Eine Fassade, die an einen italienischen Palazzo erinnert. Ein prunkvoller Eingang. Pilaster und Säulen, Rundbogenfenster, ein Dreiecksgiebel. Einen eindruckvollen Bau hatten die Gebrüder Korbacher, Baumeister aus Kitzingen, 1888 in feinen Linien auf Papier gezeichnet. So sollte er aussehen, der „Vergnügungssaal“ am Rosenberg. Der Entwurf wurde geprüft und genehmigt, aber nie umgesetzt. Hätten Klaus D. Christof und Renate Haass den ursprüngliche Plan nicht für ihre neue Ausstellung aus dem Archiv geholt, wüsste kaum einer, wie das spätere Roxy-Kino ursprünglich hätte aussehen sollen. Nun aber wird er mit vielen anderen Belegen Kitzinger Baukunst des 19. Jahrhunderts ab 15. Juli im Rathaus der Öffentlichkeit präsentiert.
Akkurat gezeichnet
Gebannt blickt Klaus D. Christof auf die akkurat gesetzten Linien und Punkte, die fein säuberlichen schriftlichen Anmerkungen. Die Hingabe, mit der die Baumeister einst die Pläne für Gebäude fertigten, fasziniert ihn. „Vom Palast bis zum kleinen Häuschen sieht man die gleiche Akkuratesse.“ Bei Recherchen im Stadtarchiv ist er auf einen solchen Plan aus dem 19. Jahrhundert gestoßen, hat sich daraufhin mit dem Stadtarchiv und dem Bauamt auf die Suche nach weiteren alten Plänen begeben – und eine Ausstellung erstellt, die Einblick gibt in ein spannendes Kapitel der Stadtgeschichte. Denn wie gebaut wurde, das sagt viel über das Leben aus, über die Entwicklung der Gesellschaft, über Bürger und Wirtschaft, Arm und Reich.
Lange entwickelte sich das Leben in Kitzingen innerhalb der Stadtmauern. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen sowie die steigenden Einwohnerzahlen machten es nötig, dass auch außerhalb der Mauern Wohnraum geschaffen wurde. „1864 leiteten die städtischen Kollegien einen Kitzinger Stadterweiterungsplan in die Wege“, schreibt Christof im Ausstellungskatalog. Es war das Jahr, in dem der Bahnhof fertiggestellt wurde, der allerdings noch völlig isoliert stand. Damit war der Startschuss für ein neues Stadtviertel entstanden, in dem in den folgenden Jahren und Jahrzehnten viele Villen und eindrucksvolle Häuser, aber auch Wohnhäuser und Industriebauten errichtet wurden, von der Ziegelei über Brauereien, eine Fassfabrik, und eine Farbfabrik bis zur Bonbonfabrik.
Friedrich-Ebert-Straße, Wörthstraße, Bismarck-Straße, Paul-Eber-Straße, Amalienweg, Güterhallstraße, Friedensstraße, Schmiedelstraße... die Ausstellung zeigt eine ganze Reihe von Anwesen und ruft ihre Entstehung in Erinnerung. Doch das Stadtbild veränderte sich auch an anderer Stelle: In der Repperndorfer Straße entstand 1903 der Neubau für die Brauerei Heydt & Scheuernstuhl, mit dem die Produktion aus den beengten Verhältnissen im Stammhaus in der Herrnstraße an die Peripherie der Stadt verlegt wurde. Der Plan für das Bauwerk ist filigran gezeichnet, in wunderschöner Handschrift beschrieben. Eine Grafik, die den Betrachter fasziniert und mit Wehmut daran denken lässt, dass das letzte Denkmal der Industriekultur Kitzingens 1988 einer Fastfood-Kette weichen musste.
Auch andere Gebäude, deren Pläne Christof in der Rathaushalle vorstellt, stehen heute nicht mehr, andere sind durch Um- oder Anbauten im Laufe der Jahrzehnte verändert worden und wieder andere sind noch gut erkennbar. Und einige Pläne wurden, wie der Vergnügungssaal am Rosenberg, nie verwirklicht. Obwohl diesen Plan nur eine kurze Anmerkung in roter Schrift ziert – die Prüfer hatten keine Einwände gegen den Bau. Andere Pläne dagegen, wie die Villa in der Schrannenstraße 21, wurden bei der technischen Prüfung mit vielen eng untereinander geschriebenen Anmerkungen versehen. So musste das Treppenhaus durch den Einbau eines Atelierfensters ausreichend belichtet werden – und dieses Fenster ist noch heute deutlich zu erkennen.
Ob es die Villen waren, die Industriebauten oder die Häuser der normalen Leute, die Pläne wurden alle mit der gleichen Genauigkeit gezeichnet. Ästhetisch wunderbar anzusehen, findet Künstler Christof. Und zugleich eine Erinnerung an bekannte Kitzinger Baumeister wie Tasch, Pavel oder Korbacher – Namen, die vielen Kitzingern noch heute etwas sagen.
Aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert gibt es keine Baupläne, danach mussten zwei Pläne eingereicht werden, die aber nicht bei den Behörden verblieben. „Da ist vieles verlustig gegangen“, bedauert Klaus Christof. Erst 1873 sei vorgeschrieben worden, dass drei Baupläne gefertigt werden müssen und einer davon im Bauamt zu verbleiben hat. So lässt sich die Entwicklung nachvollziehen – nicht nur beim Bauen und den verwendeten Materialien, sondern auch bei den Festsetzungen. Wie breit die Straße sein musste, wie groß der Vorgarten der Villa, wo der Nutzgarten zu platzieren war. „Man sieht die Ursachen und die Wirkungen“, findet Christof, „und wie sich später alles wieder verläuft“. Dann ging es wieder weg von den Schmuckelementen, hin zum reduzierten Bauen.
Das Geheimnis auf dem Dach
Neben den Bauplänen, Bildern und Erklärungen können die Besucher auch Materialen betrachten, die im 19. Jahrhundert beim Bauen verwendet wurden. Architekt Dieter Bilz hat einen Teil seiner Sammlung zur Verfügung gestellt. Zu sehen sind unter anderem verschiedene Werkzeuge, historische Eisennägel und historische Dachziegel: handgemachte Biberschwänze. Der letzte Ziegel, der so genannte Feierabendziegel, war verziert, mit Zeichnungen oder Beschriftungen. Oft wurden heidnische Elemente aufgenommen, wie der Stern für die Unendlichkeit, ein Handabdruck zur Abwehr des Bösen, eine liegende Acht für die Ewigkeit. Sie finden sich inmitten der großen Dachflächen, mit dem Zeichen gen Himmel gewandt. Geheimnisse auf den Dächern, die der Passant sonst nicht sieht.
Info: Die Ausstellung „Kitzinger Baukunst im 19. Jahrhundert“ ist vom 15. Juli bis 28. August in der Rathaushalle Kitzingen zu sehen und täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Die Ausstellung der Stadt wurde in Zusammenarbeit mit dem Kulturverein PAM e.V. erstellt, Konzeption und Organisation: multiculture artsnetwork Renate Haass und KD Christof.