufen einer Kiste auch unterstützen. 

Im Winter ist Seifenkisten-Pause – zumindest für die Kinder. "Für mich gedanklich noch nicht", gibt Jörg Brandt zu. In der Zeit haben die beiden Mädchen Zeit für ihre anderen Hobbies. Denn während der Seifenkisten-Saison sind die Ausflüge zu Rennen oft schwer mit Schule und anderen Hobbies vereinbar, sagt Stefanie Brandt. Beide spielen Trompete in einem Orchester, Sarah geht zudem noch reiten.

Im Mai, wenn die Saison wieder losgeht, werden die Kisten wieder hergerichtet. Räder dranschrauben, Achsen neu vermessen, Kinder wiegen, Sitze neu einstellen. Jörg Brandt hat schon jetzt Ideen, was er an den Kisten werkeln könnte. Und dafür nennt einen Grund: "Mit einer schlechten Kiste kann der Fahrer nichts ausrichten. Genauso kann man die beste Kiste hinstellen, wenn der Fahrer nicht fahren kann, bringt es nichts. Damit du vorne fahren kannst, muss alles passen." Dass bei Brandts vieles passt, zeigen die Mappen, die vor ihnen auf dem Tisch liegen. "Wir sind gut dabei, weil der Papa die Kisten immer so gut macht", sagt Stefanie Brandt, Sarah sitzt auf ihrem Schoß. "Nein, weil die Mädels so gut fahren", erwidert ihr Mann beinahe bescheiden. 

Sarah (links) und Jana in ihren Seifenkisten.
Foto: Silvia Gralla | Sarah (links) und Jana in ihren Seifenkisten.
Für Seifenkisten-Interessierte
Seifenkisten wurden schon um 1900 gebaut. Anfangs wurden die Rennwagen ohne Motor aus alten Kisten und Kinderwagenrädern zusammengebaut, ohne Bauvorschriften. Nach und nach wurden Bauregeln erstellt, die derzeit vom Dachverband für motorlosen Rennsport Deutsches Seifenkisten Derby e.V. gepflegt und überwacht werden.  In den Regeln sind Maße und Aufbau der Kiste festgelegt.
Es gibt zwei Klassen: Junior- und Seniorkiste. Bei den Junioren liegt das Alter des Fahrers von 8 bis 12 Jahren, die Seniorklasse ist für 10 bis 18 Jahre gedacht. Die Juniorkisten sind Sitzkisten und leicht zu bauen, die größeren Seniorkisten sind meistens Liegekisten und erfordern etwas größeres handwerkliches Geschick.
Interesse am Seifenkistenfahren? Der MSVg 1898 Gerolzhofen unterstützt Anfänger gerne dabei, eine geliehene Seifenkiste über befreundete Fahrer oder Vereine zu bekommen. Kontakt: Tel. 01520/9045910. Bausätze für Juniorkisten und Material können über den Verband Deutsches Seifenkisten Derby e.V.bestellt werden. Infos: https://dskd.org/
 
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